Leben

Cholera und Pest

Wenn wir die hinkenden Vergleiche von Cholera mit Corona und die schlimmere Pest mit Putin und/oder Russland nebst Ukrainekrieg ausnahmsweise durchgehen lassen, sind wir mit den Unglücken des Mittelalters im Jahr 2022 angekommen. Darin äußern sich wie seit Ewigkeiten Menschen zu den Dingen des Lebens und der Zeit. So war es immer. Vielleicht nur nicht in dieser Masse, Dichte und Häufigkeit. Der Gesundheitsminister Karl Lauterbach war noch vor Wochen das mediale und politische Gesicht der Corona-Zeit auf allen Kanälen. Mit seiner fiebrigen Nervosität nebst einem ehrlichen Bemühen, Virus und Pandemie einigermaßen zu erklären, damit ein Stück weit auch zu bezwingen, erreichte Lauterbach uns alle. Nun ist er irgendwie verflogen und zwitschert verloren am Social Media Himmel. Die mediale Lufthoheit hat jetzt eher der Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck in Sachen Russland, Ukraine, Krieg und was wir an Folgen aus seiner Sicht deshalb bald zu tragen haben. Wo Lauterbach hibbelig wirkte und immer auf dem Sprung, ist Habeck cool bis auf die Knochen und macht den Eindruck fester Verankerung. Die Medienpräsenz seiner Kollegin Baerbock muss ihn etwas gewurmt haben, seither ist er derjenige auf allen Kanälen. Dabei trägt er mittlerweile feinste Zwirne und so sehr korrekte Krawattenknoten, dass man ihm fast eine Kandidatur für den FDP-Vorsitz unterstellen könnte. (Warum das Symbol Krawatte hierzulande immer noch als staatstragend herausgeholt und den Leuten unter die Nase gerieben wird, bleibt ein spießiges Rätsel. Kein Anzug macht klug oder besser. Man denke nur an die Masse von Nieten in Nadelstreifen.)

Robert Habeck. Staat machen. (Screenshot: ZDF heute-journal)

So wie Habeck sozusagen mit dem Krieg Lauterbach und Corona abgelöst, wer spricht noch von einer Pandemie, ist auch in Redaktionsstuben die Unterschiedlichkeit von Protagonisten zu greifen. Der Spiegel Autor Dirk Kurbjuweit teilt mit, er würde gerade eine Biografie über Hitler lesen und die dort gewonnene Erkenntnis mit aktuellen Äußerungen des CIA-Direktes paaren, wodurch ihm dann „Parallelen zwischen Hitler und Putin“ aufgehen. (Nichts zur Quellenseriosität und den Absichten eines CIA-Direktors. Doch eine Auffälligkeit sei zumindest erwähnt. Mit Verlaub. Sobald Krisen anstehen und öffentlich behandelt werden, lesen ausnehmend viele Journalisten rein zufällig immer ein genau dazu passendes Buch. Zumindest merkwürdig. Jenes von Kurbjuweit angesprochene Buch des Autors Ian Kershaw über Hitler ist übrigens schon über 20 Jahre alt.) Ebenfalls Spiegel-Autor, verachtet und verurteilt Markus Feldenkirchen Putin sicher nicht weniger als sein Kollege Kurbjuweit, ist dennoch etwas anders unterwegs. Wenn seine Bemerkungen auch keiner so richtig hören möchte, weil es nicht zur Aufgeregtheit der Kriegstage passt, spricht Feldenkirchen unliebsame Wahrheiten journalistisch korrekt aus, darin seinen Beruf solide ausübend. „Wir müssen mit Russland im Gespräch bleiben“ und weiter: „Man dürfe Putin nicht jetzt schon als neuen Kim Jong Un behandeln“. Starker Tobak und fast schon mutig in der aktuellen Stimmungslage.

Parallelen zu Putin?

Menschen sind sehr unterschiedlich und immer Gefangene ihrer kleinen Welt, die sie so gerne groß und weit hätten, um darin wenigstens ein Stück weit bedeutender zu wirken. Niemand von uns ist davor gefeit. Der Dramatiker und Schriftsteller Samuel Beckett (1906 – 1989) wusste um uns Menschen und war deswegen illusionslos. Wohl daher hatte er schon vor über einem halben Jahrhundert treffende Sätze für unsere und jede Zeit. Man nennt so etwas manchmal „ewige Wahrheiten“. Die Gegensätze Lauterbach und Habeck im Auftritt und Feldenkirchen und Kurbjuweit im Inhalt lassen sich durchaus mit einer Passage von Beckett aus dessen „Warten auf Godot“ vergleichen, wenn dieses auch manchem arg hergeholt erscheinen mag. Doch bei genauer Betrachtung:

Er weint nicht mehr. Sie haben ihn sozusagen abgelöst. Die Tränen der Welt sind unvergänglich. Für jeden, der anfängt zu weinen, hört irgendwo ein anderer auf. Genauso ist das mit dem Lachen. Sagen wir also nichts Schlechtes von unserer Epoche. Sie ist nicht unglücklicher als die Vergangene. Sagen wir allerdings auch nichts Gutes von ihr. Sprechen wir nicht davon.

Ob der hier gemachte Einwurf nun passend oder unpassend empfunden wird, nachdenklich oder abwertend beurteilt, gar zu einem „Vogel zeigen“ animiert, ist jedem natürlich überlassen. Der Einwurf endet jetzt, die Worte von Beckett nie.

*Titelbild: Gemälde „Die Pest“ (Arnold Böcklin, 1898) 

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