Leben

Zwischen Fledermaus und Medienzar

„Die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren: Es ist die Zeit der Monster.“ (Antonio Gramsci)

„Wer, wie, was – wieso, weshalb, warum – wer nicht fragt, bleibt dumm“ klingt es in der Sesamstraße. Dumm bleibt auch, wer nicht nachdenkt, warum er etwas erzählt bekommt und von wem. Das gilt nicht nur für Kinder. Aktuell machte sich ein Murdoch-Reporter daran, die neueste Theorie über das Wuhan-Labor in die Welt zu setzen, selbstredend mit von US-Beamten zugespielten Infos. Dieser Reporter ist kein geringerer als Michael R. Gordon, der einst im Dienst der New York Times behauptete, Saddam Hussein baue eine Atombombe. Eine Lüge, die entscheidend zur verheerenden Invasion in den Irak beitrug, die nicht nur den dortigen Diktator stürzte, den USA die Ölfelder sicherte, sondern auch über 500.000 zivile Opfer kostete. Wo Gordon im Spiel kommt die Wahrheit oft als fauler Apfel daher. Gordon dient nicht der Aufklärung, sondern immer einem Zweck. So etwas sollten Leser und Zuschauer wissen. Bevor sie auch hierzulande gedämpften Nachrichtensprechern oder seriösen wie bunten Titelseiten mit solcher Art Meldungen blauäugig Glauben schenken. Einzig, weil als Quelle ehrerbietig auf das Wall Street Journal hingewiesen wird, als wäre dort die Wahrheit im Hausrecht verankert.

Ein Einschub: Den Chinesen soll hier nicht mit einem Palmenzweig übers Haupt gewedelt werden. Ihnen ist allerhand und eine Menge zuzutrauen, darunter vieles Unschöne und Grausame. Welchem Staat auf diesem Planeten, der sich zu den wirklichen Großmächten zählen darf, sind eigentlich keine Sauereien zuzutrauen? Halten wir diese Büchse der Pandora lieber geschlossen. Gewalt, Lüge und Propaganda gehörten schon immer zum Ausbau einer Weltmachtposition, in der die Chinesen den USA und den Russen längst Paroli bieten. In den Methoden ähnlich unfein.

(Bild: Gerd Altmann auf Pixabay)

China wird das 21. Jahrhundert offensichtlich prägen und bestimmen. Selten zu unserer Freude. Die Europäer dabei Zuschauer auf billigen Plätzen, sie haben das 21. Jahrhundert vom Start weg völlig verpennt und sind auf der Weltbühne sowieso nur eine Nussschale mit mäßiger Besatzung. Was man den Chinesen zutraut und vorwirft, sollte dennoch, so man sich selber gern hochtönend auf der moralisch besseren Seite wähnt, einen gewissen Realitätssinn in sich tragen. Schmorte in Sachen Covid-19 nun die Fledermaus im Topf oder flatterte über den Tellern, löste ein unhygienischer Markt am Tag der Verwesung dennoch Appetit aus oder stand die Tür eines unheilvollen Labors einfach offen und die Reagenzgläser umher? Passierte dies alles bewusst oder zufällig? Chinesen sind in Sachen Aufklärung stumm wie Steine, von dort ist kein Schimmer zu erwarten. Dem Normalbürger fehlen zur Beurteilung der Situation nicht nur Vorstellungskraft, sondern eine Menge Kriterien. Tritt ihm zur Wahrheitsfindung allerdings Michael R. Gordon an die Seite ist jedenfalls umgehend Skepsis geboten und Gefahr im Verzug.

Ein zweiter Einschub: Arbeitgeber von Michael R. Gordon ist kein Geringerer als ein realer Fürst der Finsternis, Rupert Murdoch. Diesen Machtmenschen westlicher Mediendekadenz kennt wohl jeder. Ausgerechnet das Wall Street Journal, eine Art Bibel der Reichen und Mächtigen, liegt längst in der Hand dieses unheilvollen Medienmoguls und ist nun Verbreiter der neuen Wuhan-Theorie. Die Feder zum Thema führte Michael R. Gordon. Murdoch ist außerdem Besitzer von Fox News und der Sun. Über seine Firma News Corporation ist er weltweit an vielen Medien beteiligt oder in deren Besitz. Auch die Londoner Times gehört diesem globalen Meinungsmacher. Einst war auch das Revolverblatt „News of the World“ Teil seines Imperiums.

