Gesellschaft

Irgendwann genug

Wenn im Rock ’n‘ Roll Gitarristen zu einem Sound verschmelzen, nennt man das schlicht und handwerklich Weben, ähnlich der Herstellung großartiger Stoffe. Keith Richards und Ronnie Wood von den Rolling Stones sind ein bestauntes Duo in dieser Kunst. In Deutschland findet solcher Art Weben gerade in Politik und Medien statt. Allerdings nicht in der hohen Kunstfertigkeit der legendären Stones Gitarristen. Am deutschen Webstuhl sehen die Muster altbekannt und hausbacken aus. Um von Inhalten – eher von vielfältiger Inhaltsleere – abzulenken und den Neoliberalismus nicht zu erschüttern oder zu gefährden, bekommen wir ein Bild der Blendung vorgesetzt. Aktuelles Beispiel dafür, die Elogen, welche dem Vizekanzler Robert Habeck seit Monaten in den Medien gedichtet werden. (Natürlich wird ein Zeitpunkt kommen, wo die Jubler, um Wechsel und Vielfalt vorzugaukeln, Robert Habeck fallen lassen und durch einen neuen Stern ersetzen, der dann andere Talente zugeschrieben bekommt.) Medien bejubeln Robert Habeck nicht etwa, weil seine Politik für die Bevölkerung und das Land erkennbar Positives bewirkt. Sie huldigen ihm, weil er angeblich so schön erklären kann, weshalb er nichts erreicht, nichts erreichen kann. Nebenher erteilen sie ihm Absolution für diese Nichtleistung und stellen es als alternativlos dar. Damit gehorsam im Weltbild der neoliberalen Wirtschaftseliten verfangen, die durch Habecks Politikvermarktung immer mehr Oberwasser beim Umbau der Gesellschaft nach ihrem Bilde bekommen.

Erklärungswelle statt Politik unter Orchestrierung der Medien.

Politik, Medien und Wirtschaftseliten beim einvernehmlichen Weben. In Eintracht gegen jenen Großteil der Bevölkerung, der immer mehr zum unten wird und täglich anwächst. Diesen Menschen wird geradezu eingebläut, Habeck turnt dabei vor, Medien turnen mit, sich mit Verzicht und Senkung des Lebensstandards abfinden zu müssen. Wobei die Explosion der Lebenshaltungskosten gefälligst hinzunehmen sei, weil alternativlos. Niemand könne etwas dagegen tun, weswegen wir eben alle Opfer bringen müssen. Alle? Der Jahrhunderte alte Appell der Gemästeten an die Darbenden, diese mögen den Gürtel gefälligst enger schnallen. Wenn ein Kongress der Wölfe unter der Teilnahme von Schafen das Abendessen durchheult, ist alternativlos klar, was zwischen welchen Zähnen landet. Wer im Angesicht politischer Märchen und medialer Nebelschwaden darauf verweist, dass Milliardäre in Deutschland gigantische Zuwächse verzeichnen und Konzerne Rekordgewinne einfahren, Reiche auf Kosten der Arbeitnehmer und derer da unten immer reicher werden, wird auf Putin und die Ukraine verwiesen. Wer daran fragend Zweifel äußert, wird als „Putin-Freund“ angeprangert und fertig ist der neoliberale Teppich, unter den solche kritische Nachfragen und zu viel selbstständiges Denken gekehrt werden. Schon Samuel Beckett lässt im „Warten auf Godot“ den Menschenschinder Pozzo den Hut des gepeinigten Sklaven Lucky mit den Worten zertreten „Jetzt ist Schluss mit denken. Ab jetzt wird nicht mehr gedacht.“

Der „Krieg der Reichen gegen die Armen“ (Warren Buffett) tobt weiter.

