Gesellschaft

Zwischen wir und uns wohnen die Profite

Wir von GERADEZU hatten dieses Thema schon. Doch manche Dinge machen Wiederholungen nötig. Der Bundesfinanzminister offenbarte es im Februar 2022. „Der Ukraine-Krieg macht uns alle ärmer“. Da war es wieder, das „uns“. Annalena Baerbocks Diktum ist ebenfalls öffentlich. „Wir sind auch bereit, für die Sicherheit der Ukraine einen hohen wirtschaftlichen Preis zu zahlen“, so die Außenministerin. Da ist es wieder, das „wir“. Und Robert Habeck darf nicht fehlen. Sein „wir werden ärmer werden“ macht die Runde und ist bei Millionen Menschen nicht nur als Metapher längst täglicher Hausgast. Habeck hat aktuell weitere Erkenntnisse im Ärmel. „Es kommen noch enorme Preiserhöhungen auf uns zu.“ Das „uns“ ist zurück. Mit dem „uns“ und „wir“ hantiert der moderne Politiker traumwandlerisch sicher. Allerdings nur auf den ersten Blick. Bei näherer Betrachtung nimmt man eher die schlafwandlerische Weltfremdheit wahr, geboren aus dem Bewusstsein der angenommenen Überlegenheit. Das „uns“ und „wir“ als Teil von Herrschaftssprache in Funktion eines Zauns, hinter welchen das gemeine Volk nicht blicken soll.

Wer ist gemeint mit wir und uns? Und wer nicht? Wir ahnen es. (Collage: Pixabay)

Die politische Klasse, welche solch lodernden Gemeinschaftsgeist mittlerweile im Stundentakt heraufbeschwört, ist selber in Einkommensregionen unterwegs, die sie vom „wir“ und „uns“ enthebt. Preissteigerungen sind bei ihnen ein theoretischer Begriff, doch keine erlebte Bedrohung. Schauen wir deswegen auf dpa Meldungen aus dem Juni 2022. Da konnten wir einiges erfahren. Die Bezüge steigen für Bundestagsabgeordnete zum neuen Monat um 310,40 Euro auf dann 14.906,68 Euro. Olaf Scholz, der neben seinem Amt als Bundeskanzler auch Bundestagsabgeordneter ist, kommt somit auf über 30.000 Euro brutto monatlich. Seine Bezüge steigen damit auf 30.139,81 Euro. (Nicht aus Sozialneid, ein Bundeskanzler soll bitte ordentlich verdienen, aber aus Gründen der Einordnung: Das jährliche Brutto-Durchschnittseinkommen in Deutschland lag 2021 bei 49.200 Euro.) Die Minister Robert Habeck, Annalena Baerbock und Christian Lindner verfügen ebenfalls über eine gute finanzielle Gegenwart und beste Aussichten. Sie kommen laut Auskunft der Bundesregierung nun auf monatliche Bezüge von jeweils 25.573,08 Euro. Solcher Art ausgestattet und vielen materiellen Lebenssorgen entflohen, kann man die Dinge des Alltags und der Preise entspannt an jenem Körperteil vorbeiziehen lassen, auf dem besonders der Berufsstand Politiker oft und lange zu sitzen pflegt. Im Verhältnis zu einer anderen Zahl sind solche Einkommen allerdings nur Peanuts und Dreck unter den Krallen der wahren Geier. Die deutschen Milliardäre haben nämlich zwischen 2009 und 2020 ihr Vermögen um 175 % gesteigert und sind weiter in dieser Erfolgsspur unterwegs. Manches kommentiert sich von allein. Mit „wir“ und „uns“ hat das alles natürlich wenig bis nichts zu tun. Oder doch? Reich werden die einen immer nur, wenn andere in Massen sehr viel ärmer werden. So einfach wäre die Welt zu verstehen.

Im Krieg der Reichen gegen die Armen mobilisierten in Frankreich ab Herbst 2018 die Gelbwesten den Widerstand der Armen.

