Gesellschaft

Kruzifix und Tabubruch

Ein großes Wort: Tabubruch. Es kommt mit dem Furor der Empörung genau aus den Medien-Kreisen, die vor Tabus schon lange nicht mehr zurückschrecken. Aber der Wahlkampf hat einen neuen Aufreger. Und was für einen! Die SPD, deren lahmarschiger und zahnloser Scholz-Wahlkampf bisher jedes Veronal toppt, hat sich etwas erlaubt. Wie konnte sie nur! In einem aktuell vorgestellten Wahlkampf-Film hat sie den Laschet Vertrauten und Leiter von dessen Düsseldorfer Staatskanzlei, Nathanael Liminski, doch tatsächlich den Leuten ins Gedächtnis gerufen: „Wer Armin Laschet von der CDU wählt, wählt erzkatholische Laschet-Vertraute, für die Sex vor der Ehe ein Tabu ist“. Tabubruch? Als wäre die SPD noch zu einem echten Tabubruch fähig. Wird sie mit diesem vermeintlichen Tabubruch punkten? Eher nicht. Es interessieren die Wähler nämlich ganz andere Dinge. Wenigstens hat die SPD in einem bedenklichen Fall von Frömmelei einen Ansatz von Biss gezeigt. Hoffentlich läuft sie nicht wieder vor eigener Courage davon.

Nathanael Liminski jedenfalls ist erzkatholisch, macht daraus keinerlei Geheimnis, stufte sich einst höchstpersönlich in die „Generation Benedikt“ ein, womit dem konservativen deutschen Papst Joseph Ratzinger gehuldigt wurde. Unter diesem Namen gründete Liminski auch ein innerkirchliches Netzwerk mit erzkonservativer Ausrichtung. Dieses Netzwerk heißt heute wohl durch Benedikt/Ratzingers Abdankung notwendig geworden, äußerst vollmundig „Initiative Pontifex“. Das Ziel kein Geringeres als die „Rekatholisierung Deutschlands“. Na viel Spaß dabei. In Talkshows, nicht etwa im Beichtstuhl, da zählte er schon um die 22 Jahre, salbaderte Liminski gern über Sex, der vor der Ehe für ihn ein Tabu sei. „Kein Sex vor der Ehe diene der vollen Entfaltung von Sexualität“. Nun ja. Und erzkatholisch? Er stammt aus einem Elternhaus, welches nachweislich dem Opus Dei sehr nahe steht. Viel konservativer geht’s nicht mehr in der katholischen Kirche. Aber wir propagieren hier keine unsägliche Sippenhaft, auch Liminski ist nicht in religiöse Haftung für seine Eltern zu nehmen. Reaktionär bis zum Fundamentalismus ist er ganz allein, woran man wiederum den Eltern keine Schuld geben sollte. Abtreibungen sind für Liminski „ethisch nicht vertretbar“ und „Schwule täten ihm leid, weil denen die Dimension der Fortpflanzung fehlt.“ Eine Weltsicht, als wäre Eugenio Pacelli  aus seinem päpstlichen Grab gefahren. Übrigens auch dieses alles öffentlich gesagt und bewusst von Liminski propagiert, ebenfalls nicht im Beichtstuhl abgesondert. Dieser Mann könnte in wenigen Wochen durchaus Chef des Bundeskanzleramtes werden. Da darf sich Öffentlichkeit für ihn interessieren. Selbst die SPD, die zumindest dieser Tage noch zur Öffentlichkeit gehört.

(Foto: fsHH auf Pixabay | SPD Kandidat Scholz. Suche nach Tabubrüchen, Wählern oder Erlösung?)

Wo nun also der Tabubruch? Man darf oder sollte die religiöse Überzeugung von Gegnern im Wahlkampf nicht thematisieren, lautet die Sprachregelung. Bei Widerstandskämpfern gegen das Dritte Reich war man hierzulande weniger feinfühlig. Willy Brandt hielt man öffentlich seine uneheliche Geburt vor und Adenauer diffamierte ihn gern als „Herr Brandt alias Frahm“. Da wurde Tabubruch und „Negative Campaigning“ in Reinkultur betrieben. Für alles, was die Emigranten Willy Brandt und Herbert Wehner sowie der KZ-Insasse Fritz Erler nach 1945 an Tabubrüchen ertragen mussten, hat Helmut Schmidt deutliche Worte gefunden, die so oft wie möglich erinnert werden sollten: „Nicht nur zu ihren Lebzeiten, sondern auch noch nach ihrem Tode haben kleine und große Schweine immer wieder versucht, ihnen die Ehre abzuschneiden.“

Was Herrn Liminski im SPD Wahlfilm zustößt, mag unangenehm sein, vielleicht nicht die feine englische Art, ehrabschneidend oder denunziatorisch ist es nicht. Ehrabschneidend war die Attacke bestimmter Journalisten auf den Bildungsweg von Martin Schulz und die bornierte Hochnäsigkeit des Nie-Spiegel-Chefredakteur Gabor Steingart über dessen fehlendes Abitur. (Im Augenblick erlebt man gerade die Abiturienten Baerbock und Laschet als geistige Überflieger das Land berauschen.) Wegen einer berechtigten SPD Hinweisung sollte nun kein großes Brimborium veranstaltet werden. Damit wäre wieder ablenkender Sand über die wichtigen und existenziellen Fragen unserer Zeit gestreut, die bedeutenden Themen blieben weiter unter den Teppich gekehrt. Das Wahlvolk braucht endlich frischen Wind im Wahlkampf und keinen billigen Theaterdonner. Es ist an der Zeit.

Schon nah an großer Satire: CDU Würdenträger meinen ebenfalls, Religion hätte im Wahlkampf nichts zu suchen. Daraus ergibt sich eine Frage. Wofür steht bitte das „C“ in CDU?

*Foto: Titelbild von Free-Photos auf Pixabay

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