Sport

Das große Palaver

Die Fußball-EM startet. Der Ball rollt global. Sieger wird am Ende jenes Team mit den meisten Corona-Infektionen oder den wenigsten. Darüber herrscht noch Unklarheit. Die Frage könnte am Ende von einem Sponsor entschieden werden. Evtl. sogar von einem Virologen. Vielleicht bleibt man noch beim alten Modus und es bekommt den Titel, wer Spiele gewinnt. Im Fußball unserer Tage weiß man nicht mehr genau wo oben und unten. Die EM wird auch zu einer formidablen Kunstausstellung, vornehmlich für Maler, Zeichner und Kartografen, weniger für Bildhauer. Tattoos für alle Lebenslagen zwischen Himmel und Hölle, von Porträtbildern bis chinesischen Schriftzeichen werden unser Auge erfreuen oder die Seelen erschrecken. Je nach Blickwinkel und eigener Gemütslage.

Tattoo-Nadeln

Für das Gemüt entscheidend wird auch sein, was auf unsere Ohren niederprasselt. Allenthalben wurden Experten angeheuert, deren Aufgabe wie immer darin besteht, uns das letzte Vergnügen am Fußball zu rauben. Gemeinsam mit Reportern, die irgendwie auch als Experten gelten, wenn sie es des Öfteren auch schelmisch verstecken, werden uns die eingekauften Experten den Fußball erklären und in manch spontanem Ausbruch sogar die dazugehörige Welt. Vor allem werden wir erfahren, was wir gerade sehen und was nicht passiert. Ob wir das so wollen, es fragt uns keiner. Hauptsache Mikro an, Kamera drauf. Reporter vermitteln gern den Eindruck, sie werden pro Wort bezahlt. Die ihnen beigestellten Experten wollen sich da selten lumpen lassen und halten kräftig mit. All das fängt lange vor dem Spiel an und endet eigentlich nie. Bevor Hymnen erklingen, der letzte Werbeblock dröhnt und jemand das Spiel anpfeift, zu dem wir uns vor irgendeinem Gerät neugierig niedergelassen, ist somit der erste Kopfschmerz längst bereitet. Der bekommt in der Halbzeit und nach dem Spiel noch einen kräftigen Nachschlag und die Dröhnung hält bis zum nächsten Tag. Frankreichs Kultkomiker Louis de Funès hat einst für solche Fälle den schönen Ausdruck vom Hirnsausen kreiert.

(Bild: Paul Brennan, Pixabay)

Bei den speziell für das Turnier angestellten Experten greift man immer auf die stets verfügbare Klientel zurück. Es handelt sich um ehemalige Trainer, Spieler, frühere Kurzbehoste, die fürs Spiel entweder zu alt, etwas oder nichts gewonnen, keinen Job, gerade Pause machen oder gefeuert wurden oder einfach nie etwas zu tun haben. Sie tauchen in Schwärmen auf, sobald der Ball in Turnierform über die Menschen kommt. Dabei haben sie stets Dinge zu berichten, die auch ein Siebenjähriger längst weiß und ungefähr einhundertmal gehört hat, sofern er bei Spielen des Abends ab und etwas länger aufbleiben darf. Daher soll an dieser Stelle eine Lanze für frischen Wind im EM-Expertentum gebrochen werden und ein Alternativangebot die Runde machen. Warum nicht Experten der anderen Art, die dem Publikum neue Sichtweisen vermitteln, vielleicht sogar einen gewissen Unterhaltungsfaktor mitbringen?

Bei Olaf Scholz von der SPD ließe sich dessen Temperament gut für ein Nickerchen während langweiliger Passagen nutzen. Er stört nicht, heutzutage ist so etwas schon viel. Auf dem Weg von Stadion zu Stadion könnte er seine Genossin Franziska Giffey treffen, die eine gute Fanreporterin abgeben würde. Sie ist ja auf dem kurzen Weg über die Kreuzung, raus aus der Bundespolitik und rein in die Berliner Landespolitik. Genau da will der andere Genosse, Berlins Bürgermeister Müller, schleunigst weg und in den Bundestag. Die drei könnten mit Fans an einer Currybude unter den Auflagen des Infektionsschutzgesetzes gleich noch die Außenreporter geben und nebenher die Zukunftsaussichten von Hertha BSC besprechen, was in Berlin alle oft und gern tun. Vielleicht ist für den Rest des Publikums dieses Berliner Trio dann aber doch nicht so prickelnd, zumal sie alle einem Absteiger angehören.

Die Performance der Thüringer könnte da besser ins Turnier passen. Die hätten auch ein Trio. Aber was für eines! Der Lieblingswahlkreiskandidat deutscher Journalisten, sein Name Hans-Georg Maaßen, könnte als Experte der Bildzeitung kommentieren und sich besonders um die rechte Spielseite des Feldes kümmern. Nach Abpfiff bietet sich auch ein kraftvolles Winken mit der Eckfahne für ein schönes Selfie an, um die sozialen Medien zu bedienen. Dabei erwächst ihm in der eigentlichen Social Media Berichterstattung allerdings durch einen anderen Experten harte Konkurrenz. Dafür bleiben wir in Thüringen, wo sich der Herr Maaßen so publikumswirksam eingenistet hat und gehen zu Bodo Ramelow.

