Gesellschaft

Sozial vs. neoliberal

Emmanuel Macron hat den Ereignissen vorgegriffen und erklärt, dass ihn auch im Fall eines Sieges der Linken niemand zwingen könne, Jean-Luc Mélenchon zum Ministerpräsidenten zu ernennen. Vielleicht jenes Volk, von dem Macron offenbar nicht so viel hält? Mélenchon hat ihm jedenfalls umgehend geantwortet: Monsieur Macron, man muss das Gesetz der Demokratie akzeptieren.“ Es könnte noch heiß hergehen zwischen den beiden Antipoden und Gesellschaftsmodellen. Hier stehen sich auch die durch Macron vertretene neoliberale Gesellschaft und die von Mélenchon vertretene soziale Gesellschaft unversöhnlich gegenüber. Die Auslandsfranzosen haben übrigens ihren ersten Wahlgang hinter sich. Für den zweiten Wahlgang qualifizierten sich im Ergebnis genauso viele Kandidaten des Linksbündnisses NUPES wie des Präsidentenlagers. Es geht also erwartet eng zu. Am nächsten Sonntag wird dann ganz Frankreich an die Wahlurne gerufen. Erster Wahlgang der französischen Parlamentswahl. Könnte die Linke tatsächlich gewinnen? Es käme wohl einem Wunder gleich. Seit Wochen inszenieren und zünden die neoliberalen Eliten ein mediales Fegefeuer, welches die Konzernmedien nur zu gern entfachen, gegen die linke Neue Ökologische und Soziale Volksunion (NUPES) und deren Spitzenkandidaten Jean-Luc Mélenchon.

Warum dieses geballte Bashing, diese Verleumdungskampagnen? Warum dieser Hass? Ganz einfach. Der Neoliberalismus könnte eine wichtige Schlacht verlieren, die er nicht verlieren will. Im Krieg der Reichen gegen die Armen wäre ein Sieg der linken NUPES in Frankreich eine gewonnene Schlacht der Armen. Zwar nur eine Schlacht. Dennoch mit Außenwirkung über Frankreichs Grenzen hinaus. Die neoliberalen Kräfte müssen sich daher durchaus fürchten. Stärker als andernorts in Europa steht diese linke Vereinigung da, die sich bei der Präsidentschaftswahl noch gespalten zeigte. Jean-Luc Mélenchon hat gezeigt, wie man eine radikal soziale, breite Koalition über viele Jahre aufbaut. Die meisten linkspopulistischen Bewegungen des letzten Jahrzehnts in Europa haben es nicht geschafft, dauerhafte Alternativen zur neoliberalisierten Sozialdemokratie zu schaffen. Aber Jean-Luc Mélenchons France insoumise widersetzte sich dem Trend und schlug mit energischer Arbeit und Argumenten immer stärkere Wurzeln im französischen Volk. Mélenchon hat nach dem Zusammenbruch der Sozialisten und der Kommunisten, die einst gemeinsam François Mitterrand an die Macht brachten, als eine Art Ein-Mann-Opposition gegen den neoliberalen Zeit- und Politikgeist, mit La France insoumise die größte linke Sammlungsbewegung Frankreichs geschaffen, die nun treibende und zentrale Kraft von NUPES ist.

Wahlkampfredner Mélenchon. In harter Gegnerschaft zu Macrons neoliberaler Politik. (Foto: NUPES)

Wo andere linke Parteien in Westeuropa kämpften, überhaupt wahrgenommen zu werden und eine schlagkräftige Organisation aufzubauen oder bescheidene Wahlergebnisse zu wiederholen, hat sich France insoumise als Schlüsselkraft in der französischen Politik etabliert. Bei der Präsidentschaftswahl im April erhielt Mélenchon 22 Prozent Unterstützung, und vor den Wahlen zur Nationalversammlung am 12. und 19. Juni liegt seine breit aufgestellte linke Koalition in Umfragen bei 30 Prozent Unterstützung. Damit Kopf-an-Kopf mit den neoliberalen und rechten Kräften. Dass Marine Le Pen und Präsident Macron gleichermaßen gegen NUPES mobil machen, erklärt sich von selbst. Angesichts dieses relativ seltenen Falls einer radikalen linken Partei, die erst um 2010 gegründet wurde und bis in unsere Gegenwart weiter wächst, blicken Menschen auf dem ganzen Kontinent auf France insoumise als Beispiel. Dieses Beispiel wollen neoliberale Eliten von jener Bauart, die sich unlängst in Davos zusammenrotteten, natürlich unbedingt verhindern. War eine solch positive Entwicklung noch vor wenigen Monaten nicht absehbar, so ist dies auch nicht der plötzliche Durchbruch einer unbekannten Kraft. Die ideologische und organisatorische Basis um Mélenchon wurde über fünfzehn Jahre hinweg aufgebaut, unter anderem durch eine knallharte Opposition gegen den etablierten Neoliberalismus, der auch zum Mantra regierender Sozialdemokraten wurde. Erst der Totalausfall der europäischen Sozialdemokratie, durch deren Schwenk ins neoliberale Lager, machte France insoumise möglich wie notwendig.

