Kultur

Albtraum mit Suchtpotenzial

Diese Bücher sind Herausforderung und purer Wahnsinn, vielleicht auch schwere Kost. Keine Hoffnung, nirgends. In der Underworld-Trilogie von James Ellroy nistet Finsternis in allen Seelen, steht Verrat auf der Tagesordnung und ist Amoral eine Tugend. Der Autor ist ohne Illusion und schreibt auf, was nur ungern gehört: Der Mensch ist nicht gut. Die Wochenzeitung Zeit attestierte Ellroy, dieser schreibe „die blutigsten Thriller Amerikas“. Stimmt. Dennoch eine unzureichende Umschreibung und reißerische Verdichtung auf einen Aspekt. Ellroy liefert wesentlich mehr, weil er seine Feder umfassend zu führen weiß. Er bettet Thrillerelemente in ein Gesellschaftspanorama und scheut keinen menschlichen Abgrund. Spätestens 1997, als Ellroys Roman „Stadt der Teufel“ mit dem Titel „L.A. Confidential“ in die Kinos kam, war dieser Autor kein Geheimtipp mehr.

Heute soll es aber ausschließlich um seine Underworld-Trilogie gehen. „Ein amerikanischer Thriller“ (1995), „Ein amerikanischer Albtraum“ (2001) und „Blut will fließen (2009). Eine Art „Krieg und Frieden“ der Neuzeit. Zeitlos, informativ und erschütternd schildern diese Romane das Jahrzehnt zwischen der Kennedy- und der Nixon-Ära. Wer lockere Entspannung sucht oder gar Zerstreuung, der könnte bei Ellroy falsch sein. Seine Literatur ist fordern und geht an Schmerzgrenzen. Ellroy ist wahrlich keine optimistische Frohnatur. Hier schreibt einer, der seinem eigenen Trauma nie entkommen. Als der 1948 geborene James Ellroy zehn Jahre alt, wurde seine Mutter Opfer eines Gewaltverbrechens. Der Fall ist bis heute nicht aufgeklärt, der Mörder nie gestellt worden. So etwas brennt sich ein. Ellroy entkam dieser Düsternis schreibend, was man seinem Stil anmerkt. Oftmals fliegen nur noch gehetzte Staccatosätze aus den Seiten. Wer sich dem ausliefert, der kommt aus einem Sog nicht mehr hinaus, muss die insgesamt 2.800 Seiten bewältigen. Davon keine Seite zu viel oder überflüssig. In Band III übermannt einen das Gefühl „es zieht sich“. Ein oberflächlicher Impuls. Der Parforceritt in Band I und Band II einfach zu heftig. Mit den Mitteln von Literatur konnte nichts mehr gesteigert werden. Der Autor wirkte da schon etwas erschöpft und ausgebrannt. Ellroys Opus magnum war seiner Zeit jedenfalls voraus. Die amerikanischen Abgründe, die einen Donald Trump möglich machten, finden sich in Ellroys Sätzen. Seine Sozial- und Gesellschaftskritik hält mit seinen enormen Spannungsbögen mit.

Die realen Figuren der Bücher sind ein wahres Namedropping. Aber niemand ist zum Selbstzweck oder aus PR-Gründen an Bord. Jeder Figur erfüllt ihr Schicksal. Die Mafiabosse Sam Giancana, Carlos Marcello, Santo Trafficante, die Politiker John F. Kennedy, Robert Kennedy, Richard Nixon, der Bürgerrechtler Martin Luther King, der korrupte Gewerkschaftsboss Jimmy Hoffa, der monströse Rassist und Milliardär Howard Hughes. Im Zentrum dieses Spinnennetzes voller Verwesung, das personifizierte Böse, FBI Chef J. Edgar Hoover. Als roter Faden und tragischer Auslöser von vielerlei Grauen immer wieder Cuba, die Schweinebucht und Castro. Um diese prominente Ansammlung weidet sich eine Gruppe von Menschen, die hoch steigen und tief fallen. Allesamt nur Schachfiguren im Spiel der Großen. Dabei sind sie freiwillig und auch unfreiwillig stets Diener mehrerer Herren. Der Drohgenkoch der Mafia kann auch FBI Sonderagent sein. Der brutale Profikiller einen Nebenvertrag mit der CIA haben. Mancher dient so vielen dunklen Mächten wo es helle nicht mehr gibt, dass er sich darin verliert. Sie alle sind verstrickt und verdorben. Manchmal flüchten sie sich in die Liebe. Auch diese lässt sich bei Ellroy nicht halten. Es gibt nur zwei bestimmende Pole: Blutiges Geld und ungezügelte Macht.

