Gesellschaft

Kilo Erdbeeren

So etwas nennt sich Sommerinterview. Es befällt einen dabei allerdings eher eine aus Peinlichkeit resultierende Kälte. Bundeskanzler Scholz hätte man gewünscht, er wäre in der Sonne und müsste sich das nicht antun, weil sich so etwas eigentlich niemand antun sollte. Frau Tina Hassel, ihres Zeichen Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios, ist nun keine investigative oder gar journalistische Bedrohung für einen Gast und plätschert eher durch die Themen, als dass sie emotionale Flutwellen durch kritische oder den Nerv treffende Fragen aufbringt. Dann wollte sie das ganz große Ding landen und einen Einspieler über soziale Missstände mit einer ganz schlauen Frage an Scholz orchestrieren. So gab sie die Quiztante einer billigen Gameshow und fragte ihn nach dem Preis von Butter und Erdbeeren. Macht sich natürlich bei jenen gut, die so etwas für eine kritische Frage oder Journalismus halten. Als Scholz nah dran mit seiner Antwort rief Frau Hassel auch noch Bingo. So etwas ist Wurstthekenjournalismus nach der Devise „Darf es ein Scheibchen mehr sein?“. Der Bundeskanzler muss nicht wissen, was dieses oder jenes kostet, das ist einfach ein Irrglaube. Er muss eine Politik machen und durchsetzen, die es den Verbrauchern ermöglicht, dieses oder jenes mit ihren Einkommensmöglichkeiten zu erwerben. Es geht dabei nicht um den Preis von einem Kilo Erdbeeren, sondern um globale Weichenstellungen zwischen Davos und G-7, wo Züge aufs Gleis gesetzt werden, die das Leben teurer und für viele Menschen immer unerschwinglicher machen. An diese Substanz hat der Journalist zu gehen und nicht Preise abzufragen, um sich beim Publikum volksnah anzubiedern. Wenn schon das „große Sommerinterview“ mit dem Bundeskanzler angekündigt wird, dann doch bitte auch Fragen zur neoliberalen Ausformung der Gesellschaft und nicht von Karteikarten abgelesene Preisvergleiche.

Übrigens konnte die fürchterlichste Neoliberale der letzten 50 Jahre unter Europas Politikern, Margaret Thatcher, jeden Tag die Preise von Milch und Butter auf den Penny genau runterbeten. Sich mit den Preisen in den Einkaufstüten kleiner Leute auskennen, hielt die Eiserne Lady nicht davon ab, diesen Leuten Gesundheits- und Sozialleistungen zu kappen und deren Proteste mit Schlagstöcken, Schildern und Wasserwerfern zu bekämpfen. Nebenher erklärte sie den Gewerkschaften in Großbritannien den Krieg und gewann diesen auch. Die sozialen Verwerfungen wirken bis heute nach. Einfacher gesagt, es wird leider keiner ein guter Politiker mit sozialer Politik, der die Preise kennt. Thatcher wird jedenfalls als neoliberale Ikone bis heute von ihresgleichen vergöttert. Die Briten sangen, als sie starb, also jene außerhalb der Elitewelten des Establishments, darin nicht sonderlich pietätvoll oder gar feinfühlig, „Ding Dong the Witch is Dead“, dem ‚Zauberer von Oz‘ entlehnt. Aber Thatcher kannte die Preise.

*Beitragsbild: Tina Hasse, Leiterin des ARD-Hauptstadtbüros, interviewt Bundeskanzler Olaf Scholz (Screenshot)

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