Gesellschaft

Vom Kampf- zum Feiertag

Beginnen wir am heutigen 1. Mai 2022 mit einem Mann, der wahrlich kein Linker, nicht einmal im Verdacht steht, ein Papier-Linker zu sein. Robert Reich war von 1993 bis 1997 der Arbeitsminister in der Administration von US-Präsident Bill Clinton. In den letzten Jahren wurde er ein weltweit gehörter Kritiker des Neoliberalismus. (Es wäre ganz schön, wenn Politiker ihre Menschenfreundlichkeit einmal in Ämtern entdecken könnten und nicht, nachdem sie diese verlassen haben. Was aber ein anderes Thema.) Dieser Wirtschaftsprofessor Reich erklärte am 26. April 2022 über seinen Twitteraccount:

Zuckerberg besitzt Facebook, Instagram und WhatsApp. Jeff Bezos gehört die Washington Post. Elon Musk gehört Twitter. Wenn Multimilliardäre die Kontrolle über unsere wichtigsten Kommunikationsplattformen übernehmen, ist das kein Gewinn für die Meinungsfreiheit. Es ist ein Sieg für die Oligarchie.

So weit zu Herrn Reich und seiner klaren Sicht auf die Oligarchen, der wir hier absolut zustimmen. Schauen wir nun auf die Arbeiter, die heute kaum noch so bezeichnet, erneut mehr und mehr in ein Leben als Unterschicht gezwungen werden. Man denke an Minijobs, Niedriglohnsektoren oder die moderne Form der Sklaverei, die ein Bezos bei seinen Amazon-Mitarbeitern durchexerziert, an Uber-Fahrer oder ein Heer von Paketboten. Jene dienstbaren und jederzeit austauschbaren Geister der neuen und doch ewigen Ausbeutung. Deren aller Kampftag, der längst in unseren Gefilden zum Feiertag gestutzt, sollte es sein und bleiben. Der 1. Mai, der Internationale Arbeitertag, hat seinen Ursprung in einem der wichtigsten Gewerkschaftskämpfe des 19. Jahrhunderts, dem Kampf um die Begrenzung des Arbeitstages auf 8 Stunden. Jenseits der einfachen Tradition war dieser Tag lange Zeit kein Tag des Feierns, sondern des Kampfes. Verdoppelt als Gedenktag, um an das Massaker am Haymarket Square Anfang Mai 1886 in Chicago zu erinnern. Schon Jahre zuvor organisierte Karl Marx 1864, drei Jahre vor der Veröffentlichung des Kapitals, die Internationale, die stets dafür kämpfte, dass „die Emanzipation der Arbeiter das Werk der Arbeiter selbst sein muss“. Diese Erkenntnis mag überkommen klingen, wurde und wird von den Eliten und ihren Propagandisten natürlich in den Schmutz gezogen. Dennoch bleibt dieser Satz absolut aktuell.

Nicht nur die Sache der Arbeiter befindet sich angesichts der Allmacht der Milliardäre vom Schlag der Bezos, Musk, Buffett, Arnault, Ambani, Gates und Konsorten sowie derer politischen Vollstrecker mehr denn je in einer Sackgasse, sondern die Menschen als Ganzes kommen weiterhin und immer schlimmer unter die Räder des globalen Neoliberalismus. Der wahre Krieg, jener der Reichen gegen die Armen, tobt unverhohlen. Ob die Klasse der Reichen siegt, wie es der Milliardär Warren Buffett lachend der New York Times verkündete, muss sich zeigen. Es ist leider anzunehmen. Doch sogar tausendfach getretene Hunde haben eines Tages überraschend zurück gebissen. Diese (kleine) Hoffnung bleibt.

Engels und Marx. (Lithographie)

Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion. Wie der Wilde mit der Natur ringen muss, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, um sein Leben zu erhalten und zu reproduzieren, so muss es der Zivilisierte, und er muss es in allen Gesellschaftsformen und unter allen möglichen Produktionsweisen. Mit seiner Entwicklung erweitert sich dies Reich der Naturnotwendigkeit, weil die Bedürfnisse sich erweitern; aber zugleich erweitern sich die Produktivkräfte, die diese befriedigen. Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehen, dass der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehen. Aber es bleibt dies immer in Reich der Notwendigkeit. Jenseits desselben beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühen kann. (Karl Marx: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Dritter Band.)

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert