Sport

Außergewöhnlich

Der Leeds United Football Club aus der Stadt Leeds im Norden Englands wird von vielen Fußballromantikern als das letzte proletarische Refugium des alten Fußballs angesehen. So ist es in diesen Zeiten des geldbasierten Profifußballs natürlich nicht mehr wirklich. Die Erinnerung daran hält sich dennoch hartnäckig. Dieser legendäre Verein des englischen Fußballs, immerhin dreimaliger Meister des Landes, kehrte nach 16 Jahren Zweitklassigkeit mit dem Aufstieg 2019/2020 in die Erstklassigkeit zurück. Die erste Saison 2020/2021, nach Rückkehr in die Premier League, beendete Leeds mit einem unerwarteten und sensationellen 9. Platz extrem solide. Diese Leistung und den famosen Aufstieg ein Jahr zuvor mit relativ unbekannten Spielern erreicht zu haben, rechnete man weit über Leeds hinaus einem Menschen besonders und fast allein an. Die Rede ist vom Argentinier Marcelo Bielsa, über den kein Geringerer als Pep Guardiola sagte: „Wir Trainer werden daran gemessen, wie viele Titel wir gewinnen. Titel sind aber eigentlich viel weniger entscheidend, als wie man den Fußball generell beeinflusst. Deshalb ist er (Marcelo Bielsa) für mich der beste Trainer der Welt.“ In Deutschland wurde und wird der genialisch Fußballbesessene eher mit allen Denunziationen abgekanzelt, zu denen deutscher Fußballjournalismus fähig. Da heißt es dann „der Irre“ oder „der verrückteste Trainer“. Wie sagte Louis van Gaal einmal auf einer Pressekonferenz gegenüber der versammelten Fußballreportermeute des FC Bayern und meinte es nicht nett: „Unglaublich! Journalist, auch ein Beruf.“

Nicht nur Reporter erfüllen alle niederen Instinkte des Fußballs. Vereinsbesitzer und Klubbosse sind keinen Deut besser. Solcher Art Vereinsbosse haben nun diesen Trainer entlassen, weil man in der aktuellen Saison vier Spiele am Stück verloren und sich langsam Richtung Abstiegsränge bewegt. Man verzeichnet bei Leeds eine unsägliche Kette von Ausfällen durch Verletzungen. Dennoch steht der Verein nicht auf einem Abstiegsplatz. Außerdem konnte der Manager Bielsa wegen knapper finanzieller Mittel in der Winterpause kaum qualitativ auf dem Transfermarkt aktiv werden. Selbst Bielsa-Gegner attestieren diesem Fußballguru fantastische Arbeit und keinerlei Schuld am aktuellen Dilemma. Bielsa musste dennoch gehen, wurde entlassen.

Graue Wolken über Leeds und Leeds United. (Foto: larrysbrain0 auf Pixabay)

Mit der Entlassung ereignete sich allerdings etwas sehr Unerwartetes im Reich englischer Fußballbefindlichkeiten, wo sich Vereine und Fans traditionell und aus Gewohnheit in fester und langlebiger Feindschaft gegenüberstehen. Aus den Fanlagern anderer Vereine gab es nämlich Lobeshymnen Richtung Bielsa. In allen Stadien der Premier League staunten die Fans bei Gastspielen von Leeds United über die mutige und immer offensive Spielweise Bielsas selbst gegen weit überlegene Gegner. Diese Art, den Fußball anzugehen, brachte ihm im ganzen Land hohe Sympathiewerte, die nun beim Abschied besonders in den sozialen Medien zum Ausdruck gebracht werden. Darunter sogar die hochnäsige Fußballlandschaft aus London: Fan von Arsenal London: Ein bescheidener Mann und ein sehr respektierter Manager. Es tut mir wirklich leid, dass ihm das passiert ist, denn er hat so viel für Leeds getan. Alles Gute für die Zukunft, Herr Bielsa.“ Fan der Spurs (Tottenham Hotspur) aus London: „Ich bin traurig zu sehen, wie Leeds verloren hat. Denken Sie nicht, dass es ausschließlich an Bielsa lag. Es war offensichtlich die mangelnde Qualität im Kader, wodurch so viele Verletzungen nicht kompensiert werden konnten.“ Fan vom FC Liverpool: „Sehr unglücklich mit Verletzungen von Schlüsselspielern, die im Verlauf der Saison eine mangelnde Tiefe im Kader aufdeckten. Ich genoss seine unbekümmerte Herangehensweise an das Spiel.“ Fan von Manchester City: „Scheint ein netter Kerl zu sein. Diese erste Liga ist hart. Alles Gute für die Zukunft von einem City-Fan.“

Vereinsemblem Leeds United.

Größte Zuneigung schlug Bielsa, der stets mit dem Fahrrad zum Job fuhr, beliebt in der ganzen Stadt Leeds war und bis zum heutigen Tag Reporten und Journalisten nie in die Augen schaut und Interviews grundsätzlich nur in seiner Muttersprache mit gesenktem Blick gibt, natürlich unter den Fans von Leeds United entgegen: Einer schrieb: „Was für ein Held! Er vereinte die Stadt, den Verein, die Fans, die Hoffnung, die Leidenschaft. War dieses Jahr noch nie unter den letzten drei. Schlechter Verlauf durch Verletzungen und Form. Aber ich glaube, seine Sturheit gegen die teuersten Kader der Welt mitzuspielen, brachte ihm die Gegnerschaft unserer Bosse ein. Kein anderer Trainer hätte mit den Verletzungen mehr schaffen können oder es gar besser gemacht.“ Ein anderer Fan äußerte: „Noch nie zuvor hat mich ein Manager so inspiriert. Dieser Typ ist so bescheiden, dabei geradlinig und stur, fast verheiratet mit seiner Art des Fußballs. Dafür lieben wir ihn hier. Als es funktionierte, war es wunderschön. Und ich werde für immer dankbar sein für seine Zeit hier. Er bleibt unser Held, er ist fantastisch. Die Fans lieben ihn so sehr und werden sich immer an ihn erinnern.“

Nun ist Marcelo Bielsa also Geschichte in Leeds und darüber hinaus längst eine Legende, die jeden Vereinsfunktionär und Technokraten in diesem ehrwürdigen Club überdauern wird. Sein Nachfolger wurde ein stromlinienförmiger Trainer der Laptopgeneration, wie vom Reißbrett einer Marketingabteilung für Fußball-PR. Vielleicht ist die Zeit echter Typen im Fußball tatsächlich vorbei. Schwer vorstellbar allerdings, dass die Zeit dieses sechsundsechzig jährigen Typen Marcelo Bielsa nach den Stationen Newell’s Old Boys, Atlas Guadalajara, Club AméricaCA Vélez SarsfieldEspanyol Barcelona, Argentinien, Chile, Athletic Bilbao, Olympique Marseille, OSC Lille und eben Leeds United auf der Trainerbank wirklich vorbei sein soll. Es gibt wohl kein Team, welches er nicht trainieren und bereichern könnte. Wir werden sehen, ob die unstete und schnelllebige Fußballbranche noch etwas bereithält für diesen Außergewöhnlichen mit seinen Ecken und Kanten.

*Titelbild: Marcelo Bielsa (Screenshot TV-Interview.)

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