Rupert Murdoch

„News of the World“ musste von Murdoch eingestellt werden. Das Blatt hatte fast 4.000 Menschen illegal abgehört, darunter Prominente und Normalbürger, sich dabei irgendwann um 2006 erwischen lassen. Selbst die Familien gefallener britischer Soldaten gerieten ins Abhörraster. Murdochs Handlanger wollten deren Schmerz auf den Titelseiten ausschlachten. Der Herrscher über dieses Lügenimperium kam wie immer ungeschoren davon. Murdoch machte danach einfach weiter, was er am liebsten tat, die Welt nach seinem Bilde formen. Er bastelte sich britische Premierminister, Tony Blair und Boris Johnson sind seine bekanntesten Playmobilfiguren. Und er schlachtet jeden öffentlich, der sich seiner perfiden Wunschwelt in den Weg stellt. Ex-Labour-Chef Jeremy Corbyn, wohl das bekannteste Opfer der Murdoch-Hetze der letzten Jahre, könnte als Kronzeuge einer Menschenjagd dienen. So etwas erledigt in England die Sun für Murdoch. In den USA brachte Murdoch mit Fox News nebenher Wind unter die Flügel eines Präsidentschaftskandidaten mit Namen Donald Trump. Großbritannien propagierte Murdoch mit willigen Helfern noch en passant aus der EU. Wenn er loslegt, fliegen eben Fetzen. Wer sich versteigt, Murdoch für einen der gefährlichsten Menschen unserer Zeit zu halten, liegt damit nicht falsch. Diesem Mann gehört also das Wall Street Journal und Michael R. Gordon ist einer seiner Lohnschreiber. Darüber bitte einmal nachdenken, wenn es wieder heißt „wie das seriöse Wall Street Journal berichtet“.

Kommen wir zurück zur neuesten Wuhan-Labor-Geschichte. Am 23. Mai 2021 erschien also im Wall Street Journal ein Beitrag mit dem Titel „Intelligence on Sick Staff at Wuhan Lab Fuels Debate on Covid-19 Origin“. Darin berief man sich auf ungenannte „aktuelle und ehemalige Beamte“ und behauptete, Forscher des Wuhan-Instituts für Virologie seien „im November 2019, kurz vor dem bestätigten COVID-19 Ausbruch“ ins Krankenhaus eingeliefert worden. Zwei Tage später, am 25. Mai 2021, forderte der Minister für Gesundheit der USA (Xavier Becerra), in einer Rede vor der Weltgesundheitsversammlung der Vereinten Nationen eine „transparente“ Untersuchung der Ursprünge von COVID-19. Am nächsten Tag, dem 26. Mai 2021, forderte US-Präsident Joe Biden eine Untersuchung, ob COVID-19 „aus einem Laborunfall“ entstand. Eine von Murdoch-Medien losgetretene Maschinerie nahm damit ihren üblichen Lauf. Medienberichte von CNN, NBC und der New York Times schlossen sich an. Es wurde ganz offen kommuniziert, dass die Aktionen der Biden-Administration durch die „neuen Beweise“ ausgelöst wurden, die im Artikel des Wall Street Journal präsentiert wurden. Innerhalb von 24 Stunden nach der Veröffentlichung des Berichts des Journals erklärten plötzlich alle im Brustton reiner Wahrheit, dass die Theorie über das Wuhan-Labor „glaubwürdig“ sei. In Deutschlands Medien wurde dies alles brav nacherzählt und nachgeschrieben. Allerdings war im vom Wall Street Journal veröffentlichten Artikel nichts grundlegend Neues in Bezug auf den Sachverhalt angeboten worden, außer aufgeblasenen und unbewiesenen Spekulationen.

(Bild: jacqueline macou auf Pixabay)

Leider wieder die New York Times dabei, die es doch besser wissen sollte, aus Fehlern aber wohl nichts mehr lernt. Früher diente, wie schon gesagt, Michael R. Gordon nämlich dieser New York Times. Er war der Militärkorrespondent der New York Times und entfachte alle Propagandainstrumente, die ihm die politischen Kriegsbefürworter der US-Regierung in Sachen Irak an die Hand gaben. Krönung war eben jener Beitrag, in dem er mit seiner Kollegin Judith Miller am 8. September 2002 fälschlicherweise behauptete, dass der irakische Diktator Saddam Hussein versuche, eine Atomwaffe zu bauen. Im Artikel hieß es „In den letzten 14 Monaten hat der Irak versucht, Tausende speziell entwickelter Aluminiumröhren zu kaufen, von denen amerikanische Beamte glauben, dass sie als Bestandteile von Zentrifugen zur Anreicherung von Uran bestimmt sind.“ Natürlich stellte sich heraus, dass die Geschichte falsch war. Die Aluminiumrohre waren für normale Artillerie gedacht, nicht für Zentrifugen. Aber der Artikel gab einen zentralen Impuls für den Irakkrieg, bei dem fast 4.500 US-Soldaten und Hunderttausende Iraker ums Leben kamen.

