Leben

Bildersturm und Kuchen

In Potsdam haben Aktivisten mit dem Ansatz der Umwelt- und Klimarettung aus der Bewegung „Letzte Generation“ im Museum Barberini ein Gemälde des französischen Malers Claude Monet mit angeblichem Kartoffelpüree übergossen. Die beiden Herrschaften haben sich nach der Ausschüttung des mitgebrachten Breis dann mit den Handflächen an die Wand geklebt. Hilft so etwas der Umwelt und dem Klima? Natürlich nicht. Wie auch? Solche Aktionen versuchen Aufmerksamkeit für jenen miserablen und dramatischen Umweltzustand herzustellen, in dem die Welt sich befindet. Nicht nur Aufmerksamkeit, sondern Mobilisierung der Massen, die zur Rettung des selbigen Klimas notwendig wären, scheint das Ziel. Doch die Massen sind längst abgestumpft und normiert, glauben, was man ihnen zeigt, vorführt und erzählt, sind wenig daran interessiert, was wirklich los ist. Das Klima geht den meisten deshalb am eigenen Arsch vorbei wie Monet.

Zur Mittagszeit „Püree auf Monet“. (Foto: Juan Garrido)

Brei oder Püree hin oder her, es bleibt schwer mit der Masse Mensch. Es sei nochmals erinnert, es geht ja nicht um den Planeten, es geht immer um die Menschheit. Der Planet kommt bestens und besser ohne Menschen aus. Wir brauchen den Planeten – dieser uns nicht. Leute zur Rettung des Planeten und/oder der Menschheit zu bewegen, die ihren Hintern täglich zur Arbeit schleppen und die dafür mies oder geradeso, manchmal gut, aber selten ausreichend bezahlt werden, ist und bleibt ein hoffnungsloses Unterfangen. Die alte Geschichte. Jener wirklichen Macht derer da oben, die den Preis derer da unten festlegen und bezahlen, die Schraube Entgelt/Lohn nach Belieben lockern oder anziehen, entkommt die sogenannte Mittel- und die abwertend so titulierte Unterschicht nie. Was soll den Verlierern im Krieg der Reichen gegen die Armen ein besseres Klima und eine gesunde Umwelt wert sein? Nichts. Sie haben andere Sorgen. Existenzsorgen. Mag darauf wirklich einer den ersten Stein werfen? Die breite Masse der Menschheit wird und muss weiterhin sogar die Umwelt für die da oben zerstören, damit deren Gier und Habgier weiter befriedigt werden können. Zum Hohn gründen dann manche von denen da oben Stiftungen zur Rettung der Welt und bekommen dafür die höchsten Orden der Länder, in denen sie Menschen in Niedriglohnsektoren drücken und schamlos ausbeuten. Der verdorbene Kreislauf unserer Zeit.

Logo von „Letzte Generation“

Teile der Jugend wollen und können es noch nicht verstehen und begreifen. Wie auch? Im Begreifen käme ja die Ohnmacht zutage, der auf dem Fuß umgehend Verzweiflung und Sinnlosigkeit folgen. Samuel Beckett hat die Ausweglosigkeit im „Warten auf Godot“ bereits 1953 in zeitlose und passende Worte gefasst:

Estragon: Nichts zu machen.
Wladimir: Ich glaub es bald auch.

Dennoch muss der Jugend genau dort Protest innewohnen, wo zwischen dekadenten Wohlstandsbürgern oder modernen Lohnsklaven keiner mehr den Arsch hochbekommt oder hochbekommen will. Ob dieser Protest nun Monet oder Bilder im Museum treffen muss, darf hinterfragt werden. Es störte die Bastille und die Herren über ihre Verliese nicht, dass die Bevölkerung von Paris fast 400 Jahre gegen die Festungsmauern pinkelte. Sie puderten sich weiter ihre Visagen und Köpfe. Erst die Erstürmung und der Abriss dieser Zwingburg waren Beginn und Ende des faulenden Ancien Régime. Aber eine Revolution von unseren jugendlichen Umwelt- und Klimarettern zu erwarten oder gar zu verlangen, ist dann doch etwas zu viel verlangt. Diese Jugendlichen, ob mit ehrlichem Herzen, ehrenvoll und enthusiastisch dabei oder eitel wie selbstbezogen eher einer neuen Eventkultur hinterherrennend, sind alle Geschöpfe – wofür sie nichts können – unserer verkommenen Wohlstandsgesellschaft, die auf Kosten großer Teile der Menschheit lebt. Wenn sie das begriffen haben, müssten sie sich selbst den Kartoffelbrei übers Haupt gießen. Vielleicht kommt dabei die Erkenntnis, Anarchie ersetzt keine Revolution.

