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Sir Alex

An den tiefen Spuren, die er bei Manchester United hinterlassen hat, scheiterten bisher alle seine Nachfolger und der Verein mit sämtlichen Ansprüchen. Als Mensch und als Fußballmanager konnte ihm seit seinem freiwilligen Abschied im Jahr 2013 bis zum heutigen Tag niemand gleichkommen. Wie auch? Ob nun der redliche und gleichermaßen überforderte Schotte David Moyes, der eitle Erfolgsgarant José Mourinho, der geniale Fußballexperte Louis van Gaal, Manchester United Ex-Spieler wie GiggsCarrickSolskjær oder ein Fußball-Schaumschläger wie Ralf Rangnick. Gegen Alex Ferguson wirken sie alle nur noch klein. Der Saisonstart 2022/23 am Wochenende misslungen, es hagelte unter dem neuesten Versucher, dem als Spitzentrainer geltenden Holländer Erik ten Hag, eine Auftaktniederlage im heimischen Old Trafford. Da denkt man unweigerlich an Alex Ferguson und die großen Zeiten, die er Manchester United bescherte.

Saisonauftakt 2022/2022 im Old Trafford. (Foto: Ben Hopper, Twitter)

Als der Pensionär Ferguson im Mai 2018 mit einer Gehirnblutung in eine Klinik eingeliefert wurde, stand es schlecht um ihn, es zählten Sekunden, er hatte Glück, schnelle Hilfe, gute Ärzte und wohl einen Schutzengel. Und eben enormes Glück. Ohne Folgeschäden genießt er heute sein Dasein im Alter von 80 Jahren. Sir Alex Ferguson, der erfolgreichste und meist dekorierte Manager im Weltfußball. Auf dem Titelbild ist Ferguson mit dem englischen Fußballkommentator und BBC Reporter Steve Bower zu sehen, mit dem der Sir die Leidenschaft für Pferde teilt. Ab und an treffen sich die beiden zu einem Gespräch inklusive Kaffee und Kuchen, ohne daraus eine Story oder ein Interview zu machen. Ferguson ist keiner dieser Ex-Trainer und Ex-Spieler, der seine Zeit oder sein Leben als Experte verplempert oder ableistet, auch darin ein ganz anderes Kaliber als die meisten seiner Zunft. Legenden müssen sich in keine Schlagzeilen drängen oder sich in Erinnerung halten. Die Jauche des Fußballboulevards durchschwamm Ferguson auch während seiner Jahrzehnte der Berufsausübung als Manager und Trainer nie. Darin ebenfalls eine absolute Ausnahme in seiner Branche.

So man Sympathisant des Fußballmanagers wie auch des Typen Alex Ferguson und einst den Fußball sogar mochte, der Schmied dieser Zeilen gesteht beides ein, freut man sich für den alten Herrn, dass er sich wieder aufgerappelt hat und es ihn noch so vital gibt. Ferguson musste sich unmittelbar nach der Gehirnblutung einer Notoperation unterziehen und wandelte nah am Grab oder der Versehrtheit. Es war schon ein Wunder für ihn und seine Familie, dass er sich vollständig und ohne Folgeschäden erholte. Deshalb sollen ihm hier einige Zeilen gewidmet werden. Einfach so. Alex Fergusons Geschichte erzählen, hieße Eulen nach Athen tragen. Wer einen Funken an Fußball interessiert, der weiß um ihn. Wie auch nicht? Der heutige Fußballpensionär im bewussten Unruhestand spielte zwischen 1957 und 1974 auf der Stürmerposition in Schottland Fußball. Davon zwei Jahre im Team der Glasgow Rangers, was für einen Protestanten der einzige Fußballort in Glasgow. Ferguson absolvierte 317 Spiele in seiner Laufbahn und erzielte 171 Tore. Eher eine Zweitliga- denn eine Erstligakarriere. Kein Überflieger als Spieler.

Raues Leben. Industriegebiet Hillington (Glasgow) 50er Jahre.

In der Glasgow-Vorstadt Govan, einem klassischen Arbeiterviertel, das von Härte, Armut, vielerlei Entbehrung, aber auch von Solidarität geprägt war, wurde Ferguson am 31. Dezember 1941 geboren. Mit 19 Jahren gründete der junge Werkzeugmacher Ferguson eine Gewerkschaftsgruppe in einer Stahlfabrik im Industriegebiet Hillington und wurde, was damals für einen jungen Menschen eine Sensation, Vertrauensmann der Gewerkschaft. Er erlebte Lohn- und Arbeitskämpfe an vorderster Front, bevor er in die Welt des Fußballs entschwand. Angeblich blieb er wegen dieser Jahre, so benennt er sich jedenfalls stets in Eigenbezeichnung, ein Sozialist. Mit geschätzten 70 Millionen US-Dollar auf der hohen Kante passt Sozialist vielleicht wirklich nicht mehr so ganz. Dass Ferguson zeit seines Lebens die Tories für das verachtete, was sie mit den Menschen in Großbritannien machten, ehrt ihn wie auch die jährliche Parteispende an die Labour Party. Seine Sympathie für den neoliberalen Labour Premier Tony Blair lässt den Sozialisten in Ferguson jedoch etwas unglaubwürdig erscheinen. Nicht der politische Mensch Ferguson oder der Besitzer von Rennpferden und teuren Weinsammlungen, der leidenschaftliche Leser und Hobby-Experte in Sachen Kennedy-Mord ist eine Legende zu Lebzeiten, sondern der Fußballmanager und Trainer. Dass ein deutsches Fußballmagazin mit einer 11 im Titel den neuen Trainer von Manchester United unter dem Titel „Sir Erik“ vorstellt und Ähnlichkeiten sieht, ist so falsch wie einfältig. Billiges Marktgeschrei ohne Ahnung. Ferguson ist nicht in Kopie anzutreffen, er war eine erratische Erscheinung.