Dieses auf Politiker selten zutreffende „wir“ und „uns“ wird dem gemeinen Volk stets als notwendig und unabdingbar verkauft. Alternativlos lautet das geflügelte Wort. Wo geht der publikumswirksame Verkauf angeblicher Wahrheiten über die Bühne? Selbstredend auf dem Spielfeld, welches Politiker längst der ernsthaften Debatte vorziehen, dem seichten Sabbeluniversum der Talkshows. In jenen Talkshows werden Politiker von Wesen empfangen und befragt, die da Illner, Maischberger, Plasberg, Will, Lanz und so weiter heißen und durch ihre Talkformate allesamt Millionäre geworden sind. Diese Ansammlung diskutiert dann von hoher Warte über das alltägliche Wohl und Wehe von Menschen, auch jener in Armut, und was diese an Opfern und Einschränkungen gefälligst aushalten sollen. Der Bundeskanzler beteiligt sich auf seine nette und zuvorkommende Art an der öffentlichen Diskussion. „Viele Bürgerinnen und Bürger sorgen sich zu Recht wegen steigender Preise.“ Seine Botschaft klingt fast rührend: „Wenn wir uns unterhaken und zusammenhalten, sind wir stark.“ Dann haken wir uns also unter. Bevor die SPD in der Ära Schröder/Clement/Steinbrück/Müntefering diesen Begriff in die Gosse warf, nannte man so etwas übrigens Solidarität. Ein ewiger Hassbegriff für Oberschicht und Reiche. Die machen gerade den größten Reibach ihres Lebens und sind vor lauter Profitsteigerungen längst einem geldgeilen Wahn verfallen, der nur noch ein mehr, mehr und mehr kennt. Habgier und Gier feiern fröhliche wie skrupellose Urständ. An jene geldgeile Elite dachte der Bundeskanzler wohl auch und sendete ihnen eine Grußadresse, die sich wie folgt liest.

Wie bitte? Nicht ok und das war es? Multis und Großkonzerne, also unsere westlichen Oligarchen, fahren schon seit der Pandemie exorbitante Gewinne ein, die durch alle Decken gehen. Nie wurden Milliardäre weltweit noch reicher, reicher, reicher. Der Kapitalismus, zumal jener in der skrupellosen Ausformung des Neoliberalismus, sieht bei Profitgier und Gewinnen alles vor, nur eben keine Mäßigung oder gar einen Halt vor der Decke, durch die er gehen könnte. Klassische Kapitalisten und Milliardäre müssen sich bei der geäußerten Erwartung eines Politikers in Sachen ihrer Mäßigung vor Amüsement nicht nur dumm und dämlich verdient, sondern auch schief gelacht haben. „Das ist nicht ok“ könnte als Ulk des Jahres eingehen. Olaf Scholz sollte einmal bei Thomas Piketty nachlesen, dem französischen Wirtschaftswissenschaftler. Der hat schon längst herausgearbeitet und formuliert, dass unser System sich organisiert, „um die Existenz der Reichen und deren stetig wachsenden Abstand gegenüber den Armen zu rechtfertigen“. So werde in kapitalistischen Staaten „fälschlicherweise behauptet, ein hoher Steuersatz für Vermögende schmälere das Wirtschaftswachstum“. Scholz müsste die Instrumente des Staates gegen die Reichen ins Feld führen und denen, um ein großes Wort von George Danton zu benutzen, den Fehdehandschuh hinwerfen. Wird er nicht tun.

Bundeskanzler appelliert ohnmächtig an die Geier des Kapitalismus. (Collage: DarkmooArt, Pixabay)

Scholz, Lindner, Baerbock und Habeck, man könnte die Liste spielend erweitern, erwecken oft den Eindruck einer Selbstüberschätzung in gleißender Ohnmacht. Nur weil jemand eine Dusche aufdrehen kann und verträumt dem Geräusch von rauschendem Wasser nachhängt, besitzt er kein Kapitänspatent. Dennoch bittet uns die politische Klasse täglich in ihr leckgeschlagenes Schiff. So tobt er also weiter, der Krieg. Nein, nicht der um die Ukraine. Der natürlich auch. Vielmehr jener vom Milliardär Warren Buffett beschworene ewige Krieg der Reichen gegen die Armen. Weiterhin mit der unveränderten Prognose, dass die Reichen ihn gewinnen werden. Schließlich triumphieren sie Schlacht um Schlacht. Kanonendonner erleben wir dabei keinen, was die Sache so tückisch macht. Wir spüren nur hohe Preise, die Tag um Tag mit vielen „wir“ und „uns“ garniert und vernebelt werden.

*Titelbild: Von Gerd Altmann auf Pixabay.

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