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Laues Duell – spannende Aussichten

Der Amtsinhaber mit galanter Höflichkeit, aus der er allerdings manchmal hinaustrat. Ein typischer Präsident der Republik mit den dazugehörigen monarchistischen Zügen, natürlich herablassend bis arrogant. Nicht neu. So behandelte einst Mitterrand schon Chirac. Das Amt macht den Menschen. Wobei Mitterrand echte Größe hatte, die Franzosen niemals verachtete. Bei Macron sind sich viele Franzosen darin nicht so sicher. (So er die Wahl wider Erwarten verliert, müsste er neben seiner Politik auch die große Distanz, die er und viele Franzosen trennt, auf seine eigene Schuldliste setzen.) Macron kennt die Franzosen nicht sonderlich gut. Er ist eben Teil der elitären und abgehobenen Oberschicht. Sein Interesse an der Masse und den weniger begüterten Landsleuten war zu keiner Zeit sonderlich ausgeprägt. In Wahlzeiten wird Alltagsinteresse von ihm gespielt und aufgeführt. So etwas können selbst ausgewiesene Gegner von Le Pen dieser nicht unterstellen. Sie ist auch Teil der Oberschicht, gaukelt im Wahlkampf ebenfalls viel vor. Allerdings ist sie aktuell wenigstens permanent unter den Leuten, weiß sogar um deren Nöte. Wie sie diese interpretiert, was sie daraus macht und was sie vor allem daraus nicht macht, ist wieder ein anderes Ding. Inhaltlich ließ sich Emmanuel Macron nicht stellen, flegelte sich manchmal siegessicher wie gelangweilt in seinem Sessel. Auch solcher Art Hochmut ging über die Bildschirme. Herausforderin Le Pen wusste dieses Verhalten nicht für sich umzumünzen. Um Präsidentin werden zu können und die Mehrheit der Franzosen an der Wahlurne für sich zu gewinnen, hätte Marine Le Pen die Debatte anders angehen müssen, sie ließ selbst Matchbälle liegen. Höflich und charmant war sie meistens ebenfalls. Manchmal auch wütend, oftmals fahrig und zu wenig angriffslustig für eine Herausforderin. Darin kaum ein Unterschied zu 2017. Dieses Format liegt ihr nicht. Irgendwo ankommen und in kleiner Gruppe mit Leuten spontan reden, darin besitzt sie Stärke, die ihr an diesem Duell-Abend im TV wenig nützte. Einen Wirkungstreffer landete in dieser Debatte niemand, das Pulver schien von Beginn nass. So ging der alte und sicher auch neue Präsident ungehindert über sein Wasser. Viele Franzosen zeigten sich danach, so teilten sie es zumindest in den sozialen Medien mit, eher enttäuscht von beiden Kandidaten und sahen „eine Debatte auf der Ebene von Wiese und Gänseblümchen. Unser Land hat so viel Besseres verdient“.

Eine Frage wurde während der Diskussion nicht wirklich beantwortet. Spielte diese TV-Debatte im Bewusstsein der Franzosen in Hinsicht auf deren Wahlentscheidung überhaupt eine Rolle oder kreisten dabei Medienwelt und politische Elite nicht eher ein Stück weit nur um sich selbst? Selbst Le Pen Anhänger waren jedenfalls über die fehlende Schlagfertigkeit ihrer Heldin enttäuscht. Jene, die Macron gerne loswerden möchten, nicht wenige Franzosen, sahen diesen erneut bequem davonkommen. In den Feldern der Alltagspolitik, die das Leben vieler Menschen in Frankreich spürbar verschlechtert, griff Le Pen den dafür verantwortlichen Präsidenten nicht entschieden genug an. Wie auch? Da war es nämlich wieder, das aktuelle Wahl-Dilemma der Franzosen, zwei Neoliberale in der Stichwahl unter sich. Hat je ein Pyromane einem anderen Pyromanen das Feuer vorgeworfen? (Fünf Milliardäre im Land besitzen das Vermögen von 27 Millionen Franzosen. Für Frau Le Pen und Herrn Macron offenbar kein Problem.) Der neoliberale Kern der Politikvorstellung von Macron und Le Pen wurde in der Debatte beidseitig nicht angetastet. Zum Nachteil der Zuschauer und Zuhörer. Die kluge Manon Aubry traf den Nagel auf den Kopf: „Macron ist nicht in der Lage, das rassistische und autoritäre Projekt von Le Pen anzugreifen und Le Pen kann seinen Ruf als Monarch der Reichen nicht anprangern.“

Vor der Debatte machten letzte Umfragen für Sonntag die Runde. Wahltag der 24.04.2022.

