Gesellschaft

Jugend nicht gleich Jugend

In Frankreich gibt es unter Studenten und Schülern eine Anzahl äußerst engagierter und motivierter Vertreter, die sich dem Kampf gegen den Neoliberalismus stellen. Dieser beeindruckende und stetig anwachsende Teil der Jugend hat die Niederlage der Linken bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen weggesteckt. Sie wissen, dass ihr erstes politisches Gefecht nicht der letzte Kampf war. Während die Alten, denen die Zeit durch die Finger rinnt, eher jammern, sie hätten doch auf Mélenchon hören sollen und ihn auch wählen, weil sie nun erleben, er hat ihnen treffend prophezeit, was auf sie zukommt, so sie an der alten Macht festhalten. Frankreichs Jugend blickt lieber voraus – ein verdientes Vorrecht junger Menschen – und hat den Kampf um die Gestaltung der Zukunft engagiert angenommen. Am 1. September begann in Frankreich ein Stück Gegenwart und Zukunft in Form eines neuen Schuljahrs. Überall erschienen politisch hoch motivierte Jugendliche. Sie diskutierten fundiert und sachlich mit Lehrern und Mitschülern über die soziale Situation und das gesellschaftliche Klima im Land. Viele politisch motivierte Schüler und Studenten, für die ein linkes und soziales Frankreich der Menschen noch nicht verloren und eine Kapitulation vor dem Neoliberalismus undenkbar, hatten sich in der Vorwoche das nötige Rüstzeug in Form von Inhalten und Argumenten geholt.

Die linke Opposition „Neue ökologische und soziale Volksunion“ (NUPES) unter Führung der LFI von Jean-Luc Mélenchon, der französischen Grünen und der Sozialisten half mit ihrer Logistik den Jugendlichen, die sich, worauf sie Wert legten, allerdings selbst organisieren wollten. Im Geist der Gelbwesten und als rebellische Jugend, die nicht hinnimmt, sondern aufbegehrt. Jene jungen „Ungehorsamen“, wie sie sich selber nennen, organisierten also vor dem Schuljahresbeginn in den Tagen vom 21. August bis 25. August 2022 Bildungs- und Diskussionstage (AMFIS2022). Als Versammlungsort hatte man Valence im französischen Départements Drôme gewählt, herrlich gelegen am linken Ufer der Rhone. Einzige Bedingung für Interessierte, die Teilnahme wurde nur für Jugendliche unter 26 Jahren zugelassen. Die Jugendlichen wollten unter sich bleiben und Politiker nur zu bestimmten Gesprächskreisen einladen, aber nicht von diesen die Agenda bestimmen lassen. Das Camp war ein erstaunlicher Erfolg. Über die fünf Tage kamen ca. 5.000 Jugendliche aus ganz Frankreich und zeigten Interesse wie großen Gesprächs- und Informationsbedarf.

Auf dem Weg nach Valence wurden viele Jugendliche in Gemeinden und Städten zum Essen und diskutieren eingeladen. Hier auf einer Station nahe der Stadt Nantes. (Foto von Twitter LFI.)

Unter den Jugendlichen der 22-jährige NUPES-Abgeordnete Louis Boyard, Sohn von Arbeitern. Boyard prangert Ungerechtigkeit in der Gesellschaft offen an. Woche um Woche kritisiert er in der Französischen Nationalversammlung, der er seit den letzten Wahlen angehört, mit Verve die enge Zusammenarbeit der von Präsident Macron eingesetzten Regierung der Ministerpräsidentin Élisabeth Borne mit dem RN, der Partei von Marine Le Pen. Auch um den neoliberalen Gesellschaftsumbau des Präsidenten macht Boyard keinen Bogen und geht Emmanuel Macrons Politik daher frontal an. Manchmal noch sehr ungestüm, was Recht der Jugend, aber dadurch erfrischend anders als etablierte Politiker. Boyard gehörte schon mit 18 Jahren zu den Organisatoren der Gelbwesten und gilt als Paradebeispiel einer politischer und rebellischer werdenden Jugend in Frankreich.