Zur Erinnerung eine hier auf GERADEZU schon erwähnte Nachricht: Der Eigentümer von Lidl und Kaufland, Dieter Schwarz, hat sein Vermögen zwischen 2021 und 2022 um 10,2 Milliarden US-Dollar auf nun insgesamt 26,6 Milliarden US-Dollar gesteigert. In einem Jahr schlappe 10 Milliarden Zugewinn sollten wohl über den viel beschworenen Krisenwinter helfen. Wegen einem kalten Winter muss sich ein weiterer deutscher Milliardär ebenfalls nicht warm anziehen. Klaus-Michael Kühne steigerte sein Vermögen in einem Jahr um 20 Milliarden Euro und hat jetzt 34,2 Milliarden Euro auf der Kante. Man könnte die Liste mit den Milliardären fortsetzen. Der Spiegel stellte schon im September 2021 fest: „Die Vermögen der reichsten Deutschen wachsen trotz Corona.“ Ach was! Passend zum Thema sagte am 30.08.2022 der US-Senator Bernie Sanders dem Guardian: „Die Menschen sind es leid, ignoriert zu werden, während die Reichen reicher werden.“ Die Frage, ob genug nicht irgendwann genug, wird in Deutschland (noch) nicht gestellt. Es bleibt dagegen gang und gäbe, dass Menschen mit fünfstelligen Monatseinkommen denen gegenüber, die über solche Summen nicht verfügen, den Zeigefinger hochstrecken und weniger betuchten Erdenbürgern Belehrungen erteilen, wie diese sparen, sich einschränken und Verarmung aushalten können. Eine hochnäsige und herablassende Gutsherrenattitüde der ekelhaften Art.

Ein guter Hirte darf seine Schafe wohl scheren, aber nicht schinden. (Tiberius)

Somit läuft der neoliberale Gesellschaftsumbau unter einem Erklärungs- und Propagandaschwall weiterhin relativ unbehelligt auf Hochtouren. Als Überschrift könnte dienen: „Wir erzählen den Menschen, warum sie ärmer werden müssen und schauen mal, wie schnell wir sie rumkriegen und wie weit wir es mit ihnen noch treiben können.“ Die Feinheit dieses Webens der neoliberalen Eliten und ihrer Erfüllungsgehilfen besteht im Versuch der Massenverblödung durch Herrschaftssprache und Tittytainment. Medien besorgen den PR-Teil der Vorstellung und stellen dabei sich und politische Akteure auf die gemeinsame Seite der Erklärer, während der dumme Rest, also wir, das kopfnickende Publikum geben. Im Ergebnis soll die Bevölkerung einsehen, dass auch Armut zu ihrem Besten. Wenn sie dieses nicht akzeptiert, wird ihnen vermittelt, es liegt nur daran, dass sie es nicht verstanden hat. Dann kommt flott ein Bruder Grimm daher, in diesem Fall Robert Habeck, der den Unwissenden – mancherorts Volk genannt – weitschweifig erklärt, weshalb die bittere Medizin der aufkommenden Verelendung, die jenes Volk partout nicht schlucken will, alternativlos ist. Auf dem Beipackzettel von Medien und Politik steht dann noch, dass dies gefälligst nicht zu hinterfragen oder gar in Zweifel zu ziehen sei. Basta.

Reicher Mann und armer Mann standen da und sah’n sich an. Und der arme sagte bleich, wär ich nicht arm, wärst du nicht reich. (Bertolt Brecht, 1934)

Das abschließende Wort soll der viel gepriesene Robert Habeck bekommen, wie es von ihm am 12.07.2022 anlässlich eines Termins in Wien mit obligater Pressekonferenz gesprochen wurde und über die Ticker ging. Was damit gemeint und vor allem, was daraus resultiert und im Ergebnis auf das Land und seine Bewohner zukommt, darüber möchte bitte jeder selber einen Moment nachdenken:

Gaskrise ist große Chance zu neuer Stärke. (Robert Habeck)

*Titelbild: Webstuhl (Foto: David Grimshaw auf Pixabay)

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