Alex Ferguson erste Erfolgsstation.

Als Trainer holte Alex Ferguson mit dem FC Aberdeen zwischen 1978 und 1986 drei schottische Meisterschaften, gewann viermal den Pokal und 1983 den Europapokal der Pokalsieger sowie den europäischen Supercup. Die englische Liga, später Premier League, rief nach diesem schottischen Erfolgstrainer und Ferguson kam. Von 1986 bis 2013 Trainer und Manager von Manchester United. Und was für einer! 13 englische Meistertitel, 5 FA Cup Siege, 2 x Sieger der Champions League, Weltpokalsieger, Klub-Weltmeister, europäischer Supercupsieger. Diverse persönliche Auszeichnungen als Trainer des Jahres in der schottischen Heimat, in England und in der Welt. 1999 von der Königin zum Ritter geschlagen. Was für eine Bilanz. Vieles davon wohl für die Ewigkeit. Auch wegen dieser famosen Bilanz kann so ein Vulkan natürlich nie ein vollkommener Pensionär sein. In Zukunft wird er sich regelmäßig mit Ex-United-Geschäftsführer David GillUnited-Legende Bryan Robson, Fußballdirektor John Murtough und dem Vorstandsvorsitzenden Richard Arnold treffen, um über den Stand der Dinge bei Manchester United vertraulich und offen zu debattieren, anzuregen und zu raten. Freund und Feind sind sich in England und speziell in der Premier League einig. Wenn Alex Ferguson noch seinem Handwerk bei Manchester United nachgehen würde, wären weder Pep Guardiola noch Jürgen Klopp mit ihren Teams in so überdeutlicher Form enteilt.

Hier wurde Ferguson zum Sir und zur Legende, der Verein damit auch zu einer Fußballmarke.

Alex Ferguson hat die extremen Wandlungen des Fußballs vom Sport zum ganz großen Geschäft mitgemacht, sie durch seine Erfolge mit Manchester United befeuert, dabei auch persönlich profitiert. So sind die Zeiten, so ist das Geschäft. Ferguson hat das früh und sehr deutlich verstanden. Blieb er seiner Bodenständigkeit auch immer treu, so begrub er dennoch jeden Anflug von Fußallromantik gnadenlos und verschwendete daran keine unnötige Zeit. Der Ball musste erfolgreich rollen, vor allem für die globalen Geschäfte von Manchester United und seiner US-Besitzer. Und Ferguson war der Dompteur, der den Zirkus am Laufen hielt und Titel um Titel, Erfolg um Erfolg lieferte. Ein Verein wurde zur Marke.

In sportlicher Erinnerung wird bleiben, dass er es schaffte, über Jahrzehnte eine persönliche Spannkraft zu erhalten und sich nicht zu verbrauchen. Immer wieder baute er neue Teams, die den Manchester United Stil eines kraftvollen Fußballs zelebrierten, wenn anderen gerade die Puste ausging. Nur selten – wie gegen den FC Barcelona des Pep Guardiola – stieß Fergusons Truppe dabei an Grenzen, die nicht zu überwinden waren. Eine Phalanx von Weltklassespielern, Stars, guten Fußballern und Exzentrikern, die allein ein Who is Who des Weltfußballs füllen könnten, trainierte Ferguson in seinem Berufsleben. Und eines hebt ihn dabei von allen seinen Berufskollegen ab. Kein Trainer hat sich weniger von Spielern auf der Nase rumtanzen lassen als dieser Schotte Alex Ferguson. So etwas gab es bei ihm nicht. Er hatte wirkliche Macht im Verein und wusste sie knallhart zu nutzen. In Aberdeen und in Manchester stehen vor den Stadien seiner Vereine längst Statuen von ihm. Die Nachwelt ist also bereits versorgt mit einem Teil der Legende und kann dann nach Bedarf und Belieben kräftig daran stricken. Sir Alex möge noch viele gute, erfüllte und gesunde Jahre haben. Sich in einer Zeit für Fußball interessiert zu haben, als er den Zirkus dominierte, ist nicht das Schlechteste, was einem Fußballinteressierten passieren konnte. Dafür darf man dankbar sein.

*Titelbild: Steve Bower mit Alex Ferguson (Twitter: Steve Bower)

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