Leben

Hölle auf Erden

Viele redliche und anständige Katholiken wird es dieser Tage durchschütteln, so sie erneut von den Verfehlungen ihrer angeblichen Hüter hören. Vielleicht denken sie darüber nach, unter welchem Dach sie sich bisher sammelten und kommen zu der Erkenntnis, dass ihr praktizierter Glaube überhaupt nicht abhängig ist von einer Amtskirche. Wenn diese Gläubigen sich final abwenden, wird es langsam eng für die Kirchenfürsten in ihren Kardinalsroben und Bischofssitzen. Dante hatte den Eingang zur Hölle mit einen berühmten Satz überschrieben:

Lasst, die Ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!

So müssen sich weltweit Schutzbefohlene, Kinder und Jugendliche gefühlt haben, wenn sie in die Hände von Kinderschändern und Pädophilen innerhalb der Katholischen Kirche gerieten. Irgendwer twitterte dieser Tage: „Die katholische Kirche droht mit der Hölle. Dabei ist sie es selbst.“ Etwas moderater im Ton, aber nicht weniger klar die Anmerkung des „Christ & Welt“ Journalisten und gläubigen Christen Georg Löwisch, ebenfalls auf Twitter. „Ich weiß, die Mafia ist was anderes. Aber was die Münchner Untersuchung über den katholischen Klerus offenbart, trägt mafiöse Züge.“ In seinem aktuellen Artikel für „Die Zeit“ kommt er zu folgender Erkenntnis: „Sehenden Auges haben Hierarchen dieser Institution Missbrauch an Kindern und Jugendlichen immer wieder möglich gemacht.“ Präziser lässt sich das Entsetzen kaum fassen. In Anbetracht eines Gutachtens zum Missbrauch im Erzbistum München und Freising kann man – sofern man noch einen Funken Anstand besitzt – in der Tat auf den folgenden Gedanken kommen. Bei der katholischen Amtskirche könnte es sich um eine weltweit agierende kriminelle Vereinigung nebst pädophiler Unterabteilung handeln. Das Verbrechen des sexuellen Missbrauchs haben viele, offenbar viel zu viele nach Trieb, Lust und Laune wieder und wieder immer weiter begangen. An ihrer Seite hatten diese Verbrecher einen verlässlichen Schutzschild schweigender Mitwisser und vertuschender Schreibtischtäter. Was in der Tat an die Omertà, das Schweigegelübde der Mafia erinnert. Die Institution Katholische Kirche verweigert außerdem bis heute den unter ihrem Dach von ihren Leuten missbrauchten Opfern jede ernsthafte Wiedergutmachung in Form einer finanziellen Entschädigung. Wobei sich dafür keine passenden Worte finden lassen. Begriffe wie Schmerzensgeld oder eben Entschädigung und Wiedergutmachung sind unzureichende Bezeichnungen im Zusammenhang mit solchen Untaten.

Entlarvendes Dokument der Schande und Bericht des Grauens.

Was geschehen, lässt sich niemals wiedergutmachen. Den Opfern wenigstens finanziell zu helfen, endlich Schuld eingestehen, sämtliche Täter benennen und der Justiz ausliefern, gebietet der Anstand und fordert das Recht. Wer allerdings bei der Katholischen Kirche Anstand sucht, der wird nicht sehr fündig werden. Sie sitzen wie Alberich auf unvorstellbarem Reichtum, haben für ihre Opfer dennoch nur Phrasen und Gebete. Ein Vertuscher in Sachen des Missbrauches im Erzbistum München war Joseph Ratzinger, seines Zeichens heute ein deutscher Papst a. D. mit Rente in Rom. Dieser Benedikt XVI. ließ nun tiefe Erschütterung vermelden und verlautbaren, er würde für die Opfer beten. Was soll man dazu noch sagen? (Joseph Ratzinger für übles Vertuschen und latentes unter den Teppich kehren zum alleinigen Sündenbock machen hieße allerdings, den schlimmen Fingern und aktiven Tätern erneut eine verdeckende Schutzmauer durch die Prominenz eines berühmten Namens zu verschaffen.) Jedenfalls haben diese Art Katholische Kirche und ihre Herrscher längst höchstselbst jede Berechtigung in die Tonne getreten für jene Dinge, die sie sich täglich anmaßen, die Menschen bei moralischen, ethischen oder normativen Themen zu lenken und zu belehren. Den Anspruch als eine Instanz von Leben, Moral und Ethik hat die Katholische Kirche zwar immer vehement erhoben, jedes Recht darauf hat sie aber durch die Jahrhunderte mehr und mehr verwirkt. Bis in unsere Zeit hinein hat besonders die Katholische Kirche von Staaten und Regierungen oftmals einen Freibrief für vielerlei Geschäfte und Taten bekommen, als sich in vielen Ländern die Menschen längst von der Institution Amtskirche abwendeten. Diese Kirche, deren Sache der Glaube sein soll, hat Jahrhundert um Jahrhundert und Tag um Tag Glaubwürdigkeit verloren. Der Glaube von Menschen ist ehrbar und zu respektieren, die Katholische Kirche ist es nicht. Die politischen Institutionen und unser Staat sollten endlich aufhören, so zu tun, als sei es nicht so. Es ist Zeit für einen Schlussstrich. Der Laizismus in Frankreich dafür ein gutes Beispiel.