Programm von NUPES. Radikale Wende zurück zu einem sozialen Frankreich.

Viele Meinungserhebungen zeigen auf, dass die französischen Wähler die gähnende Ungleichheit in der Gesellschaft und die Lebenshaltungskosten als ihre wichtigsten Themen betrachteten. Darauf einzugehen, wurde der Kernpunkt von Mélenchons eigener Kampagne. Dabei konnte er auf ein sorgfältig ausgearbeitetes Programm zurückgreifen, das von sehr vielen Gruppen und Persönlichkeiten der Zivilgesellschaft unterstützt wurde. Mélenchon hatte nicht nur Parolen, sondern immer auch Antworten für seine Wähler und Zuhörer. Die üblichen Ablenkungsgefechte der Medien und Eliten, sobald jemand soziale Missstände anprangert, perlten an Mélenchon ab. Er hielt Kurs, France insoumise wurde mit ihm so stark wie nie und im Ergebnis hat der Wähler nun mit NUPES eine echte Alternative zur aktuellen Politik und nicht nur neoliberale Parteien in unterschiedlichen Kleidern. Auch in Frankreich gibt es eine Berieselung durch Konzernmedien und Tittytainment im neoliberalen Geist, welche die Menschen mit aller Macht in politischer Abstinenz und Dummheit halten wollen. Mächtige Konzernmedien tun alles, um die Menschen wieder und wieder fehlzuleiten, damit diese weiterhin gegen ihre eigenen Interessen wählen und dem neoliberalen Gesellschaftsumbau nicht im Weg stehen. Mélenchon hat diese Situation nicht nur benannt, er bekämpft sie aktiv und versucht, mit NUPES die Menschen zu mobilisieren und aus ihrer Lethargie zu reißen.

NUPES bewegt die Menschen und weckt neues Politikinteresse. (Foto: NUPES)

Macrons ‚Les Républicains‘, Le Pens ‚Rassemblement National‘ und Mélenchons ‚NUPES‘ sind die drei Lager bei dieser Parlamentswahl und in der französischen Gesellschaft. Schon die Verschiebung von nur ein oder zwei Prozent kann den einen zum Sieger, den anderen zum Verlierer der Wahl machen. Im Mehrheitswahlrecht kommt es auf die Wahlkreise an. Dort gewinnen die Kandidatinnen und Kandidaten von NUPES an Zuspruch. Wird es reichen? Die Gefahren für die Linke lauern in der Enthaltung und Resignation jener Bevölkerungsteile, die sich nicht mehr mit demokratischen Institutionen identifizieren, den von Macrons Politik geschädigten Menschen. Mélenchons Kampagne von 2022 kann zwar in Anspruch nehmen, am besten dazu beigetragen zu haben, ehemalige Nichtwähler anzuziehen. Doch die Macron-Bewegung versucht weiter eine Demobilisierung und ist an einer hohen Wahlbeteiligung nicht interessiert. Wenn NUPES die Wahl gewinnt, will die Volksfront Macron zwingen, Mélenchon zum Ministerpräsidenten zu ernennen. Sollte Macron den Mehrheitswillen ignorieren wollen, will NUPES den Konflikt mit dem Präsidenten wagen. Verliert NUPES wird Mélenchon die politische Bühne verlassen. Sein Erbe ist eine geeinte Linke mit Chancen und Kraft. Dies zu erhalten und dann in politische und soziale Siegen umzuwandeln, hat er den Jüngeren schon auf den Weg gegeben. Die nächsten Tage werden zu den spannendsten der jüngeren Geschichte Frankreichs gehören, weil die Auswirkungen nicht nur Frankreich betreffen. Lebendige Politik und der echte Versuch, dem Neoliberalismus in den Arm zu fallen, machen einen Blick zu unseren Nachbarn weiterhin lohnenswert.

Frankreichs Jugend setzt auf Mélenchon. (Foto: NUPES)

Mélenchon ist nicht nur einer der wortmächtigste Redner der Fünften Republik, er gilt auch als der belesenste Politiker Frankreichs. Selbst seine Stegreifreden leben von den Tönen große französischer Schriftsteller und Intellektueller. Zum Umgang der Reichen mit den Armen in Frankreich richtete er sich vor Tagen direkt an Präsident Macron:

Ich rufe Herrn Macron die Worte ‚Aus der Hölle der Armen wird das Paradies der Reichen gemacht‘ von Victor Hugo zu: Sie haben den Reichen diesen Himmel gemacht, mit der Hölle, die sie den Armen auferlegt haben. Wir werden alles tun, um dieses Elend zu beseitigen.

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