(Foto: 3D Animation Production Company auf Pixabay)

Die Frauen in diesem Spiel haben ihre eigenen Albträume. Skrupel sind auch ihnen fremd. Vom table dance in einer billigen Absteige auf die Bettlaken des Präsidenten ist es nur ein kurzer Weg. Die daraus entstehende Verstrickung hält länger an. Wenn der Callgirlbedarf des Präsidenten Kennedy befriedigt wird, kreuzen sich die Abhörmikrofone unterschiedlichster Gruppen und Ziele. Das erste Ohr vor Ort immer J. Edgar Hoover. Er ist dabei nicht allein. Wer in diesem Spiel gut, der bleibt es nicht lange, wer sich läutern will, der wird nur umso schlimmer und wer sich abkehrt, stirbt einsam oder brutal. Ein Teufelskreis und kein Entrinnen. So stellt man sich Dantes Hölle vor. Dieses Szenario mitzuerleben erzeugt Abscheu und Hochspannung gleichermaßen. Ellroy stellt wie ein guter Drehbuchautor Szenen in den Raum und lässt diese als Film in unserem Kopf ablaufen. Handwerklich ist er ein Meister des suspens. Wie sich das Netz um John F. Kennedy spinnt, dabei alles unausweichlich nach Dallas führt, ist große Erzählkunst, pures Adrenalin. Wer glaubt, darüber ist alles erzählt, der könnte bei der Lektüre Bauklötzer staunen. In Sachen der Ermordung der Kennedy-Brüder und von Martin Luther King kocht Ellroy in allen drei Fällen weder eine Verschwörungstheorie auf noch bedient er sich an der offiziellen Lesart. Obwohl Lee Harvey Oswald, Jack Ruby, Sirhan Sirhan und James Earl Ray durch sein Szenario laufen, lässt er unseren Blick davon nicht ablenken. Sie sind für Ellroy eher nützliche Idioten als wirkliche Täter. Er bietet andere Sichtweisen, die sich wie die schreckliche Wahrheit anfühlen. Mit kühlem Kopf, logisch und rational zeigt er auf, wie es gewesen sein könnte. Man kann sich seinen Argumenten nur schwer entziehen. Besonders diese Passagen sind atemberaubend, werden großartig erzählt.

(Foto: WikiImages auf Pixabay)

Ellroy liefert kein Happy End. Es gibt keinen Ausweg. Niemand entkommt. Wohin auch? Vor dem Leben kann man nicht flüchten. Den Lesern, die sich dem aussetzen, bleiben ebenfalls keine Fluchtmöglichkeit. Wer damit beginnt, der wird es bewältigen wollen und sich von den drei Wälzern nicht schrecken lassen. Ellroy ist einfach zu gut, um ihn wieder aus der Hand zu legen. Wer sich einlässt, bekommt einen Thriller, ein Geschichtswerk, eine beeindruckende Sozialstudie und menschliche Dramen von biblischem Ausmaß. Was will ein Leser mehr?

Anmerkung: Um sich im Gestrüpp der US-Zeitläufe der 60er-Jahre nicht zu verlieren und bei einigen Namen nur Bahnhof zu verstehen, empfiehlt sich für jüngere oder historisch weniger interessierte Zeitgenossen, einfach die Informationsflut des Netzes zu nutzen und einige Namen vorab zu googeln. Es macht die Sache und das Verständnis einfacher.

 

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