Leben

Blauer Anzug und cremefarbenes Kleid auf Sylt

Was für Tage. Und wir alle dabei und mittendrin. Als Hempel noch unter das Sofa schaute, stellte er sich wohl so das Paradies vor. Ein bekannter Finanzminister (Liberaler?) heiratet eine Springer-Mitarbeiterin (Journalistin?), was zuerst einmal einen Glückwunsch nach sich ziehen sollte. Hiermit ausgesprochen. Möge die Ehe halten, gut werden und die Beteiligten gesund bleiben. Warum, was und wie müsste selbstverständlich Privatsache des Paares sein und bleiben. Doch das Ereignis wurde natürlich anders eingerichtet. Was sich mit und um diese Hochzeit bewegt, wird auf den Seiten der Zeitung, die gerne schreibt, was wir denken sollen, vermarktet, ausgeschlachtet und breitgetreten. Nun gut, wenn eine Kollegin aus dem eigenen Haus einen Spitzenpolitiker zum Altar begleitet, ist die Versuchung eben groß und PR-Deals schnell geschlossen. So können die Deutschen teilhaben, die so etwas mögen und sich davon beflügeln lassen. Zumal der große und feuchte Nachkriegstraum der oft arg lieblosen Wirtschaftswunderdeutschen – die öffentliche Eheschließung zwischen dem Silberwaldförster und dem Schwarzwaldmädel am rauschenden Wildbach mit röhrendem Hirsch – niemals in Erfüllung ging. Bedenklich stimmt es, wenn man in für seriös gehaltenen Medien damit auch noch eins übergebraten bekommt. Der Berliner Tagesspiegel bot online ein Update des Hochzeitsartikels, damit Lieschen Müller und Franz Gans immer den neusten Stand zur Hand haben, was da so am Ort des Geschehens (Sylt) los ist. Selbst der Spiegel schunkelt online mit. Was wohl Rudolf Augstein dazu sagen würde?

Jedenfalls erfährt über alle verfügbaren Kanonenrohre der Medien eine breite Öffentlichkeit, die sehr gierig, aber auch eine schmale Öffentlichkeit, die eher desinteressiert, was so Sache ist. Natürlich, dass Friedrich Merz mit dem Privatflugzeug angereist, eher angeflogen kam. Die Empörung sollte sich in Grenzen halten. Donald Trump kam einst mit seiner eigenen Boeing 757 angeflogen, als er sich auf den Weg machte, endlich US-Präsident zu werden. Merz kommt eher in einer kleinen Hutschachtel, die schon von Otto Groschenbügel geflogen wurde, der besser als ‚Quax, der Bruchpilot‘ bekannt. Merz will nicht Präsident werden, obwohl er sich zu Höherem berufen fühlt, deswegen wohl die Fliegerei, sondern nur Bundeskanzler. Auf der anderen Seite flog Merz selbst, was Trump, Gott sei es gedankt, nie versuchte. Wenigstens das nicht. Seine runderneuerte Boeing 757 macht sich aktuell wieder auf in die Lüfte, wer weiß, wohin sie politisch noch fliegt. Zu Merz fällt einem mehr nicht ein, also weiter in der Hochzeitsumschau. Wenn schon bunt unterwegs, dann richtig. Auch wir können Boulevard. Herzschmerz sowieso. Sylt beflügelt halt Gedanken. Oder auch nicht. Was vor allem alte bundesrepublikanische Eliten und selbst ernannte Edle heraufbeschworen, den Zauber von Sylt, darf man getrost anders sehen. Weil dieser Zauber eher für Geld und nicht für wahre Schönheit steht. Über Sylt lässt sich sehr gut sagen, was Kurt Tucholsky schon vor hundert Jahren über das mondäne Saint-Tropez an der französischen Riviera schrieb: „Wer hierherfahre, mache krampfhaft ein vergnügtes Gesicht und wage es nicht, sich einzugestehen, dass es an hundert andern Küsten schöner, weiter, kräftiger und naturhafter ist“.

Sylt von oben. Für Reiche, Schöne und edle Hochzeiten. Neuerdings auch für Punks. Natur verbindet.

Irgendeine Runkel, Rikel, Rankel vom heimlichen Politikmagazin der Deutschen, genannt ‚Bunte‘, wurde im Angesicht des Paares ganz sabbernd und seicht, faselte was von den Kennedys. Nur Hirnweiche oder ein Blitzschlag? Das Kleid der Braut jedenfalls cremefarben, der Anzug des künftigen Gemahls irgendwas mit blauem Grundton. Schön. Spaßiges gab es in einem Nebenprogramm. Punks, die neuerdings mit dem 9-Euro-Ticket bevorzugt Sylt ansteuern, wollten irgendwie lärmend Putz verbreiten. Allerdings machen weite Anreise und diverse Räusche auch Punkbirnen weich. So landeten die Punks mit ihrer geplanten Attacke am falschen Ort und im falschen Hotel. Nichts mit Rabatz. Punks sind auch nicht mehr, was sie vielleicht niemals waren. Der Schreiber dieser Zeilen will nicht zu sehr spotten, landete selber schon auf einer falschen Hochzeitsgesellschaft, die ihn bis zur Aufklärung des Irrtums äußerst freundlich behandelte. Weit weniger lustig natürlich der ausgewiesene Prominentenstatus jener uns hier beschäftigenden Sylt-Hochzeit, die als ‚Hochzeit des Jahres‘ medial verwurstet wird.

