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In einer Welt voller Irrsinn nebst vieler Irrer darf man auch mal einen Blick zu den hellen, faszinierenden und vor allem friedlichen Köpfen werfen, um an der Menschheit nicht zu verzweifeln. Schauen wir also zum Fields-Preis herüber, der in der vergangenen Woche verliehen wurde. Ausgezeichnet wurden vier Menschen, die man wohl als Koryphäen auf ihrem Gebiet bezeichnen darf. Maryna Viazovska (Ukraine), Jaymes Maynard (Großbritannien), June Huh (USA/Südkorea) und Hugo Duminil-Copin (Frankreich). Der Fields Preis (Fields-Medaille) gilt als höchste Ehre, die ein Mathematiker erringen kann. Unter Wissenschaftlern noch höherrangiger als die Nobelpreise eingestuft, da der Fields-Preis nur alle vier Jahre verliehen wird. Die Ausgezeichneten sind die Crème de la Crème der Mathematik. Warum von Alfred Nobel ausgerechnet die Mathematik in seinem Nobelpreistestament vergessen wurde, bleibt im Dunkeln. Oder unter der Bettdecke. Es grassieren dazu zwei erklärende Versionen. Anekdoten passt vielleicht besser. In einer Erzählung wollte die russische Mathematikerin Sofya Kowalewskaja nicht mit Alfred Nobel unter besagte Bettdecke. Die andere Erzählung unterstellt dem schwedischen Mathematiker Gösta Mittag-Leffler, seinerzeit mit der Gattin von Nobel die Bettdecke geteilt zu haben. Dabei gibt es allerdings ein kleines Problem, denn der mürrische Dynamit-Erfinder Alfred Nobel hatte nie eine Gattin. Insofern wird die Geschichte um Sofya Kowalewskaja mehr und mehr favorisiert. Natürlich gern verbreitet. Was auch immer, wer mit wem oder eben nicht. Die Mathematik ging bei Nobel jedenfalls leer aus. Da erbarmte sich 1936 der kanadische Mathematiker John Charles Fields und schuf den nach ihm benannten Preis. Das Preisgeld aber bei Weitem nicht so üppig, wie es bei Nobel der Fall. Festgeschrieben sind 15.000 kanadische Dollar, was ca. 11.300 Euro. Für einen Nobelpreis gibt es in jeder Kategorie aktuell 987.000 Euro.

Fields-Preisträger 2022: Maryna Viazovska, Jaymes Maynard, June Huh und Hugo Duminil-Copin. (Zeremonie Helsinki)

Einmal in seiner bisherigen Geschichte wurde der Fields-Preis von einem Ausgezeichneten abgelehnt. Der Russe Grigori Perelman, gilt als absolutes Genie und Jahrhundertmathematiker. Unter den Mathematikern sozusagen ein Einstein. Er lehnte den Fields-Preis, der ihm 2006 zugesprochen wurde, nebst Preisgeld ab. Schon 1996 lehnte er den Preis der Europäischen Mathematischen Gesellschaft ab. Damit noch nicht genug. Perelman ist der einzige Mathematiker, dem es bisher gelang, eines der sogenannten Millennium-Probleme, also eines der sieben ungelösten Probleme der Mathematik gelöst zu haben. 2002 hatte Grigori Perelman am Steklow-Institut in Sankt Petersburg nämlich die Poincaré-Vermutung bewiesen. Diese besagt, dass ein geometrisches Objekt, solange es kein Loch hat, zu einer Kugel deformiert werden kann. Und das gelte nicht nur im Fall einer zweidimensionalen Oberfläche im dreidimensionalen Raum, sondern auch für eine dreidimensionale Oberfläche im vierdimensionalen Raum. Für die Beweisführung gab es keine Auszeichnung, aber ein ausgeschriebenes Preisgeld vom ‚Clay Mathematics Institute‘ (CMI) zur Förderung der Mathematik (Peterborough, New Hampshire, USA) in Höhe von einer Million US-Dollar. Perelman lehnte auch dieses Preisgeld kategorisch ab. Stattdessen verließ er sogar das Steklow-Institut und zog wieder zu seiner Mutter, um in Ruhe und ungestört arbeiten zu können. Preise und Preisgelder nebst internationaler Aufmerksamkeit und Anerkennung hatte Perelman einzig als Störung seiner Konzentration und seines Denkens empfunden. Dazu wurde eine persönliche Aussage von Grigori Perelman aus seinem Umfeld wiedergegeben:

Die Leere ist überall, und sie kann berechnet werden, was uns eine große Chance gibt. Ich weiß, wie ich das Universum berechnend kontrollieren kann. Also sag mir, warum sollte ich mich für eine Million interessieren? Menschen wie ich sind isoliert. Ich möchte nicht wie ein Tier im Zoo zur Schau gestellt werden.

Grigori Jakowlewitsch Perelman

Zurück zu den frisch Ausgezeichneten und einem ihrer Vorgänger, der den Preis nicht ablehnte. Cédric Villani, der französische Fields-Preisträger von 2016, gratulierte seinem Landsmann Hugo Duminil-Copin wie folgt: „Hugo ist Spezialist für mathematisch-statistische Physik. Wie ich, aber ich bin auf der analytischen Seite und er auf der probabilistischen Seite, in der Tradition von Wendelin Wener (Preisträger 2006) und Stas Smirnov (Preisträger 2010).“ Der Autor dieser Zeilen versteht schon seit der Passage mit der Poincaré-Vermutung nur noch Bahnhof und möchte nicht im Entferntesten den Eindruck erwecken, irgendetwas über Mathematik zu wissen. Daher soll das kluge Wort in Angelegenheit dieser Preisträger dem Magazin ‚Spektrum der Wissenschaft‘ entliehen werden:

Ein britischer Zahlentheoretiker (James Maynard), der bereits als dreijähriges Kind spielerische Aufgaben als lächerlich empfand; ein südkoreanischer Kombinatoriker (June Huh), der lange dachte, er sei schlecht in Mathematik; ein sportbegeisterter französischer Netzwerktheoretiker (Hugo Duminil-Copin), der für den Geschmack einiger Professoren zu laut diskutiert; sowie eine ukrainische Zahlentheoretikerin (Maryna Viazovska), der es endlich gelang, das Problem der dichtesten Kugelpackungen in hohen Dimensionen zu lösen. Die diesjährigen Gewinner der Fields-Medaille, eine der höchsten Auszeichnungen der Mathematik, könnten unterschiedlicher nicht sein.

GERADEZU gratuliert allen Preisträgern. Herzlichen Glückwunsch. Chapeau!

*Titelbild: Fields-Medaille 

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