Irgendwann gab es Schmierentheater. „Du bist Klimaskeptiker“. „Du bist Klimaheuchler“. Wer da was zu wem sagte, zu dem Zeitpunkt schon nicht mehr interessant. In dieser über drei Stunden laufenden Debatte, die keine Debatte war, zwei kleine Momente der Entlarvung von Macron, die bezeichnenderweise von ihm selbst und nicht von Le Pen kamen. Emmanuel Macron sagte beiläufig, dass „das Leben teurer wird“. Seinen Beitrag daran hielt er nicht für erwähnenswert. Le Pen nahm es nur hin. Viele Franzosen zeigten gerade darüber später ihre Empörung an. Da kam er wieder zum Vorschein, der reiche Investmentbanker, der nicht begreift, welche Art Leben hinter solchen Worten für Millionen armer Menschen anbricht. Einen Korken hatte Macron später noch zu bieten, vielleicht langweilte er sich. Le Pen machte ihn darauf aufmerksam, „Menschen können sich kein Auto leisten“, darauf der Präsident aller Franzosen: „Deshalb schlage ich Leasing vor.“ Das erinnert an deutsche Politiker, die frierenden Leuten der Unterschicht zu mehr Pullovern raten. So etwas passiert, wenn der Geist elitärer Schnösel in Staatsämtern über das Alltagsleben kommt, ob nun in Frankreich oder Deutschland. In den überlaufenden sozialen Medien waren sich sehr viele französische Betrachter einig, Jean-Luc Mélenchon hätte an der Stelle von Le Pen den Präsidenten ausgewrungen und dann auseinandergenommen. Selbst ausgewiesene Mélenchon-Hasser und solche Wähler, die ihm nie ihre Stimme geben würden, vermissten ihn an diesem Abend, was viel über die Duellanten Le Pen und Macron sagt. Dazu der französische Wissenschaftsautor und Filmemacher Bruce Benamran auf seinem Twitteraccount: „Wir können sagen, was wir wollen, ob wir Mélenchon mögen oder nicht, die Debatte hätte ein anderes Gewicht gehabt.“

Sogar politische Gegner vermissten ihn und seine Fähigkeiten in der Debatte: Jean-Luc Mélenchon

Der Ukrainekrieg, übrigens nur kleines Nebenthema, kein zentraler Debatteninhalt. (Man stelle sich so ein Format hierzulande vor, die Ukraine würde von 180 Sendeminuten mindestens 190 bekommen. Nach Beschwerden des Undiplomaten Melnyk sicher 230.) Es gab auch etwas für den Adrenalinspiegel deutscher Journalisten. Die ja bei Weltereignissen gerne in der ersten Reihe ruhen. Deren heiß erwartetes Leckerli warf Macron ihnen über die Bildschirme zu. Im Mittelteil sprach dieser Le Pen auf russische Geldgeber für Kredite an ihre Partei an. Sie wich eher aus, so im Stil ihrer die ganze Sendung an den Tag gelegten Zögerlichkeit. An dem Thema wollte sie sich logischerweise nicht lange festhalten, konterte etwas zu billig mit der angeblichen „Putin Nähe“ von Macron. Das war es dann schon zu dem Komplex. Doch deutsche Berichterstatter, die den Rest der Debatte offensichtlich in ihren Nasen Gas und Öl suchten, wachten auf und sprangen hoch wie das legendäre HB-Männchen. „Endlich packt er sie bei Russland“ twitterte etwa ein SZ-Feuilletonist und der mediokre ZDF-Mann Walde machte ebenfalls sofort bei Twitter einen drauf: „Beim Thema Russland-Nähe wird Le Pen nervös, Macron erinnert an ihr russisches Darlehen zur Wahlkampffinanzierung.“ Nervös? So der eigene Wunsch zur Nachricht wird. Journalismus Made in Germany 2022. (Jedenfalls nimmt dieses kleine Geplänkel heute den Hauptteil der deutschen Nachberichterstattung ein. Wen wundert es noch? Was machen deutsche Medien und deren Arbeitnehmer wohl, wenn ihnen Putin und/oder Russland thematisch abhandenkommen?)