Ein Zwischenhalt in den sozialen Medien. Jemand, der sonst von sich, einem Stahlhelm und den Gebrüdern Klitschko aus Kiew postet, sendet nun ein Selfie von der Traumhochzeit. Was es alles so gibt. Auffällig übrigens eine gewisse Hochnäsigkeit von jungen Redakteuren diverser Blätter und Medien. Die verbringen natürlich ihr halbes Leben auf Twitter und sind dort, wie sie versichern, ganz und ausschließlich privat. Da nehmen sie natürlich schnell wahr, wohin die Ströme fließen. Gut für den eigenen Job. In Sachen der beschriebenen Hochzeit ist in der sozialen Blase alles dabei. Von Jubel bis Freude über die satirische und hämische Begleitung bis zu Dummheit und dumpfer Verachtung. Das übliche Schicksal solcher Ereignisse, zumal bei Beteiligung von Politikern. So etwas nehmen twitternde Nachwuchskräfte wie auch viele gestandene Medienvertreter kaum noch wahr, es ist zu alltäglich. Was sie wahrnehmen und mit Empörung von oben herab abwertend anmerken, ist der angebliche Neid kleiner oder einfacher Leute, den sie unterstellen. Weil jene sich nicht an der Hochzeit erfreuen können und auf Kosten, Kontostand und Möglichkeiten reicher Menschen hinweisen, die sich solche Art Feste leisten können. Dann twittert der journalistische Nachwuchs etwas von Neid und dass es schließlich Privatsache sei und niemanden etwa angehe. So setzen erstaunlicherweise gerade Medienarbeiter einer jüngeren Generation solche oberflächlichen Tweets ab und vergessen dabei völlig, dass zeitgleich ihre Arbeitgeber und Brötchengeber diese Privatsache laut durchs ganze Land blasen, um Auflage und Quote zu machen. Viel schlimmer ist allerdings der sorglose und falsche Umgang mit dem Begriff Neid.

Kein Ereignis ohne Tweet. (Collage: Gerd Altmann auf Pixabay)

Neid ist längst ein neoliberaler Kampfbegriff, mit dem die Unterschicht von ihrem Ruf nach einem Mindestmaß an sozialer Gerechtigkeit abgehalten werden soll. Indem man den Armen und sozial Schwachen mit solchen Begriffen wie Neid verbal nachstellt, will man ihnen niedere Motive unterjubeln und damit eine peinliche Scham aufzwingen. Eine Scham, die eigentlich die Oberschicht bei ihren Lebensformen und Festivitäten viel mehr empfinden sollte, wird hier umgekehrt und gegen jene Unterschicht instrumentalisiert, die man sich damit vom Leibe halten will. Die Unterstützer des „vom Leibe halten“ sind jene, die sich als kleine Handlanger, und sei es auf Twitter, für solche Art Manipulationsversuche hergeben, weil sie mit flotter Hand Dinge ausquatschen, bevor sie diese durchdacht haben. Der hierzulande gern zitierte Jesus steht in der Bergpredigt nicht an der Seite der Edlen und Reichen, sondern der Armen. Jener Menschen, die sich abmühen und dennoch verachtet werden. Er wettert gegen Maßlosigkeit und Völlerei. So erzählt uns zumindest die Bibel. (Bert Brecht empfahl übrigens die Bibel seiner Tochter Barbara zur unbedingten Lektüre.) Neid jedenfalls hat man Jesus in den letzten 2000 Jahren nicht unterstellt. Kann selbstverständlich noch kommen.

Zurück zum Prominentenstatus. Was deutscher Provinzgeist so für Glanz und Gloria hält, durfte besichtigt werden, jedenfalls bei Anfahrt. Die Braut fuhr mit Vater im offenen Porsche vor. Was für eine Meldung! Derweil sammelten sich an den Wegen die Plebejer  einträchtig mit denen, die sich für schön halten und reich sind, um einen gemeinsamen Blick auf die Welle der Promis zu erhaschen, die da nun über sie schwappen werde. Und wer kommt dann in der Promi-Spur des Weges und in den Blick der Erwartungsvollen? Wolfgang Kubicki. Jener? Ja, genau dieser. Man muss schon in einen Bergwerksstollen kriechen und die Eingänge verrammeln, will man in diesem Land Wolfgang Kubicki entrinnen. Die armen Gaffer. Wer auf Götter wartet und nur einen säuselnden Landpfarrer zu Gesicht bekommt, darf zurecht übellaunig die Heimreise antreten. Ein kleiner Trost für den Heimweg. Bundeskanzler Olaf Scholz ereilte ein ähnliches Schicksal. Selbst der Regierungschef konnte Kubicki nicht entrinnen. Das Foto, welches die Runde macht und den Kanzler und seine Ehefrau als Hochzeitsgäste zeigt, wird wie selbstverständlich vom unvermeidlichen Wolfgang Kubicki geziert. Ob Kubicki jetzt als Conférencier, Empfangschef, Hofnarr oder gewöhnlicher Gast mit offizieller Einladung an dieser Hochzeit teilnahm, lässt sich nicht völlig klären. Es ist auch egal. Was vergessen? Sicher. Aber irgendwann ist es wirklich genug.

*Titelbild: SplitShire auf Pixabay

 

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