Die Geschichte dieser Röhren entsprach der Unwahrheit, ist längst widerlegt und stammte aus dem Büro des US-Vizepräsidenten Dick Cheney, sozusagen für Gordon und Miller angerichtet und serviert. Die Lügen waren so spektakulär und umfänglich, dass die Herausgeber der New York Times sich später auf der Titelseite dafür entschuldigten. Am 26. Mai 2004 räumte das Blatt ein, dass die Times wiederholt „auf Fehlinformationen hereingefallen“ sei und weiter heißt es im offenen Entschuldigungsbrief „Wir haben eine Reihe von Fällen gefunden, in denen die Recherche zur Berichterstattung nicht so streng war, wie sie hätte sein sollen.“ 2005 legten die Herausgeber der New York Times noch eine weitere Entschuldigung nach und gestanden ein, viele der Artikel von Miller und Gordon hätten sich als ungenau erwiesen.

Der renommierte US-Journalist, der inzwischen verstorbene Robert Parry (Newsweek und The Associated Press) kommentierte anschließend Gordons Rolle in der Geschichte: „Die berüchtigte Aluminiumröhren-Geschichte vom 8. September 2002, die Gordon gemeinsam mit Judith Miller verfasste, stützte sich auf US-Geheimdienstquellen und irakische Überläufer, um US-Bürger mit Bildern von „Atompilzwolken“ zu erschrecken, falls sie die von Präsident George W. Bush beabsichtigte Invasion des Irak nicht unterstützen wollten. Das Timing spielte perfekt in den Werbe-„Rollout“ der Bush-Regierung für den Irak-Krieg.“

Robert Parry

Gordons Co-Autorin Judith Miller erlangte die traurige Berühmtheit als einzige US-Journalistin, von der bekannt ist, dass sie ihren Job wegen einer rücksichtslosen und schäbigen Berichterstattung verloren hat, die zur Irak-Katastrophe beigetragen hat. Dabei tat Judith Miller nur, was US-Außenminister Colin Powell am 5. Februar 2003 vor dem UN-Sicherheitsrat auch tat, Lügen, bis sich die Balken biegen. Viele ließen sich von diesen Lügen mitreißen und in einen Krieg führen. Nicht so Frankreichs Außenminister Dominique de Villepin und Deutschlands Außenamtschef Joschka Fischer. Zweifelsfrei auch ein Verdienst ihrer damaligen Chefs, Frankreichs Präsident Jacques Chirac und Bundeskanzler Gerhard Schröder. Das in München gesprochene „I am not convinced“ von Fischer in Richtung US-Verteidigungsminister Rumsfeld, neben Cheney treibender Motor des geplanten Krieges, ist längst eine der berühmtesten Sentenzen deutscher Diplomatie-Geschichte. Wie andere Staaten dagegen in die Zustimmung zu diesem Lügengespinst gezwungen wurden, dies erzählt in aufregender wie sachlicher Weise der Spielfilm „Official Secrets“ aus dem Jahre 2019 mit Keira Knightley und Ralph Fiennes.

Szene aus dem Spielfilm „Official Secrets“ (Großbritannien, 2019)
© Official Secrets

Vom Film wieder ins pralle Leben und erneut zu Michael R. Gordon. Dieser teilte nicht das Schicksal seiner Kollegin Miller und diente weiterhin ungerührt als angesehener Pentagon-Korrespondent. Nun für einen, der die Lüge zum alltäglichen Geschäft und Pflichtprogramm seiner Medien macht, Rupert Murdoch. Noch unter dem Dach der New York Times schoss Gordon übrigens ein weiteres Störfeuer in den politischen Himmel. Am 20. April 2014 war Gordon Co-Autor eines Artikels mit dem Titel „Photos Link Masked Men in East Ukraine to Russia“ in dem behauptet wurde, maskierte Männer, die in der Ostukraine gegen das von den USA unterstützte Regierungssystem operieren, könnten als russische Soldaten im aktiven Dienst identifiziert werden. Wieder wollte Gordon Benzin in die internationale Politik gießen. Vier Tage später waren die Herausgeber der New York Times erneut gezwungen, Teile der aufgestellten Behauptungen zurückzuziehen, fühlten sich durch Gordons Berichterstattung „diskreditiert.“

Der Irak-Krieg ist lange vorbei. Massenvernichtungswaffen und Atombomben, die der Kriegsgrund waren, wurden niemals gefunden. Es gab sie nie. Dennoch ist nun ausgerechnet diese Machart einer bewussten Täuschung durch Medien, die zur Vorbereitung des Irak-Krieges eingesetzt wurde, erneutes Muster für eine laufende Kampagne der US-Regierung. In deren Schlepptau wieder willfährige Medien, um die Behauptung zu befeuern, dass COVID-19 aus dem Wuhan-Institut für Virologie stammt. Was würden wohl Joseph Pulitzer, Katharine Graham oder Edward R. Murrow dazu sagen?