Vergil und Dante betrachten das Schicksal der Gewalttätigen in der Hölle. (Gemälde: Gustave Doré.)

Es gibt natürlich Menschen innerhalb der Katholischen Kirche, die mit der schändlichen Spur von Missbrauch, die sich ekelhaft durch die Katholische Kirche zieht, nichts zu tun haben. Sie dürfen nicht in verbale Sippenhaft genommen werden. Deren Wirken soll hier nicht unterschlagen oder herabgewürdigt werden. Selbstverständlich haben nicht alle Verantwortlichen und Priester innerhalb der Katholischen Kirche Kinder missbraucht. Es gab und gibt z. B. erstaunliche Priester und Katholiken in Lateinamerika, die sich über Jahrzehnte an die Seite der Armen und Unterdrückten stellten, einige zahlten dafür sogar mit ihrem Leben. Erst wurden sie vom Vatikan in Rom getadelt, der in seiner Geschichte lieber auf der Seite der Reichen, der Macht und des Geldes stand, dann von den Schergen blutrünstiger Diktatoren ermordet.

Ein wahrer und mutiger Christ auf der Seite von Anstand und Moral. Óscar Romero. Erzbischof von San Salvador. Beschützer der Armen. 1980 brutal ermordet von der Militärjunta in El Salvador.

Aber da ist vor allem diese dunkle Seite von Niedertracht und Verderbtheit. Der finstere Borgia-Papst aus Renaissancezeiten oder die mordbrennende Inquisition und Ausrottung lateinamerikanischer Völker unter dem Kreuz. Auch der entsetzliche Papst Pius XII., dem die Vernichtung der Juden durch Nazideutschland egal war, dessen schändliches Andenken und seine Untaten bis heute durch die Katholische Kirche diverse Reinwaschungsprozesse genießen. Oder man erinnere sich an den mexikanischen Priester Marcial Maciel, der die Rekrutierungsorganisation „Legionäre Christi“ schuf und leitete. Ein verehrter Held in der katholischen Welt und gern gesehener wie gefeierter Gast im Vatikan. Dessen Organisation scheffelte nebenher Milliarden und sorgte weltweit für Priesternachwuchs. Der polnische Papst Johannes Paul II. förderte Maciel und lobte jenen noch öffentlich, als dessen Verbrechen, seine sexuellen Übergriffe gegen Kinder und Jugendliche, schon ruchbar wurden. Heute ist bekannt, dieser Legionär Christi hat mindestens 60 Kinder und Jugendliche missbraucht. Weitere 33 Mitglieder dieser Organisation sollen seit deren Gründung mindestens 175 Kinder missbraucht haben. Dies wurde in einem internen Untersuchungsbericht der Legionäre Christi zugegeben. Hier stockt einem wirklich der Atem. Man kann nicht so viel fressen wie man kotzen möchte.

Ohne Kirche – keine Hölle. (Max Frisch)

Viele Fragen bleiben. Vor allem in eine Richtung. Was macht eigentlich Jorge Bergoglio in seiner Eigenschaft als Papst Franziskus? Dieser ist wohl ein redlicher Mann, darin auffällig ohne Allüren und Pomp, deswegen unbeliebt in der mächtigen Kurie und dem Vatikan. Der Argentinier mit Freude an Fußball und Tango hat mehr für einfache Menschen, die Armen, für Entrechtete und Getretene übrig, als alle Päpste vor ihm, Johannes XXIII. vielleicht ausgenommen. In der Angelegenheit Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in der Katholischen Kirche macht aber auch er keine gute Figur, wirkt nicht wie ein engagierter Aufklärer. Hat er die Kraft und den Willen, die Katholische Kirche endlich mit einem eisernen Besen auszufegen Oder wird die unheilige Macht der römischen Kurie ihn weiter hindern und ausbremsen, längst auf einen genehmeren Nachfolger schielen? Bergoglio ist 85 Jahre.

Hier stehen aber nicht Päpste und Kurie im Mittelpunkt, sondern geschändete Menschen. Den Opfern gebührt unser aller Mitgefühl, unsere Achtung und unsere Solidarität. Wo Worte scheitern können und man verstummen möchte, es aber nicht darf, weil Schweigen wie Wegsehen immer den Opfern schadet, dagegen Täter schützt und sogar ermutigt, kommt das Schlusswort im Angesicht des Unfassbaren aus der Bibel (Johannes, Kapitel 11, Vers 35):

Jesus weinte.

(Anmerkung: Die zitierte Bibelstelle bezieht sich auf die Ausgabe „Schlachter 2000“.) 

*Titelbild: congerdesign auf Pixabay

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