Gesellschaft

Vergifteter Sieg der Nichtwähler

Die Wahlbeteiligung in Frankreich lag bei 46,14 Prozent der Wahlberechtigten. Über die Hälfte, also 22 Millionen Menschen haben an dieser Schicksalswahl keinerlei Interesse gezeigt. Emmanuel Macron kassierte die größte Wahlklatsche eines neu gewählten Präsidenten in der Geschichte der Fünften Republik. Sein Bündnis holte 38,60 Prozent, das Linksbündnis NUPES erreichte 32,60 Prozent, die Partei von Marine Le Pen 17,35 Prozent, die Republikaner 7,29 Prozent. Der Rest verteilt sich verstreut. Das linke Bündnis konnte seine Sitze in der Nationalversammlung verdreifachen, Marine Le Pen den Anteil ihrer Partei Rassemblement National verzehnfachen (!). Die Linke ist geeint und hat mit ihrem Bündnis NUPES die Rolle der ersten Oppositionskraft im Land zurückgewonnen. Ihr charismatischer Einiger und Anführer Jean-Luc Mélenchon wird aber nicht Ministerpräsident. Ziel verfehlt. Was allerdings noch wesentlich schlimmer, auf der anderen Seite wird der neoliberale Parteienblock immer eine Mehrheit für seine Politik zusammenbekommen. Das geheime Bündnis Macron mit Le Pen gegen die Linke lebt schon, worüber hierzulande nicht berichtet wird. In 56 von 61 Fällen weigerten sich die Kandidaten von Emmanuel Macron, die im ersten Wahlgang ausgeschieden waren, ihre Wähler zur Stimmabgabe für NUPES aufzufordern, um Le Pens Erfolg zu verhindern.

Marine Le Pen ist wieder da. Künftig Unterstützerin von Emmanuel Macron? Gut möglich.

Frankreich politisch zerrissen. Der größte, aber ohnmächtige Block, die Nichtwähler. Zwei Tweets auf Twitter beschreiben die Lage französischer Bürger gut. „Wir werden jetzt wie geplant Blut spucken. Lohnkürzungen, Rente mit 65, Privatisierung von Bildung und Gesundheit etc. es wird eine schlimme Metzelei“ schrieb einer, der nicht zur Wahl gegangen. Merkwürdig. Darauf reagierte ein anderer User: „Es ärgert mich. 5 Jahre lang werdet ihr euch jetzt beschweren, zickig sein, demonstrieren, Kreisverkehre blockieren. Am Tag der Abrechnung (Präsidentschafts- und Parlamentswahlen) habt ihr aber eure Stimme weggeworfen. Die Strafe, die jetzt folgt, habt ihr verdient. Für Beschwerden und Schmollen ist es zu spät.“ Der politische Riss geht tief durch die Bevölkerung. Das Demokratiemodell der Europäer folgt dem der USA, die Menschen wenden sich trotz  politischer Sonntagsreden von Eliten und der schönfärbenden Begleitmusik der Medienmaschinerie immer mehr ab.

Jean-Luc Mélenchon. Die Nichtwähler konnte auch der Volkstribun nicht mehr erreichen.

Im Lager der Linken Befriedigung über die Rückkehr auf die politische Bühne. Bei denen, die sich noch für Politik und Wahlen interessieren, konnte NUPES und ihr Vorkämpfer Jean-Luc Mélenchon Punkt um Punkt und Erfolg um Erfolg sammeln. Die Masse der Nichtwähler konnte auch diese Volksbewegung nicht mehr mobilisieren. Dabei bot NUPES wirklich Menschen auf, die aus dem Volk. Die Reinigungskraft Rachel Keke besiegte in ihrem Wahlkreis neoliberale Kandidaten der Rechten und des Macron-Lagers. Das Wort geht nun an Jean-Luc Mélenchon, der den Stab an eine jüngere Generation der Linken weitegibt, deren politisches Haus von ihm gut gebaut. Vor tausenden Anhängern, die spontan zum Quartier von NUPES geströmt waren, sprach er noch am Wahlabend:

Befreie dich von deinen Vorurteilen, von Gier und von Verachtung. Befreie dich selbst, um die Gesellschaft zu befreien! Wenn Sie beginnen, in jedem menschlichen Gesicht nicht das zu sehen, was sich von Ihnen unterscheidet, sondern genau das, was ähnlich ist, werden Sie zu diesem unglaublichen Wesen: der Menschheit. Ich vertraue darauf. Je schwerer es für die verrottete alte Welt ist, in der wir leben, sich politisch zu behaupten, desto größer sind die Möglichkeiten für uns. Je mehr es dem Kapitalismus schwerfällt, den Menschen zu schaden, desto mehr ist die Möglichkeit der Solidarität da. Die Niederlage der Präsidentenpartei ist total. Wir haben das politische Ziel erreicht, das wir uns in weniger als einem Monat gesetzt hatten: den Mann zu Fall zu bringen, der mit so viel Arroganz dem ganzen Land den Arm verdreht hatte. Ich möchte Ihnen sagen, dass alle Möglichkeiten in Ihren Händen liegen. Was mich betrifft, ich ändere die Kampfposition, aber ich bleibe in Ihren Reihen, wenn Sie es wollen. Für die Ehre der Arbeiter und für eine bessere Welt. Auch wenn Macron es nicht will, wir sind hier.

Spontanversammlung am Wahlabend. Menschen vor dem Pariser NUPES-Quartier.

 

 

 

 

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