Baron Münchhausen (Bild: WikiImages auf Pixabay)

Nicht nur der Baron Münchhausen war des Lügens mächtig. Die Medien- und Politiklügen von 2002 führten zu einem Krieg, in dessen Folge der Tod von mittlerweile über einer halben Million Menschen zu verzeichnen ist. Jetzt droht die aktuelle Kampagne einen noch weitaus verheerenderen Konflikt anzuheizen, der für alle Bewohner auf diesem Globus unvorstellbare Konsequenzen hätte. An welchen Punkt soll eine offene Auseinandersetzung USA vs. China gelangen? Wie sähe dann die Welt aus? Eingeklemmt zwischen chinesischer Geheimniskrämerei und Murdoch-Propaganda ist die Rolle der Europäer dabei undankbar und ohnmächtig, wo sie Wachsamkeit an den Tag legen sollten. Wer hierzulande jedenfalls News und Meldungen aufgetischt bekommt, deren Ursprung im Murdoch-Universum liegen, der sollte alle Antennen ausfahren, den Verstand walten lassen und beim ziehen von Schlussfolgerungen Nachdenklichkeit an den Tag legen. Den eigenen Kopf in solchen Fragen zu nutzen schadet nicht.

Am Ende sollen noch Murdoch-Opfer zu Wort kommen. Wortmeldungen aus der sagenhaften BBC-Produktion „The Rise of the Murdoch Dynasty“ (2020) des Dokumentarfilmers Jamie Roberts sowie der akribischen Autoren Justin Badger, William Grayburne und Samuel R. Santana. Die Dokumentation lief in Deutschland unter dem Titel „Der Aufstieg der Murdoch-Dynastie“ auf Arte. Darin sagt der über viele Jahre von Murdoch-Schergen verfolgte und abgehörte Schauspieler Hugh Grant: „Rupert Murdoch ist eine echte Gefahr für liberale Demokratien, wenn man sie befürwortet. Er ist ein sehr gefährlicher Gegner.“  Der 1994 verstorbene Drehbuchautor Dennis Potter drückte sich kurz vor seinem Tod wesentlich drastischer Richtung Murdoch aus: „Ich habe meinen Bauchspeicheldrüsenkrebs Rupert getauft. Müsste ich nicht so viel schreiben und hätte genug Energie, würde ich den Mistkerl umlegen.“

Max Mosley, immerhin Millionär, der sich finanziell stets wehren konnte, wird 2008 von Murdochs Blättern beschuldigt, an einer Naziorgie teilgenommen zu haben. Mosley klagt sofort und gewinnt den Prozess. Sein Sohn dagegen kann den Rufmord nicht ertragen, flüchtet in Drogen und stirbt im Jahr 2009. Max Mosley investierte seither das Geld, welches sein Sohn geerbt hätte, in die Bekämpfung von Murdochs Lügenimperium, weil er verhindern wollte, dass es auch andere Familien so hart trifft. Vielen Murdoch Opfern fehlt nämlich schlicht das Geld, um gegen Murdoch ihr Recht einzuklagen. Mosley sagte vielen Murdoch-Opfern: „Klagen Sie! Sollten Sie verlieren, komme ich für die Kosten auf.“

Der ehemalige Murdoch-Mitarbeiter Graham Johnson skizziert in der Dokumentation die Methoden, die den journalistischen Stil bei Murdoch bestimmen mit wenigen Worten: „Nötigung, Mobbing, Erpressung, Betrug, Täuschung, illegale Informationsbeschaffung“. Der Mann, der diese Mittel zur journalistischen Praxis erhob, jener Rupert Murdoch ist der unumstrittene Medienzar der westlichen Welt. Ein Alfred Hugenberg der Neuzeit. Das Vermögen des mittlerweile 90-jährigen Murdoch wird auf 22 Milliarden US-Dollar geschätzt. Seine Macht, sein Einfluss sind wesentlich größer und bedrohlicher, als diese Vermögenslage es aussagt.

Max Mosley starb am 21. Mai 2021 im Alter von 81 Jahren in London.

*Für das Titelbild wird an dieser Stelle Syaibatul Hamdi (Pixabay) ausdrücklich gedankt.

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