Gesellschaft

Kraft durch Schweigen

Angeblich hat sie ihre letzte Rede im Bundestag gehalten. So kein Ereignis die Tagesordnung ändert, könnte dies in der Tat so sein. Angela Merkel tritt unspektakulär ab, wie gekommen so gegangen. Es ist eher ein Entschwinden. Diese Kanzlerin konnte keine Marktplätze befeuern, ein Volkstribun steckte nicht in ihr. Dennoch organisierte sie Mehrheiten, die immer fürs Kanzleramt reichten. Regiert hat sie still und lautlos. In den politischen Fahrstuhl der Medien stieg sie nie, spielte das rauf und runter nicht mit. Es half ihr allerdings gewaltig, die beiden Mediengiganten des Landes in Person von Liz Mohn und Friede Springer auf ihrer Seite zu haben.

Auf den Medienzug „Merkel muss ihre Politik erklären“ ließ sie sich klugerweise nie setzen. Sie hat bewiesen, dass sie nichts erklären musste. Da übrigens nah an Helmut Schmidt. Dem sagte die Journalistin Marie Steinbauer 1986: „Mir wäre ein Staatsmann viel vertrauter, der auch mal Gefühle zeigt“. Darauf Schmidt: „Ich glaube ihnen das. Allerdings besteht seine Hauptaufgabe nicht darin, ihnen vertraut vorzukommen.“ Besser hätte Angela Merkel diesen Punkt auch nicht machen können. Mit Schmidt verbindet sie noch dessen Arbeitsethos: „Man hat anständig seine Pflicht zu tun.“ Merkel ist wie Schmidt eine geborene Hamburgerin, vielleicht resultiert daher eine gewisse Nähe in den Auffassungen. Schmidts pfiffige Begabung zum Staatsschauspieler hatte Angela Merkel allerdings nicht. Die Großmannssucht ihrer beiden direkten Vorgänger ging ihr völlig ab. Dieses gereicht ihr durchaus zur Ehre. Bei großen Schauspielern gibt es den Begriff des „unterspielen“. Jean Gabin, Robert Mitchum und Richard Burton sind Paradebeispiele. Angela Merkel unterspielte ebenfalls. Die große Geste war ihr Ding nicht. Das Unprätentiöse dieser Kanzlerin tat dem Amt und dem Land stets gut. Dafür hat sie Respekt verdient.

Der neoliberalen Agenda in diesem Land ist sie nicht entgegengetreten, sie hat sie eher befördert. Auch bei ihr galt der Widersinn, erst die Banken, dann die Bürger. Von der Schuld ist sie nicht reinzuwaschen. Allerdings hatte sie für die Sichtbarmachung von Schuld gegenüber den Wählern immer einen nützlichen Idioten zur Hand, mancherorts SPD genannt. Das Wort Regierungsbündnis oder Koalition hat sie schon vor vielen Jahren pulverisiert wie kein Kanzler vor ihr. Ob FDP oder SPD, wie eine hungrige Gottesanbeterin fraß sie ihre politischen Partner auf und zog ihre Kreise. Die FDP flog aus dem Bundestag, die SPD marschiert Richtung Friedhof der Geschichte.

