Leben

Apokalypse oder Neuseeland

Was ein UNO-Generalsekretär sagt, ist in etwa so wirkungsmächtig wie die Predigt des Pastors am Sonntag. Dessen Kirchentür ist noch nicht ins Schloss gefallen, da geht jeder wieder seinen unfrommen Weg. Dennoch kann manchmal eine bemerkenswerte Erkenntnis aus den Büros der Organisation der Vereinten Nationen dringen. Generalsekretär António Guterres sagte im Herbst 2020 etwas, was seither auf dem Planeten eindrucksvoll wie schrecklich bestätigt wird: „Eine Million Arten sind vom Aussterben bedroht. Ökosysteme verschwinden vor unseren Augen. Menschliche Aktivitäten sind die Wurzel unseres Abstiegs ins Chaos. Aber das bedeutet, dass menschliches Handeln helfen kann, es zu lösen.“ Im Schlusssatz muss man Guterres widersprechen. Von „lösen“ kann keine Rede mehr sein, es geht nur noch um „lindern“. Die reine Wahrheit mag Politik den Menschen halt nie zumuten. Der voranschreitende Abstieg ins Chaos  könnte auch ein Thema für den Bundestagswahlkampf sein. Aber man debattiert lieber, ob Laschet gerade Sätze kann oder Baerbock krumme schreibt.

Es gibt Orte auf dieser Welt, wo die oberen Zehntausend schon für ihre persönliche Linderung Land kaufen und emsig bauen. Bevorzugt Bunker in Neuseeland. Eine aktuelle Studie des Global Sustainability Institute, der Anglia Ruskin University, Cambridge, veröffentlicht auf dem Online-Portal von „Sustainability“ (MDPI) unter dem etwas klobigen Titel „An Analysis of the Potential for the Formation of ‘Nodes of Persisting Complexity’“, gibt beredt Auskunft über den Stand der Apokalypse. Die zwei Eingangssätze der Studie sind deutlich: „Die menschliche Zivilisation hat seit ihrer Entstehung einen kontinuierlichen Verlauf steigender soziopolitischer Komplexität durchlaufen; ein Trend, der in letzter Zeit eine dramatische Beschleunigung erfahren hat. Dieses Phänomen hat zu immer stärkeren Störungen des Erdsystems geführt, die sich in jüngster Zeit als globale Auswirkungen wie den Klimawandel manifestieren.“ Die Verfasser und Wissenschaftler der Studie sagen weiter: „Die menschliche Zivilisation sei aufgrund der hochgradig vernetzten und energieintensiven Gesellschaft, die sich entwickelt habe, und der dadurch verursachten Umweltschäden in einem gefährlichen Zustand.“ Die Autoren mahnen: „Wir hatten Glück, dass nicht alles gleichzeitig passiert ist – es gibt keinen wirklichen Grund, warum nicht alles gleichzeitig passieren kann, also weltweite Lebensmittelverluste, eine Finanzkrise und eine Pandemie – alles in einem Jahr.“

Aus dem „gefährlichen Zustand“ prognostizieren die Macher der Studie einen globalen gesellschaftlichen Zusammenbruch. Dieser Zusammenbruch könnte durch globale Katastrophen wie eine noch schlimmere Pandemie als Covid-19, eine schwere Finanzkrise, die spürbaren Auswirkungen der Klimakrise, die andauernde Naturzerstörung oder eine Kombination aus allem entstehen. Als einen Ort für die Möglichkeit des Überlebens nach dem Zusammenbruch geben die Wissenschaftler Neuseeland an. Da sind wir wieder bei den oberen Zehntausend und ihren Bunkern. Die Studie stuft weitere Regionen mit Insellage an die Tabellenspitze der Überlebensräume. Neben Neuseeland sind demnach Island, Großbritannien, Tasmanien und Irland die am besten geeigneten Orte, um einen globalen Zusammenbruch zu überleben.

Neuseeland – Land der Begehrlichkeiten (Bild: Alex Hu auf Pixabay)

In der Studie wurden die Länder nach ihrer Fähigkeit eingestuft, Nahrung für ihre Bevölkerung anzubauen, ihre Grenzen vor unerwünschter Massenmigration zu schützen und ein Stromnetz und eine gewisse Produktionskapazität aufrechtzuerhalten. Inseln in gemäßigten Regionen und meist mit geringer Bevölkerungsdichte landeten dabei an der Spitze. „Wir waren nicht überrascht, dass Neuseeland auf unserer Liste stand“, sagte Prof. Aled Jones vom Global Sustainability Institute der Anglia Ruskin University in Großbritannien. Es wurde in der Studie festgestellt, dass Neuseeland aufgrund seiner geothermischen und hydroelektrischen Energie, seines reichhaltigen Ackerlandes und seiner geringen Bevölkerungsdichte das größte Potenzial hat, relativ unbeschadet zu überleben. Prof. Jones sieht sogar etwas Grund zum Optimismus, der hier nicht unterschlagen werden soll: „Die Coronavirus-Pandemie habe gezeigt, dass Regierungen bei Bedarf schnell handeln könnten. Es ist interessant, wie schnell wir Grenzen schließen können und wie schnell Regierungen Entscheidungen treffen können, um Dinge zu ändern.“

Dann bleiben wir, die wir keinen Bunkerbau in Neuseeland auf dem persönlichen Zettel haben, in der Frage Apokalypse ja oder nein gespannt mit Bert Brecht: „Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen den Vorhang zu und alle Fragen offen.“

*Beitragsbild:  Fantasy von Stefan Keller auf Pixabay

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