Gesellschaft

Und tschüss!

Angeblich 52 Millionen 9-Euro-Tickets wurden gekauft. Gut für die Menschen im Land, um die es ja bei politischen Entscheidungen gehen sollte und nach medialer und politischer Lesart angeblich geht. Offensichtlich eine Erfolgsgeschichte dieser Bundesregierung, die an Erfolgsgeschichten nicht reich. Fairerweise muss man sagen, es gibt in der Diskussion auch einen klaren Großstadtaspekt unter Vernachlässigung ländlicher Regionen, in denen einstige Bahnhöfe schon lange verschwunden, ÖPNV nur oberflächlich stattfindet und der Mensch ohne Auto verloren wäre. Dort kann auch ein 9-Euro-Ticket weder wirken noch helfen. Dennoch war es trotz dieser Einschränkung eine Erfolgsgeschichte. Nun läuft die Erfolgsgeschichte aus und wechselt vom Bahnsteig in die Talkshows. Dass die kleinste Regierungspartei FDP mit einer Vergünstigung für Teilnehmer im öffentlichen Personennahverkehr wenig am Hut hat, ist allseits bekannt. Der FDP Funktionär wie der FDP Wähler ist nicht unbedingt Nutzer von Bussen, S- oder U-Bahnen, eher Mitfahrer im ICE, meistens 1. Klasse. Mehr noch ist er als Besitzer oder Nutzer  von Autos gehobener Marken auf den Straßen unterwegs, selbstverständlich oft mit Flugzeugen geschäftlich oder urlaubend auf Achse. Die FDP auch deshalb Kämpfer gegen „Gratismentalität“ (Christian Lindner), die man in geübter Diffamierung gerne den kleinen Leuten attestiert, im selben Atemzug aber eisern als Beschützer selbiger Mentalität bei Milliardären und Millionären agiert. So einfach ordnet sich die neoliberale Welt.

Die größere Regierungspartei Grüne spielt Krieg und Ersatzheer, hat also dickere Balken im Auge als eine ermäßigte Fahrkarte. Bleibt die größte Regierungspartei, die Kanzlerpartei SPD, die einst Arbeiterpartei und Anwalt der kleinen Leute war. Irgendwann auch mit dem Titel Volkspartei behaftet, was immer das eigentlich sein mag. Jedenfalls könnte diese SPD beweisen, dass eine kämpferische und manchmal sogar gloriose Zeit der Sozialdemokratie nicht völlig begraben ist. Könnte. Ihr Kanzler, also unser aller Bundeskanzler Olaf Scholz strahlte den Menschen beim Tag der offenen Tür im Kanzleramt unlängst in Sachen 9-Euro-Ticket entgegen: „Es war eine der besten Ideen, die wir hatten.“ Denkt man über einige andere Ideen der Bundesregierung nach, muss man ihm zustimmen. Nun hätte Olaf Scholz als Kanzler sagen können, deshalb werden wir es beibehalten. Hat er natürlich nicht. Es obsiegt die FDP.

Luxus als Weltanschauung der FDP und Besitz oder Traum ihrer Wähler. (Bild: Gottschalk auf Pixabay)

Dagegen spricht nämlich die Ablehnung des Nebenkanzlers, womit nicht der Energiephilosoph Robert Habeck gemeint, sondern der FDP-Vorsitzende Christian Lindner, Deutschlands Finanzminister und für die oberen Zehntausend deren neoliberaler Gralshüter in der Bundesregierung. An dessen Haken hängt Olaf Scholz fest und strampelt sich einfach nicht los. Verheerend für Deutschland, die SPD und Scholz persönlich. Infolgedessen heißt der Kanzler dann eben doch irgendwann Merz, Günther, Habeck oder gar Baerbock, jede Konstellation natürlich mit FDP. Die SPD derweil wieder Opposition mit dem lauten Versprechen, sich um die Belange kleiner Leute zu kümmern. So wird es wohl kommen oder enden. Bevor etwas kommt, endet etwas anderes, nämlich das 9-Euro-Ticket. Bleiben wird allerdings das vernebelnde Gesülze der FDP, die seit der verruchten Genscher/Lambsdorff-Wende zuvorderst viel politische Kraft mobilisiert, um nicht die Armut, sondern die Armen zu bekämpfen.

Plebejer unterwegs. Kein Ort für Autolobbyisten, die FDP oder deren Klientel.

Lindner jedenfalls köpfte das 9-Euro-Ticket und nebelt dann per Twitter umgehend diese Tatsache ein: „Aber vor allem wird Volker Wissing für einfache, bundesweit koordinierte und bezahlbare (nur nicht nahezu gratis) Öffi-Tarife sorgen.“ Wer es nicht weiß, jener Herr, den Lindner hier nennt, ist Deutschlands Verkehrsminister und irgendwas für Digitales. Bisher völlig vom Bildschirm der Politik im Nebel verschwunden oder dort ruhend. Wenn sich jedenfalls jemand von der FDP um öffentliche Tarife „kümmert“, muss man das Schlimmste ahnen. Der sich im Berufsverkehr drängelnde Arbeitnehmer und was er für diese Drängelei blechen muss, ist der FDP von jeher schnurzegal. Auf Lindners Ablenkungsmanöver für den deutschen Michel sollte sich niemand einlassen. Die FDP als klassische Lobbypartei der Autoindustrie und ehemals selbst ernannte „Partei der Besserverdienenden“ nebst Interessenvertretung für Multimillionäre und Milliardäre, will diese 9-Euro-Ticket-Vergünstigung für die Plebejer einfach nicht. Der Fokus der FDP liegt woanders. Man erinnere sich nochmals an die „Abstimmung“ von Lindner mit dem Porsche-Chef während der Koalitionsverhandlungen. Eine eiskalt berechnende Klientelpartei betreibt eben neoliberale Klientelpolitik. Man kommt fast in die Versuchung, sich im alten linken Lager zu bedienen und so etwas „fester Klassenstandpunkt“ zu nennen. Somit war es das jedenfalls für jenes Projekt namens 9-Euro-Ticket oder wie der Kanzler sagte „der besten Idee“. Und Tschüss!

*Titelbild: Collage des VBB (Verkehrsverbund Berlin und Brandenburg)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert