Gesellschaft

Lunte am Gas

Es kommentierte der Leiter der Wirtschaftsredaktion der Süddeutschen Zeitung, Herr Dr. Marc Beise, am 23. Juni 2022 bedeutungsschwer in eben jener ihn beschäftigenden Zeitung: „Der grüne Wirtschaftsminister dramatisiert nicht, bagatellisiert nicht und ordnet in den großen Putin Zusammenhang ein. Gerade deshalb wird dieser Tag seine Wirkung nicht verfehlen. Das ist gut so, denn der Winter wird kommen.“ Geht es auch eine Nummer kleiner? Habeck hatte erneut auf breiter Medienfront den Gasnotstand beschworen. Die daraus resultierende Eloge von Beise liest man ergriffen zweimal. Großer Zusammenhang? Game of Thrones? Was will der Mann uns sagen? Das Böse ist dabei. Bezeichnet durch den Namen Putin. (Sozusagen längst der Nachtkönig in deutschen Tastaturen.) Das Gute ist in der Geschichte natürlich auch vorhanden. Bezeichnet durch den Namen Habeck. Nach zweimal lesen bröckelt dennoch die Ergriffenheit und es bricht der Begriff Hofberichterstattung durch. Einem kleinen Zeilenschmied fehlen fast die Worte. Schließlich ist der Herr Dr. Beise eine große Nummer oder was man eben dafür hält. Deshalb geht der Blick schnell zu einem leider verblichenen Herrn, den die Jüdische Allgemeine in einem Nachruf als den „vielleicht größten Journalisten des Landes“ ausmachte, Hermann L. Gremliza. Man wird natürlich fündig: „Demokratische Politiker leben mit ihren journalistischen Madenhackern in fröhlichster Symbiose.“ Wer mag Gremliza widersprechen?

Allenthalben Gas-Krise. Hat es sich bald ausgekocht? (Foto: moerschy auf Pixabay)

Es geht uns nicht um den Wirtschaftsminister oder den Weihrauch von Dr. Beise, es geht um die Sache. Und diese Sache stinkt, weil sie ein alter Kadaver, der in der Historie immer wieder bemüht wurde. Neu daran, dass solche alten und völlig falschen Binsen heute medial bejubelt werden, als hätte da jemand den Stein der Weisen nebst Beipackzettel zur Erlösung gefunden. Was mitnichten der Fall. Wenn Robert Habeck mit wohlgesetzten und einfachen Formulierungen in neuen Worten den Gürtel andeutet, den wir alle enger schnallen müssen, sollte man allerdings die Ohren spitzen. Zumal Robert Habeck stets eloquent und mit dem Gespür für die politische PR unserer Zeit daherkommt, die deutsche Sprache auszuschreiten weiß. Gerade in den Passagen der Überbetonung des Wortes „wir“ läuft er mehr und mehr zur Hochform auf. Das Ungesagte bleibt wie so oft das interessantere Detail bei solcher Art Ausführung. Minister Habeck will weniger Energie- und Wasserverbrauch, warnt vor kälteren Tagen und kündigt für vieles – versteckt und dennoch deutlich – höhere Kosten an. Alles stets unter dem Damoklesschwert „kein Gas im Winter – es droht der Notstand“ vorgetragen. Um Menschen lenken zu können, versetzt man sie erst einmal in Furcht und Schrecken, was als Methode ebenfalls nicht mehr ganz frisch. Die Habeck-Appelle gehen – wie immer in schweren Zeiten – vernehmlich an eine bestimmte Adresse und Klientel. Die kleinen Leute werden mal wieder agitiert. Sie sind längst auserkoren, jedwede Zeche zu zahlen und schon kräftig dabei.

Mineralölkonzerne. Bewährte Praxis. Kunden schamlos abziehen und den großen Reibach machen.