Dieser Thüringer Ministerpräsident und Hundeliebhaber wäre ein guter Kandidat für den Livebericht auf Twitter. Da er aber ein untrügliches Gespür besitzt, sich mit seinen Tweets um Ruf, Kopf und Kragen zu bringen, wär die Stelle am nächsten Spieltag dann schon wieder neu zu besetzen. Ramelow legt auch gern Geständnisse über Dinge ab, die ihn mehr interessieren als der aktuelle Vorgang, bei dem man ihn gerade sieht oder vermutet. Angela Merkel könnte ein Lied davon singen. Der Knaller im Thüringer Trio wäre ein ehemaliger Spieler des FC Bundestag. Unlängst flog er überraschend und unfreiwillig aus dem Kader der Mannschaft. Deswegen gab er wohl auch sein Mandat zurück und verließ den Deutschen Bundestag und die CDU. Dieser Ex-Spieler Mark Hauptmann hat durch die geschilderten Abschiede einiges an Zeit gewonnen. Er gilt in Fußballkreisen außerdem als ausgewiesener Experte für osteuropäische und asiatische Mannschaften.

Für die Halbzeitpause könnte man dem Aachener Armin Laschet die Analyse überlassen, in deren Folge vielleicht Küchenstudios beworben und die zweite Halbzeit nicht mehr angepfiffen. Kandidat dafür deshalb auch der Nürnberger Markus Söder, der allerdings eine Doppelmoderation mit Laschet angeblich schon abgelehnt. Mit Söder könnte auch eine gewisse Ungeduld durchgehen und eine Neuerung ins Fußballvolk fliegen, die ein sofortiges Elfmeterschießen noch vor Anpfiff der 2. Halbzeit fordert. Annalena Baerbock wäre gut für die Schalte „runter zum Rasen“, dessen Grün sie als ein positives Vorzeichen für eigene Aussichten interpretieren könnte, während sie die Bedeutung der Umweltrettung im Leben eines Fußballprofis erkundet. Um ihn nicht völlig vom Ball fernzuhalten, könnte derweil Robert Habeck ihr Mikro halten.

Bei Fußballfans besonders beliebt der Wissenschaftler Karl Lauterbach. Im Nebenberuf Politiker, im Hauptberuf emsiger Bewohner diverser Talkshows und wegen der größeren Aufmerksamkeitsspanne auch Konkurrent für Bodo Ramelow in Sachen Livebericht auf Twitter. Schlichtweg der Kracher könnte Verkehrsminister Scheuer sein, von dem Übelmeinende behaupten, er wüsste gar nicht, dass er Verkehrsminister ist. Allerdings soll er die Maut für einen Fußballverein halten, was ihn für die Position eines Co-Kommentators prädestiniert. Natürlich ließe sich auch das unaufhörliche wie sonnengebräunte Gesülze von Christian Lindner irgendwo unterbringen. Wobei die natürliche Fröhlichkeit des Wolfgang Kubicki, der sich noch erinnert, wer Helmut Rahn war, eventuell besser beim Publikum ankäme. Friedrich Merz wäre ideal für die bei Sportevents stets gern genommene Spaßeinlage zur Auflockerung, die grundsätzlich niemals lustig. Da sollte er dann in Dauerschleife referieren, wie schädlich die fehlende Kommerzialisierung für den Fußball. Sollte sich oben genannter Herr Maaßen beim Schwenken der Eckfahne verheben, wäre Merz ein ausgezeichneter Ersatz.

Nun aber Schluss mit der Träumerei von großer Unterhaltung. Die Mikros sind längst vergeben und damit zurück zu den wahren Experten, die in den nächsten Wochen über uns und das Land kommen werden. Die haben natürlich Namen, die in Auszügen auch genannt werden sollen. Ein vollständiger Überblick ist nicht möglich, es sind ihrer zu viele und werden stündlich mehr. Da haben wir die ewige Katrin Müller-Hohenstein, Sandro Wagner, Hanno Balitsch, der unvermeidliche Baptist Kerner, Bastian Schweinsteiger, ein Duo „Ballack und Bobic“ bei der Telekom, der noch unvermeidlichere Lothar Matthäus, wo auch immer. Natürlich der müde Béla Réthy hinter dem Mikro. Ein Schiedsrichter wird auch dabei sein. Selbstverständlich der Gladbacher Mittelfeldspieler Christoph Kramer, der gefühlt öfter an einem Mikrofon stand als auf dem Rasen. Sage noch einer was gegen Karl Lauterbach. Zwischen den Kommentaren soll angeblich auch noch gespielt werden. Wer letztendlich den Titel holt, ist schwer zu sagen.

Eines ist aber schon vor dem Eröffnungsspiel entschieden. Die meisten Grüße wird wie eh und je wieder Jesus einheimsen. Daran, so viel Ehrlichkeit muss sein, haben weder die Experten noch Karl Lauterbach Schuld oder Verdienst.

 

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