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Wannseekonferenz – Grauen und Filme

Wer das Haus der Wannseekonferenz je besucht, welches heute Gedenkstätte, der kennt vielleicht dieses Gefühl der Beklommenheit. So man allein dort umhergeht, nimmt man plötzlich auf Fliesen, Parkett und Steinen seinen eigenen Schritt wahr und findet diesen Ton arg deplatziert. Irgendetwas lastet sofort auf einem, berührt peinlich, als wäre dieser Ort nur in völliger Stille zu ertragen. Hier wurde nicht vergast, niemand totgeschlagen, gefoltert oder zu Tode gespritzt, in Elektrozäune gejagt, von Hunden zerfleischt oder mit Genickschuss getötet. In jenem Haus wurde „nur“ mit dem Instrument der Sprache der Völkermord optimiert, industrialisiert und auf die Spitze getrieben. Das Grauen kroch aus der Sprache von Biedermännern. Lage und Aussicht am Wannsee sind wunderbar, Idyll ist wohl der Ausdruck für solch eine Stadtrandoase. Aber genau dort gebar der deutsche Ungeist etwas Unvorstellbares. Deswegen muss man irgendwann auch wieder weg von dieser Stelle, um Luft zu bekommen. Zum Verweilen oder gar zur Muße lädt dessen Geschichte nämlich nicht ein. In der gediegenen wie großbürgerlichen Villa am Berliner Wannsee saßen am 20. Januar 1942 fünfzehn wichtige Vertreter des nationalsozialistischen Terrorapparates, bis heute oft noch „Reichsregierung“ genannt, beieinander. Sie berieten unter dem Vorsitz von Reinhard Heydrich, dem Leiter des Reichssicherheitshauptamts (RSHA), nebenher Chef der Sicherheitspolizei (SiPo) und im Rang eines SS-Obergruppenführers – zu diesem Zeitpunkt höchster Generalsrang der SS – die Perfektionierung des Holocaust für ganz Europa, der zu dem Zeitpunkt schon längst im Gange. Mit bürokratischer Sprache, detailgenau und von deutschem Effizienz- und Ordnungsstreben getrieben wollten sie die völlige Ausrottung der Juden Europas als Gesamtziel formulieren, diesen Vernichtungsfeldzug besser koordinieren und flott umsetzen. (Die Alliierten hätten gut daran getan, das nach 12 Nazi-Jahren völlig besudelte Wort „Beamter“ im Angesicht auch der Wannseekonferenz aus dem deutschen Sprachschatz zu tilgen. Ein Versäumnis.)

Beamte als Völkermörder. Teilnehmer der Wannseekonferenz.

Wer daran erinnert, mahnt, warnt und das unvorstellbare Grauen nicht vernebelt, gehört gewürdigt. Was das ZDF mit der TV-Produktion „Die Wannseekonferenz“ bietet, ist ein wichtiger Beitrag und daher anzuerkennen. In den Medien wird von diesem Film als Meisterwerk und herausragender Leistung gesprochen. Es darf so gesehen werden, muss aber nicht. Meisterwerk ist dann doch übertrieben und auch nicht nötig. Allerdings sollte man so ein Stück Kunst sowieso nicht mit cineastischen Maßstäben messen, dafür sind andere Formate und Themen wahrlich besser geeignet. Der Film sollte jedenfalls unbedingt angesehen werden. Damit auch jene, die es immer noch nicht wissen, sich nicht mehr erinnern können oder wollen, begreifen, was ein geschliffener Beamtenapparat in den Händen eines Terrorregimes alles anstellen kann, wenn er deutsche Effizienz als Antriebsmittel in sich trägt. Da werden dann Rassenhass, Ausrottung und Völkermord durch reale Planspiele Wirklichkeit. Das Grauen sitzt am geordneten Tisch in warmer Stube. Schreibtischtäter werden solche Bürokraten im Rückblick auf die Nazizeit oft genannt. Für einige der beamteten Teilnehmer der Wannseekonferenz gilt dies bis heute. Schlimme Verharmlosung. Damit sollte aufgeräumt werden. Die Teilnehmer dieser Konferenz waren allesamt Völkermörder, egal wie groß oder klein ihr helfendes Zahnrad in der Nazi-Maschinerie.

