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Nachschubprobleme

Die Welt dreht sich weiter und sämtliche Problemlagen sind nicht vom Tisch, nur weil sich Deutschland am Sondieren labt. Werden Autohersteller bald gezwungen, ihre Produktion zu stoppen und unsere Hightech-Jugend keine hochmodernen Spielkonsolen mehr geliefert bekommen? Es macht sich offensichtlich ein Mangel an Halbleitern auf der Welt bemerkbar. Dieser Mangel wird seit ungefähr einem Jahr in vielen Veröffentlichungen mahnend erörtert. Die globale Halbleiterknappheit hat weithin seltsame Auswirkungen sogar geopolitischer Natur. Seit einem Jahr kämpfen die Hersteller um die elektronischen Chips. Alltagsgeräte vom Computer über den profanen Toaster bis hin zu Waschmaschinen und eben Spielekonsolen sowie Tausende Dinge mehr benötigen allesamt Halbleiter, um unsere Art von Zivilisation und was wir so Leben nennen, am Laufen zu halten. Die Knappheit an Chips kann die Befriedigung unserer Begierden nach elektronischer Spielerei schnell verzögern. Vielen ist dieser Sachverhalt im Alltag nicht bewusst. Ohne diese Halbleiter, die manchmal nur 1 US-Dollar pro Stück kosten, ist es unmöglich, trendige, teure und gescheite Gadgets zum Leben zu erwecken. Elektroauto, Smartphone, intelligenter Kühlschrank und die denkende Zahnbürste verschwinden dann im großen schwarzen Loch der Knappheit. Überangebot und Knappheit wechseln sich auf dem Elektronikchipmarkt seit langer Zeit ab. Die aktuelle Episode scheint aber dramatischer. Sogar die europäischen Regierungen sind in echter Sorge. „Wenn ein so großer Block wie die Europäische Union nicht in der Lage ist, Chips herzustellen, dann ist mir nicht wohl“, meinte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Mai und erklärte: „Wenn man eine Autobaunation, eine Mobilitätsnation sein will und man kann das Herzstück nicht produzieren, finde ich das irgendwie nicht gut.“ Immerhin. Und nun? Merkels Sorgen haben sogar eine höchst reale Basis: 1990 verfügte Europa über 44 Prozent der weltweiten Produktionskapazitäten für Halbleiter, heute sind es nur noch 10 Prozent.

Ein anderer Regierender mit etwas mehr Volk in der Hinterhand, Chinas Präsident Xi Jinping versprach höchstpersönlich, in den kommenden sechs Jahren bis zu 1,4 Billionen US-Dollar in strategische Technologien zu investieren. Den Vizeministerpräsidenten Liu He ernannte Chinas Herrscher zu einer Art Chip-König, der für die beschleunigte Entwicklung von Mikroprozessoren der neuesten Generation sorgen soll. Wehe für diesen Harvard-Absolventen, er scheitert. Aktuell ist er jedenfalls auf Hochtouren am Werk. Laut dem kommunistischen Parteiorgan Renmin Ribao wurden im Jahr 2020 in China ca. 58 000 (!) Chipherstellerfirmen gegründet. Europa ist nicht fähig dabei mitzuhalten, seine Elektronikproduktion strategisch zu planen. Die EU sorgt sich vor allem mal wieder um ihre Autokonzerne und agiert auf der anderen Seite ohne Strategie auf einem technologischen Überlebensmarkt. Es lässt sich daher leicht voraussagen, dass der „Airbus der Halbleitertechnologie“, von dem die europäischen Technokraten in Reden gerne schwärmen, höchstwahrscheinlich unter der chinesischen Flagge abheben wird.

Collage: Gerd Altmann auf Pixabay

Aufgrund der Corona-Maßnahmen mussten auch viele Halbleiterfabriken, die hauptsächlich in Taiwan, Südkorea und China stehen, für kurze Zeit die Produktion einstellen. Wobei eines der führenden Unternehmen der Branche, Yangtze Memory Technologies in Wuhan ansässig ist. Zu normalen Zeiten hätte man die Chipproduktion einfach wieder hochfahren können. Das war jedoch unmöglich, weil zu den coronabedingten Betriebsschließungen noch mehrere außergewöhnliche Ereignisse hinzukamen: eine Kältewelle in Texas, wo die meisten US-Chiphersteller sitzen; eine durch die Dürre verursachte Wasserknappheit in Taiwan; ein Fabrikbrand in Japan; die Blockade des Suezkanals; dazu die Hamsterstrategie chinesischer Firmen, die sich vor Inkrafttreten der US-Sanktionen noch mit Halbleitern eingedeckt hatten. Ist das Theater um die Halbleiterknappheit übertrieben und eher als ein Sommertheater diverser Fachmedien anzusehen? Mitnichten. Die aktuelle Krise fällt in eine Zeit, in der die Segnungen der Globalisierung auf breiter Front vor allem von jungen Menschen infrage gestellt werden und die Industrieproduktion in der westlichen Welt zurückgeht. Hinzu kommt die zunehmende Politisierung der Hochtechnologie. Längst ist die künstliche Intelligenz (KI) zum strategischen Thema in der Konfrontation zwischen den USA und China geworden. Deshalb löst ein banaler technischer Engpass, den noch vor zehn Jahren außerhalb der betroffenen Branchen kaum jemand bemerkt hätte, bei den Großen der Weltpolitik offensichtlich eine Menge Nachdenken und Aktionismus aus.

In den USA setzt derweil die Biden-Administration die kompromisslose Politik ihrer Vorgänger fort, wobei sie einige von Trumps Maßnahmen sogar verschärft hat. So unterzeichnete Biden Anfang Juni 2021 ein Dekret, das US-amerikanische Investitionen in 59 chinesische Unternehmen untersagt, wenn diese – wie im Fall Huawei – im Verdacht stehen, mit dem Militär verbunden zu sein. Die europäischen Entscheidungsträger reagieren derweil eher mit Wortklauberei. Im Mai erklärte der für Digitalpolitik zuständige EU-Kommissar Thierry Breton, die EU müsse ihre „allzu naive und offene“ Politik ändern und sich zum Ziel setzen, dass 2030 mindestens 20 Prozent der weltweiten Halbleiterproduktion in Europa erfolgt. Europas Marktanteil bei den Chipentwicklern ohne eigene Produktionsstätten liegt bei aktuell dürftigen 3 Prozent. Na dann mal in die Hände gespuckt für die restlichen 17 Prozent bis zur Zielmarke. 2030 ist nicht mehr weit und weder die USA noch China schlafen bis dahin. Sondierungen hin oder her.

*Titelbild: MasterTux auf Pixabay

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