Prinzipien band sich Angela Merkel nie an den Hals, reagierte lieber auf das aktuelle Geschehen. Einmal lehnte sie sich aus dem politischen Fenster. Als sie mit der tätigen Hilfe des ehemaligen Verfassungsrichters Paul Kirchhof das Steuerrecht noch weiter zugunsten der Reichen und auf Kosten der Unterschicht umbauen wollte. Es hätte ihr um ein Haar, die Bundestagswahl 2005 und den Parteivorsitz, also den politischen Kopf gekostet. Vor dieser Thatcher-Politik hatten die Leute berechtigte Furcht und Gerhard Schröder spielte in Wahlkampfhochform diese Karte. Wäre der Wahlkampf noch 14 Tage länger ins Land gegangen, hätte der Genosse der Bosse sogar sein Amt gerettet. Stattdessen rettete er vor Publikum, etwas angetrunken und unbeherrscht in die Elefantenrunde stürzend den Merkel-Kopf, den die CDU Granden schon abgeschrieben. Nach dem polternden Schröder-Angriff gegen Merkel im TV Studio musste die CDU sich wieder hinter Merkel sammeln und die Dolche wegstecken. Merkel wusste, warum sie Richtung Schröder schmunzelte, der nicht ahnte, wie ihm geschehen. Es  dämmerte ihm bald. So verschaffte ihr ausgerechnet Schröder eine zweite Luft, die direkt ins Kanzleramt führte. Merkel hatte die Lektion gelernt und fesselte sich nie wieder an ein Thema oder eine Position. Kirchhof ließ sie wie eine heiße Kartoffel fallen.

(Bild: dianakuehn30010 auf Pixabay)

Merkel kultivierte das Instrument des Schweigens in der Politik neu. Keine rhetorischen Glanzlichter, keine bedeutenden Reden, keine Temperamentsausbrüche, kein Hang zu Scheinwerfern. Sie lenkte die Dinge still, aber immer in ihre Richtung. Merkel war das ruhige Wasser, aus dem in Sekundenschnelle ein Tsunami aufsteigen konnte. Dieser verschlang dann Inseln wie Merz oder Röttgen und wurde urplötzlich wieder zur stillen See. Das Ergebnis war ihr meistens keinen Augenaufschlag wert, sie hatte Besseres zu tun. Mit Gescheiterten verplemperte sie keine Zeit. Darin übertraf sie noch ihren Mentor Kohl, was irgendwie fast zum Fürchten ist. Auf der anderen Seite haben politische Rohrkrepierer im Kabinett ihr nie geschadet. Ein Phänomen. Die Unfähigkeit der Scheuer, Spahn, Klöckner perlte am Teflon der Angela Merkel einfach ab. Den Schaden nahmen dabei immer andere.

In der Flüchtlingskrise lag sie völlig falsch, was die Handhabung und die Bewältigung angeht. Darin auch Opfer ihres schlechten Regierungsteams. Der menschliche Impuls sollte ihr nicht vorgehalten werden. Er wurde ihr allerdings vorgeworfen, von denen die 12 Jahre Naziherrschaft und 50 Millionen Tote als „Vogelschiss der Geschichte“ bezeichnen. Für solche Parolen finden sich im deutschen Volk immer blökende Schafe, die zu Wählern werden. Die Feindschaft dieser Klientel ehrt Merkel und sollte von ihr wie ein Orden getragen werden. Freude an Orden kann man sich natürlich bei Angela Merkel nur schwerlich vorstellen. Verorten ließ sie sich nicht einmal als Ostdeutsche. Darin war sie eher zurückhaltend. Warum auch immer. Wenn es einen roten Faden gab, dann vielleicht die nüchterne Herangehensweise der Naturwissenschaftlerin, die ihr ganz offenkundig eingebrannt.

Der Kanzler Laschet und die Vizekanzlerin Baerbock sind vielleicht Merkels letztes Erbe. Kein Esprit, keine Aufregung, Deutschland immer weiter so. Das Duo Laschet/Baerbock kommt wie ein Lehrerehepaar auf Klassenausflug daher. Man isst vorne Erdbeerkuchen, redet über Küchenstudios und erfreut sich an einer frisch gemähten Wiese, während hinten die Schüler in der Scheune knutschen und irgendwo ein Hirsch röhrt oder wenigstens ein Hund bellt. Das Idyll scheint perfekt. Wenn dieses Deutschland allerdings aufwacht und sich die Welt wieder nähert, dann kann schnell ein Satz zum geflügelten Wort werden: „Wäre doch bloß Merkel noch da.“

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