Zum neuen Film in Sachen Wannseekonferenz. Nach Pressemeldungen trug Matti Geschonneck, der Regisseur von „Die Wannseekonferenz“, seinen Schauspielern auf, sie sollen keine Nazis spielen. Damit wollte er wohl den bürokratisch nüchternen Vorgang noch mehr in den Fokus rücken, zumal sich sein Drehbuchautor Magnus Vattrodtim streng an das historisch überlieferte Sitzungsprotokoll hielt. Eine Sichtweise, die man akzeptieren kann, aber nicht teilen muss. Die Männer in der Wannseevilla waren eben gerade nicht nur Bürokraten, sondern allesamt eingeschliffene und überzeugte wie äußerst skrupellose Nazis, eherne Stützen des Systems. Der Nazi und Faschist steckte in jedem von denen. Nebst dem Wahn von der Herrenrasse ging ihnen auch deshalb das Ausrotten des jüdischen Volkes wie ein Gesellschaftsspiel von der Hand.

Aktueller ZDF-Film „Die Wannseekonferenz“ (Screenshot aus der ZDF-Mediathek)

Matti Geschonneck und sein Film haben Vorläufer. Konkurrenten wäre hier ein falsches Wort. Ein Vergleich lohnt dennoch. „Die Wannseekonferenz“ des Regisseurs Heinz Schirk von 1984 hat ein erlesenes Schauspielerensemble der damaligen deutschen Theater- und TV-Landschaft verfügbar, die der Aufgabe gewachsen und ein grausiges Kammerspiel abliefern. Aus Sicht des Autors dieser Zeilen waren jene Schauspieler, denen von Geschonneck ein Stück überlegen, was zugegebenermaßen ein subjektiver und persönlicher Eindruck. Es gelang ihnen noch stärker, diesen Schreckensmix aus Beamtenseele und bürokratischen Monstern, sozusagen die platt gesessenen Büroärsche in Einklang mit der Mördersprache zu bringen, inklusive dem Herrenwitz und der Ferkelei. Typen, die als bräsiger Nazispeck in Uniform und Anzug den Juden Europas den Garaus machen wollen. Den feisten Widerling in der deutschen Amtsstube machte Schirk sichtbar, während bei Geschonneck alle Akteure fast durchtrainiert und sportlich wirken. Beide Filme ehrt ihr Ansatz und Thema, beide sollten gesehen, vielleicht nicht einmal verglichen, aber bitte diskutiert werden. Dümmer wird mit der Beschäftigung niemand. Ein Verdienst beider Regisseure.

„Die Wannseekonferenz“ (Film von 1984, Screenshot)

Wo wir schon dabei sind, muss man auch noch die GB/USA-Produktion „Conspiracy“ von 2001 ansehen. Gleicher Ort, gleiches Thema mit internationaler Starbesetzung. Allerdings mit Stars, die allesamt wissen, dass es bei diesem Spiel nicht um Ruhm oder Stargehabe geht. Sie agieren als fantastische Schauspieler. Unter anderem dabei der Oscarpreisträger Colin Firth und als Reinhard Heydrich der grandiose Shakespeareschauspieler Kenneth Branagh. Heydrich war natürlich nicht einer unter Gleichen, der nur die Sitzung leitete. In der Wannseevilla konnte ihm noch Gestapo-Chef Heinrich Müller auf Augenhöhe begegnen, die anderen am Tisch wussten schon um die uneingeschränkte Macht dieses skrupellosen Mannes und dessen Machtfülle. Mit Himmler sicherte vor allem er das Regime und dessen Terrorherrschaft. In „Conspiracy“ gibt Kenneth Branagh genau diese Macht, manchmal nur mit einem Stirnrunzeln oder einem sich blitzschnell verdunkelnden Gesicht und einer Eiseskälte der Augen. Das Aasige und Raubtierhafte dieses Charakters fängt Branagh genial ein. Dieser meisterhafte Schauspieler kann den Teufel hinter der freundlichen Maske verstecken, ohne ihn vergessen zu machen. Solche Schattierungen gelingen dem oftmals sehr außergewöhnlichen Schauspieler Philipp Hochmair im neuesten Film als Heydrich nicht. Er bleibt eher eindimensional, was aber nicht an Hochmair liegt, sondern offenkundig an der Regie von Geschonneck. In der Verfilmung von 1984 ist Dietrich Mattausch ein jovialer Heydrich mit gefährlicher Zackigkeit in der Stimme. Europas großer Henker hat da sogar noch lüsterne Blicke für die anwesende Sekretärin übrig. Mattausch und Branagh ähneln sich in der lauernden Gefahr ihrer Ausstrahlung, die Hochmair nicht anbietet. Adolf Eichmann, dieser Transporteur des Todes, diente der Konferenz und seinen Herren Heydrich und Müller beflissen und glatt als eine Art Sekretär. Für Machtmenschen wie Heydrich und Müller ein Laufbursche des Todes, der zu funktionieren hatte und dies beflissen tat. Er wird von sehr unterschiedlichen Schauspielern gezeichnet. In den drei angesprochenen Filmen lohnt es auf deren Rollenauslegung für diesen Massenmörder zu achten.