Sobald es um Steuererleichterungen für Reiche gegen den Mindestlohn und den Abbau von Arbeitnehmerrechten geht, in neoliberalen Kreisen gerne „Reformen“ genannt, liegt Präsident Macron längst im politischen Bett mit Le Pen. Gegen diese neoliberale Einheitsfront begehrt in Frankreich vor allem die Jugend außerhalb und innerhalb des Parlaments immer stärker auf, während die Alten sich von Macron erneut um den neoliberalen Finger wickeln ließen. Hätten die unter 30-Jährigen allein gewählt, hieße der Präsident heute Mélenchon und Frankreich wäre mit einer sozialen Regierung unter dem Dach einer Volksfront anders verfasst. Die Jungen wissen dieses und versuchen die Alten dennoch im politischen Kampf mitzunehmen, keine Generationsgräben aufzureißen, wie Macron, Borne und Le Pen es aktuell versuchen. Die Jugend Frankreichs wird von vielen Eliten und den einheimischen Medien angegriffen und diffamiert, bleibt dennoch mutig und rebellisch.

Jugendliche, Abgeordnete und Mélenchon in Valence. (Twitter: Adrien Quatennens)

Apropos rebellische Jugend. Im Deutschen Bundestag sitzen in der SPD-Fraktion 49 Jusos und bei den Grünen 27 Mitglieder aus den Reihen „Grüne Jugend“. Was vernimmt man vom angeblich linken politischen Nachwuchs im Parlament? Nichts oder schon dämmernde Worthülsen, die so wirken, als hätte man sie zu Zeiten des Biedermeier gestanzt. Bloß niemandem auf die Füße treten. Bravheit heißt das Motto der Stunde oder der verschlafenen historischen Gelegenheit. Je nach Sichtweise. Offenbar eifern viele innerhalb der deutschen Politikjugend, mit Erfolg, denen nach, die im Bundestag schon länger in Ruhe und Würde ihr Dasein genießen und vor allem eines perfekt beherrschen, nicht weiter aufzufallen. Vielleicht sollte die sozialdemokratische und grüne Jugend sich gleich mit der FDP Jugend zusammentun, dann stimmen das Bild und die deutsche Gangart, nur nicht am Schlaf der Welt zu rütteln, besser überein. Der deutsche Springer-Konzern fürchtet sich vor dieser Jugend nicht, aber trug schon mal Bedenken gegen die französische Variante in die Öffentlichkeit. Natürlich abwertend und verächtlich gegen kleine Leute, die hierzulande die Kundschaft von Springerblättern. Über die Postille Welt teilte man mit: „Nun muss sich Macron Mehrheiten unter Radikalen, Putzfrauen und Fernfahrern suchen.“ So ist das Leben, wenn es in Form von Alltag, Armen und Arbeitern in die Welt der Eliten drängt und bei denen oben anklopft. Dazu passt die Empörung der elitären Abgeordneten der Konservativen und der Macron-Gruppierung. Die NUPES würden keine Krawatten tragen, was nach Meinung solcher Herren schlecht für die Demokratie. Danach kam die zahlenmäßig große Frauengruppe innerhalb der NUPES Fraktionsgemeinschaft, angeführt von deren Vorsitzenden Mathilde Panot, mit Krawatte um den Hals. Nun waren die Konservativen wieder verschreckt, aber anders. Ein kleiner Sieg linker Ironie über rechte Dumpfheit.

Krawatte gewünscht? Aber bitte! NUPES Abgeordnete. (Foto: Twitter Clémentine Autain)

In Frankreich wird die parlamentarische und außerparlamentarische Linke dank Jean-Luc Mélenchon und NUPES weiter aktiv und organisiert bleiben, stärker werden, um in einer neuen Generation weiterzumachen. Der erfahrene Sozialistenchef Olivier Faure und der Vorsitzende der Grünen, Julien Bayou, waren gern gesehene Besucher in Valence und sind mit ihren Parteien weiter Teil von NUPES. Julien Bayou könnte der nächste Präsidentschaftskandidat der Linken werden, so man zusammenbleibt und die Themen Klima- und Umwelt weiter mit spürbarer Bedrohung ins Leben der Menschen greifen. Im letzten Parlamentswahlkampf hatten er und Mélenchon oft gemeinsame Veranstaltungen. Der 42-jährige Bayou steht besonders für das junge Frankreich und genießt unter der Jugend hohe Sympathiewerte. Julien Bayou weiß um die Nöte seiner Mitmenschen aus nächster Nähe, er ist stets vor Ort, braucht keine Zeitungs- oder Parlamentsberichte über den Alltag seiner Mitbürger. Die Art, wie er das offene Gespräch mit Bürgern führt und deren Interessen vertritt, kommt in Frankreich an. Aktuell ist Bayou einer der beliebtesten wie argumentationsstärksten Politiker Frankreichs und gehört auch deswegen zu den personellen Hoffnungen der Linken.