Diejenigen, an die Habeck sich nicht wendet, machen gerade mit der Zeche der kleinen Leute fette Geschäfte, frönen dem Kriegs- wie dem Krisengewinn. Sie fetten sich immer oben auf der Brühe ein. Die Sieger von gestern, heute und morgen. Ihnen sollte der Wirtschaftsminister entgegentreten. Persönlich müsste Habeck eine gleißende Anklage im öffentlichen Raum zur besten Sendezeit führen. J’Accuse! An den Pranger sollte er sie holen. Den Zorn über jene Milliardäre, Großkonzerne, Mineralölkonzerne, Energie- wie Kraftstofflieferanten und Lebensmittelgiganten bringen, die aktuell Tag um Tag unverschämt reicher und reicher werden, sich dumm und dämlich verdienen auf Kosten der Verbraucher. Dann hätte er Signal gesetzt und sich das Gehör der kleinen Leute verdient. Aber welcher Politiker legt sich schon mit der neoliberalen Davos-Elite an? So etwas schadet und zerstört Karrieren und ist im Universum von Parteispenden nicht förderlich. Die dicksten Profite machen aktuell natürlich jene im Verborgenen, die Rüstungskonzerne, die ihr Glück nicht fassen können. Ihre Gürtel werden nicht enger geschnallt. Diese Herrscher der Grauzone, die selbst einem US-Präsidenten, Fünfsterne-General und Helden des 2. Weltkrieges nicht geheuer waren, vereinen sämtliche Grundübel der Menschheit auf sich.

Zurück zum profanen Alltag. Während z. B. in Polen ab sofort auf 3000 Artikel des täglichen Bedarfs keine Mehrwertsteuer mehr erhoben wird, gibt es hierzulande warme Worte von Herrn Beise und Herrn Habeck. Es schert den Wirtschaftsjournalisten wie den Bundesminister wenig, wie die soziale Unterschicht ihren Warenkorb füllt und womit. In den meisten Haushalten dürfen nicht zeitgleich Waschmaschine und Kühlschrank den Geist aufgeben, dann wäre das spärliche Budget schon pulverisiert und eine familiäre Krise umgehend eine soziale Katastrophe. So zeigt sich die Lebenssituation von Millionen Menschen. Im Umfeld der 2,8 Millionen Kinder, die hierzulande in Armut leben, sitzt das Geld nicht locker und wartet darauf, für eine überteuerte Energierechnung verbraten zu werden.

Immer mehr Menschen sind mit leeren Taschen am Limit. (Collage: mohamed Hassan auf Pixabay)

Dazu schweigt Habeck. Dazu schweigt Beise. Und wenn Lämmer schweigen, fressen Wölfe. Dass ein Politiker so agiert, gehörte schon in Bismarcks Zeiten zum politischen Geschäft. Man muss von Politikern nicht zu viel erwarten. Von Journalisten sollte jedoch mehr kommen als nur Ehrerbietung im offenkundigen Gewand derer, die sich in der gemeinsamen Medien- und Politikblase längst als ein Teil vom Ganzen sehen. Zulasten der Wähler und zulasten der Medienkonsumenten. Dieses einander hochkochen befördert nur politischen Aktionismus. Der gebiert dann dumme wie unüberlegte Schnellschüsse und verkompliziert die Lebenssituation vieler Menschen, da drohende Engpässe auf dem Rücken der Bevölkerung abgeladen werden. Die Russen haben angeboten, die vertraglich festgeschriebene Gasmenge, die wegen technischer Probleme bei Nord Stream 1 nicht fließen kann, über Nord Stream 2 zu liefern. Habeck lehnte ab, den Alternativweg durch die Pipeline Nord Stream 2 zu akzeptieren. Stattdessen bombardiert er uns Verbraucher mit einem täglichen Lamento von Gas-Notstand und Gas-Krise. Steht in Habecks Amtseid eigentlich Schaden vom Deutschen Volk abwenden oder Wohlwollen in Washington gewinnen?

In Politik und Medien sollte es klare Trennlinien geben. Wer den Leuten öffentlich Mitteilungen über seine berufsbedingten Beobachtungen in der Politik macht, der sollte grundsätzlich Politikern nicht latent auf den Leim gehen. Wenn man sich dabei auch noch zu sehr gemein macht, dann besteht diese Gefahr natürlich akut. So der Leim allerdings zum gemeinsamen Kleister von Politik und Medien in einer elitären Blase gerührt wird, beschleunigen sich die Dinge in die falsche Richtung und landen schnell im modrigen Wasser aus Verlautbarungen und Propaganda. Dann sitzt man schnell in einem Boot mit dem Nachtkönig aus dem Kreml, dem man sich doch bei jeder Gelegenheit überlegen fühlt.

*Titelbild: Pixabay

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