Wer die Revolution will, muss sie auch organisieren. Dass es genügen könnte, Unruhe zu organisieren, ist ein den Anarchisten lieber Wahn. (Rudolf Augstein)

Die „Letzte Generation“ (Ziemlich dehnbarer Titel, dennoch nicht ganz falsch in Anbetracht der Lage.) sollte einmal einen Biomarkt aufsuchen, den selten der von Bezos ausgebeutete Paketsklave oder ein von Gerhards Schröders Sozialreformen weggespülter Mensch frequentiert. Dort kaufen sehr gern – koste es, was wolle – Fahrer von SUVs ein, die mit dem teuren Biofleisch im Korb sich selbst für Retter der Welt halten, obwohl sie latente Zerstörer sind. Zugegeben, ein etwas plumpes wie profanes Beispiel. Ein anderes wäre nicht zu realisieren, liegt aber auf der Hand. Es lohnte ein Besuch bei den Eliten und Reichen da oben. Die mit der wirklichen Macht, welche über sogenannte Denkfabriken zwischen Harvard, London und Davos, den politischen Erfüllungsgehilfen ihres neoliberalen Willens den Inhalt und oftmals sogar die Richtung vorgeben. Da könnte die „Letzte Generation“ dann Monets und andere Kostbarkeiten über dem Kamin, an Wänden oder auf dem Lokus bestaunen. Allerdings wird man an solchen Orten selten vorgelassen. Nicht einmal, wenn man einen Topf Püree dabei hat. 

Sturm auf die Bastille. (Gemälde: Jean-Pierre Houel)

Die Reichen haben längst die Angst vor den Arbeitern verloren, deshalb können sie genüsslich vor ihren heimischen Schätzen stolzieren. Kunstwerke in Museen müssen sie nicht besuchen, sie können sich beides aus der Portokasse problemlos kaufen. Wenn nötig das Museum und die Kunst gleich mit. Bisher hat keine Aktion der „Letzten Generation“ die oberen Zehntausend auch nur im Entferntesten gekratzt. Eher die da unten geärgert, deren Ärger natürlich durch die Propaganda von Boulevard- und Konzernmedien noch befördert wird, obwohl viele nie einen Monet in einem Museum besucht und gesehen, jammern sie über dessen Schändung. Leider schaut die Unterschicht lieber in mediale Jauche als ins Museum. Dies ist hier weder zynisch noch herablassend gemeint. Es ist Folge dessen, was die Propaganda und Massenverblödung der Oberschicht erfolgreich geschaffen und angerichtet hat. Kultur und Kunst sind längst Luxusgüter.

Kein Püree, aber Schokoladenkuchen für den König. (Foto: BFN-TV)

In London haben zwei Jugendliche einen anderen Weg gewählt. Sie gingen ins berühmte Wachsfigurenkabinett der „Madame Tussaud“. Ein fragender Einschub sei hier gestattet. Was animiert Menschen dazu, in ein Gebäude zu gehen, wo Prominente, Politiker, historische Personen, Fußballer, Sänger, Schauspieler und wer auch immer als Wachsfiguren gezeigt werden? Warum Menschen ein Bild von Monet sehen wollen, ist erklärbar und verständlich. Wie kann man aber an einer Wachsfigur Interesse zeigen? Die Frage ist wohl nicht zu beantworten, zeigt eher, wie es um die Menschheit und deren Brot und Spiele Universum bestellt ist. Zurück zu unseren jugendlichen Besuchern. Die waren zumindest nicht dort, weil sie wie die meisten anderen Besucher einen an der Waffel haben, sondern weil sie etwas im Schilde führten. Dabei hatten sie kein Püree, sondern Kuchen. Mit dem, was sie im Schilde führten, und der mitgebrachten Süßigkeit, steuerten sie eine edle Ecke im Wachsfigurenuniversum an. Dort steht die Königsfamilie. Der neue King Charles III umgeben von seiner königlichen Gattin und seinem Sohn, dem Thronfolger, ebenfalls mit Gattin. Diesem Quartett galt nun die Aufmerksamkeit der Kuchentransporteure.

Doppelt hält besser. Noch einen Schokokuchen. (Foto: BFM-TV)

Nachdem sich das junge Pärchen durch Veränderung der eigenen Kleidung und lautes Rufen als Ökoaktivisten geoutet hatten, holten sie den Kuchen hervor. Die junge Dame klatschte in klassischer Tortenschlachtmanier selbigen umgehend der Wachs-Majestät ins Gesicht. Der junge Mann tat es ihr umgehend nach. Nochmals fand ein Kuchen seinen Weg in das Antlitz des Königs. (Oder waren es doch zwei Torten?) Das Werk zur Rettung von Klima und Umwelt ward getan und hinterließ sogar ein kleines Rätsel. Warum bekam der neue, aber nicht mehr ganz frische König zwei Kuchen (Torten?) ins Gesicht geknallt, während seine blaublütige Familie leer ausgingen? Ein Versehen, Absicht oder zu wenig Gebäck im Gepäck, gar ein bewusst gesetztes ökologisches Statement? Die Frage muss ebenfalls unbeantwortet bleiben. Das Wort geht daher final an Bert Brecht, welcher für anarchistisch angehauchte Schelmenstücke immer etwas übrig hatte:

Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen den Vorhang zu und alle Fragen offen.

Majestät besudelt. (Foto: BFN-TV)

*Titelbild: Geschnittene Szene der nicht veröffentlichten „Tortenschlacht“ aus: „Dr. Strangelove orHow I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb“ von Stanley Kubrick. (Screenshot: Kubrick Doku von ARTE)

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