Auf ins Parlament: Julien Bayou, Vorsitzender der Grünen. (Foto: Twitter Bayou)

Jean-Luc Mélenchon trat vor über dreißig Jahren aus der Sozialistischen Partei Frankreichs aus, weil er den Kurs der europäischen Sozialdemokratie, die sich kollektiv zu einem Erfüllungsgehilfen des Neoliberalismus machte, nicht mittragen wollte. Was als belächelte Ein-Man-Opposition begann, ist heute eine nationale Linke mit viel Potenzial und der größten Oppositionsfraktion in der Nationalversammlung. Mélenchon konnte persönlich gegen die gigantische Front aus Medien, Eliten und Wirtschaft nicht siegen. Die Linke Frankreichs hat er auferstehen lassen und kraftvoll in die politische Landschaft zurückgebracht. Sein besonderer Stolz ist der Teil der französischen Jugend, der sich in Valence traf. In Ihnen sieht er Frankreichs Zukunft. Er gehörte dort jedenfalls zu den geladenen Gästen und war geschätzter Gastredner. Mélenchon wurde fast wie ein Popstar willkommen geheißen, darunter auch von Louis Boyard, der in Mélenchon sein politisches Vorbild sieht. Es war in den Tagen vor Valence auch Boyard, der die von den Jugendlichen eingeschlagene Richtung und Stimmung im Land in Worte fasste:

Die Jugend ist da. Die nächste Generation ist bereit; sie wird es besser machen.

Louis Boyard und Jean-Luc Mélenchon auf einer Abendveranstaltung in Valence. (Twitter Boyard)

Jean-Luc Mélenchon war zuvor einige Zeit in Süd- und Mittelamerika unterwegs, eingeladen von linken Regierungen, die mit seinen politischen Grundsätzen Wahlen gewannen und gegen den Neoliberalismus kämpfen, den Franzosen als ihren politischen Freund und Kampfgefährten betrachten. In Valence hielt Mélenchon eine Rede, die das Publikum, die Jugendlichen und alle geladenen Gäste mitriss. Der beste Rhetor der Fünften Republik hat auch nach den anstrengenden Wahlkämpfen seine Kampfkraft nicht eingebüßt. Ein altgedienter Journalist (Bernard Langlois) beschrieb es wie folgt: Mélenchon mit 71 Jahren in Topform. Noch prägnanter als sonst. Relevanz, Klarheit, Kraft bei jedem Thema. Die große Versammlung und die Jugendlichen waren begeistert. Der Schulanfang in Frankreich wird sicher lebhaft.“ Der sichtlich erholte und entspannte Mélenchon war offenkundig in seinem Element und dabei unter Menschen, die ihm für Frankreichs Zukunft Hoffnung geben. Er verabschiedete sich in Valence in der ihm stets gegebenen Deutlichkeit:

Ich sage den jungen Leuten auch: Wenn nur 2 % mehr von euch gewählt hätten, hätten wir gewonnen. Sie müssen sich am politischen Kampf beteiligen, an Ihrer Zukunft arbeiten, sich leidenschaftlich für diese Welt einsetzen und sie revolutionieren. Es ist Ihre Aufgabe. Mit Ihnen können wir das Land regieren. Macht Ihr es besser!

In Lille ging es am 3. September 2022 mit Menschen aller Generationen weiter. Diese waren gegen den Preiswucher der Konzerne und der steigenden Lebenshaltungskosten auf der Straße. Sie trafen sich zu einer Veranstaltung von NUPES. Jean-Luc Mélenchon, für den der Elan vor allem der jungen Menschen offenbar wie ein Jungbrunnen wirkt, zeigte sich weiter kämpferisch und unversöhnlich gegen den Neoliberalismus und dessen Vertreter aber erneut optimistisch, was Frankreichs Jugend anbelangt:

Nein, wir sind nicht einmal müde, Herr Macron. Hier sind wir! Und irgendwann wirst du gehen.

Diese Welt ist verdorben vor Geld und der Zerstörung des Planeten!

Ich sehe viele junge Gesichter. Die unter 26-Jährigen haben zu 50 % für meine Kandidatur gestimmt. Hören Sie mir zu: Geben Sie keinen Ihrer Träume auf, gehen Sie keine Kompromisse ein.

Mit der Macht der Rede stets die Jugend erreicht. Mélenchon in Lille. (Foto: Twitter NUPES)

*Titelbild: Veranstaltung AMFIS2022 (Foto: Twitter LFI) 

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