Gesellschaft

Wandel ohne Annäherung

Sprechen nun ausschließlich Panzerketten und „Luftschläge“? Offensichtlich. Es wandelt sich gerade etwas in die falsche Richtung und von Annäherung der Völker, vertreten immer durch Regierungen, kann selbst unter Optimisten keine Rede sein. Die Schriftstellerin Sibylle Berg twitterte noch dieser Tage: „Mein ukrainischer Übersetzer ist tiefenentspannt“. So etwas passt nicht in die kriegerische Aufgeregtheit unserer Welt und ist gerade jetzt wohl auch nicht mehr gültig. Entspannung ist nicht das Wort der Stunde. Ein mehr und mehr undurchsichtiges wie irrationales Russland (Oder ist Russland längst nur noch Putin?), aber auch der sogenannte Westen, vorrangig die USA, die NATO und leider eine unsortierte EU haben Fingerspitzengefühl und Augenmaß im gegenseitigen Umgang verspielt. Auf das Scheitern der Diplomatie folgte nun das Ende für ein gedeihliches Miteinander der Völker. So oder so keine wirklich guten Aussichten.

Krieg ist kein Geschäft für Journalisten. Medien beherrschen leider nur dessen Propagierung. Man muss das blutige Handwerk den Militärs überlassen, die dafür ausgebildet und jetzt offensichtlich zum Zuge kommen, weil viele Politiker, deren Politik und vor allem die Diplomatie versagt und Putin den Rubikon selbstherrlich überschritten hat. Welcher Militärbefehlshaber, der seinen Clausewitz gelesen, marschiert in einen Flächenstaat, dessen Territorium viermal größer als jenes der Bundesrepublik? Wenn man diese Fläche bei Widerstand erobern, besetzen und halten will, müsste man ja Millionen an Soldaten, Tausende Panzer und noch allerhand Kriegs- und Versorgungswerkzeug aufbieten. Dazu ist niemand in der Lage, ein wirtschaftlich angeschlagenes Russland schon gar nicht. Was immer auch in/um die Ukraine gerade passiert. Ob dem Übertritt an den Grenzen und den Luftangriffen eine Invasion mit anschließender Besetzung der Ukraine folgt, ist bei deren territorialen Ausmaßen schwer vorstellbar und gegen jede Logik. Selbst in der Denkweise von skrupellosen Militaristen. Russland kann in Gesamtheit ins Verderben rutschen, wenn man aus dem eigenen Afghanistan Fiasko nichts gelernt. Danach sieht es allerdings aus.

Was geht hinter Kremlmauern vor? (Foto: ArtHouse Studio von Pexels)

Oberbefehlshaber der russischen Armee ist nicht deren Generalstabschef Gerassimow, sondern Wladimir Putin. Der degradierte unlängst seinen Auslandsgeheimdienstchef in einem taufrischen Videoschnipsel aus Russlands Sicherheitsrat öffentlich zu einem unmündigen Schüler und meierte diesen mit höhnischen Schulmeisterfragen wie einen Minderbemittelten ab. Dieses passiere erneut in einem gigantischen Konferenzraum in den Ausmaßen einer Reithalle und passte zu dem riesigen Tisch, an den Staatsgäste drapiert wurden. Ob man sich als Zar solche Art Demütigung gegen Leute aus dem inneren Zirkel auf Dauer leisten kann? Die russische Geschichte lehrt anderes. Den mächtigen und größenwahnsinnigen Stalin ließen seine Genossen im eigenen Urin liegen, bis er auch wirklich hinüber. Berija verhaftete man im Politbüro mit baldigem Kopfschuss in der Lubjanka. Chruschtschow blieb am Leben, wurde kaltgestellt und auf die Datscha geschickt. Iwan der Schreckliche erschlug seinen Nachfolger in einem Wutanfall, der nebenbei auch sein Sohn. Peter der Große ließ wiederum seinen Sohn und Nachfolger zu Tode foltern. Den Macher, Gründer und Befehlshaber der Roten Armee, sogar Sieger im Bürgerkrieg, erwischte es im fernen Mexiko mit einem Eispickel. Es kann einem in Russland also arg übel ergehen, selbst wenn man sich ganz oben wähnt.

Ilja Repin malte 1870 Ivan den Schrecklichen mit totem Sohn.

Im Feld derer, die in unseren politischen Breitengraden Russland kommentieren und interpretieren, wird eine Frage nie beantwortet. Was (wer) käme nach Putin? Ein Gremium, ein neuer Zar, ein Militär? Die laufende Berichterstattung folgt dem für kriegerische Zeiten üblichen Propagandafeuer aus beiden Richtungen und bietet daher wenig Orientierung. Für Otto Normalverbraucher fällt eine Lagebeurteilung schwer. Man muss allerdings kein Prophet sein, um zu wissen, dass über viele Jahre das Thema Ukraine als Konfliktherd uns alle beschäftigen und die politische Agenda bestimmen wird. Fehlende Instinkte für politische Chancen und für politische Gefahren auf beiden Seiten, geringe Kenntnis über die Mentalität anderer Völker haben nun losgetreten, was wir haben. Krieg? Scharmützel? Aktion? Invasion? Ob wir mit eigenen Truppen, also Soldaten im Rahmen eines NATO-Heeres Richtung Russland marschieren? Bei Beginn einer Pandemie herrschte unter uns schon in Sachen Klosettpapier und Mehl Hysterie. Wie kriegstauglich ist der deutsche Verbraucher in seiner Wohlstandsblase mit der „ich will regelmäßig in den Urlaub“ Mentalität? Es wird sich zeigen. Weitere Fragen stehen im Raum. Was kann man militärisch einer Atommacht entgegensetzen? Welche Rolle spielt China in diesen Tagen? Wo Antworten ausbleiben, flüchtet man sich gerne in die Welt der Dichter. Einer dieser Literaten, der Franzose Paul Valéry (1871 – 1945), erlebte zwei Weltkriege und kam zu folgendem Fazit:

Der Krieg ist ein Massaker, bei dem sich Menschen umbringen, die einander nicht kennen, und zwar zum Ruhm und zum Vorteil von Leuten, die einander kennen, aber nicht massakrieren.

*Titelbild von Pexels.

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