„Conspiracy“ („Die Wannseekonferenz“); Film von 2001 (Screenshot); Bildmitte: Kenneth Branagh

Da ist die aktuelle Version mit dem Schauspieler Johannes Allmayer etwas näher an dem von Hannah Arendt beobachteten Eichmann, als es in den Vorgängerfilmen die Schauspieler Gerd Böckmann und Stanley Tucci waren. Beide gaben einen zu selbstbewussten und mächtigen Eichmann. Johannes Allmayer bietet unter der Regie von Geschonneck einen eher unscheinbaren und eifrigen Handlager, der Todbringer im Gewand des Banalen. Regisseur Geschonneck wollte den Film offensichtlich so nüchtern und bürokratisch erzählen, wie das überlieferte Protokoll dieser Todessitzung nüchtern und erschreckend sachlich daherkam. Alles sehr deutsch. Ruhe und Ordnung auch beim Massenmord. Ein legitimer Ansatz. Welcher Film den Zuschauer letztendlich mehr überzeugt, ihn emotional intensiver greift, ist zweitrangig. Es gibt jetzt eben drei beachtliche und wichtige Filme zum Thema und keiner ist zu viel. Einer ergänzt den anderen. Mögen sie gemeinsam die Erinnerung wachhalten.

Ein Epilog sei gestattet. Was wurde aus den konferierenden Massenmördern? Dem tschechischen Widerstand sei DANK, sie erwischten Reinhard Heydrich auf offener Straße, das Attentat misslang zwar, aber Heydrich starb im Juni 1942 an dessen Folgen. Dem Mossad und Israel, aber auch dem deutschen Antifaschisten und Staatsanwalt Fritz Bauer sei DANK, Adolf Eichmann wurde in Israel abgeurteilt und 1962 hingerichtet. Den Polen sei DANK, sie hängten 1946 Josef Bühler. Rudolf Lange und Alfred Meyer begingen 1945 Suizid. Martin Luther starb 1945 an einem Infarkt. Gestapochef Heinrich Müller kam angeblich bei der Flucht aus Berlin in den letzten Kriegstagen um. Den Briten sei DANK, sie verurteilten Karl Schöngarth 1946 zum Tode und vollstreckten das Urteil. Es war wohl auch eine britische Bombe auf Berlin, die das Leben von Blutrichter Roland Freisler 1945 beendete. Otto Hofmann lebte bis 1982 als unbehelligter Teil des deutschen Wirtschaftswunders in der Bundesrepublik. Teil davon auch Gerhard Klopfer, der als Rechtsanwalt praktizierte und 1987 starb. Georg Leibbrandt starb 1982 nach einer Karriere, in der er unter anderem Berater Adenauers war. Friedrich Kritzinger (1947) und Erich Neumann (1951) starben auf freiem Fuß. Wilhelm Stuckart starb 1953 ebenfalls in Freiheit, ein Jahr zuvor wurde er noch Mitglied einer Neonazipartei.

Dem nationalsozialistischen Völkermord der Deutschen an den europäischen Juden fielen zwischen 5,6 bis 6,3 Millionen Menschen zum Opfer. Ewige Ehre ihrem Angedenken. Diese Toten mahnen uns.

Programmhinweis

„Die Wannseekonferenz“, Fernsehfilm 2022
Ausstrahlung: ZDF am 24. 01. 2022 um 20.15 Uhr
(Vorab in der ZDF-Mediathek abrufbar.)

„Die Wannseekonferenz“ aus dem Jahr 1984 ist auf YouTube vollständig vorhanden. „Conspiracy“ als DVD oder Blue-ray erhältlich.

Gedenkstättenhinweis

Haus der Wannsee-Konferenz
Gedenk- und Bildungsstätte
Am Großen Wannsee 56 – 58
14109 Berlin

Öffnungszeiten: Montag bis Freitag von 10.00 Uhr bis 18.00 Uhr und Samstag bis Sonntag ebenfalls von 10.00 Uhr bis 18.00 Uhr.

*Titelbild: Villa der Wannseekonferenz (Foto: Andreas H. auf Pixabay)

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