Als Le Pen später Macron auf den McKinsey-Skandal seiner Regierung ansprach, muss Herr Walde schon wieder geschlafen haben und die anderen bohrten längst wieder an dunklen Orten. Sind wir gnädig mit Herrn Walde, er darf ins Bett, weil er früh aus den Federn muss, um dann den Deutschen die Geschichte des französischen Wahlkampfes zu erzählen, wie nur er sie kennt. Wenn Macron am Sonntag im Amt bleibt, werden deutsche Medien wieder von der Welt- und Europarettung faseln und sich glücklich in den Schlaf wiegen, weil die Welt, die sie sich malen, weiter heil. Wie die Franzosen schlafen, wird sie zu dem Zeitpunkt schon nicht mehr sonderlich interessieren. Solle allerdings doch Marine Le Pen als Präsidentin über sie kommen, es wäre wie 14/18. Zweifrontenkrieg! Putin in Russland, Le Pen in Frankreich. Die deutschen Talkshows kämen umgehend mit Sonderschichten daher. Nach den Virenexperten und Militärstrategen würden sofort die Frankreichkenner mit Macht auf die Talkshowstühle drängen. Glücklich das Land und Volk, welches für alles Ungemach der Welt das fleischgewordene Expertentum in seinen Reihen. Weh, oh weh!

Debatte ohne Substanz. (Bild: Twitter TV1)

Die viele Europäer aktuell beschäftigende Frage nach Öl und Gas fand auch bei Le Pen und Macron Einlass. Die Herausforderin ist vehement gegen einen Importstopp für Gas aus Russland, „weil der nur den Franzosen wehtun würde.“ Macron eher schmallippig mit der üblichen Phrase „wir müssen unabhängig von russischem Öl und Gas werden“. Macrons martialische Warnung vor einem Bürgerkrieg, der irgendwann über Frankreich kommen könnte, so Le Pen gewinnt, nahm keiner für voll. Diese Übertreibung hallte durch Frankreich, befriedigte Macrons Anhängerschaft und Wähler sicher zutiefst, ließ den anderen Teil darüber eher den Kopf schütteln. Le Pen hätte ihn im Gegenzug auf einen sozialen Bürgerkrieg aufmerksam machen können, der längst in vollem Gange. Der tägliche Krieg gegen die Unterschicht und schwachen Teile der Gesellschaft. Entfacht von der Politik des amtierenden Präsidenten. Allein, sie tat es nicht. Dann waren die Franzosen, die noch nicht weggedämmert oder sich ausgeklinkt, erlöst und befreit von dieser zähen und inhaltsschwachen Debatte, die nichts von einem Duell der Ideen hatte. Sogar ein Wahlkampfmanager von Macron lässt keinen Zweifel: „Man muss ehrlich sein, es wäre schwieriger gewesen, sich gegen Mélenchon zu stellen.“ Jedenfalls eine Debatte, die den Herausforderungen für Frankreich bei Weitem nicht gerecht wurde. Ökologie, Kultur, Anhebung des Mindestlohns, Rente mit 60, Preiserhöhungen und Preissperren nur oberflächlich gestreifte Randthemen. Es lag wohl bei vielen Franzosen schon eine Ahnung in der Luft. Der Zuschauerrückgang bei der Präsidentschaftsdebatte spricht dafür. 14 Millionen Zuschauer auf den zentralen TV-Kanälen TF1 und France 2 für die Debatte 2022 gegenüber 15,1 Millionen im Jahr 2017. Inzwischen geht der Wahlkampf längst an anderen Orten weiter, Macron ficht ihn weiter huldvoll von seinen monarchischen Höhen, Le Pen war an Autobahnraststätten unterwegs. Zum Ende von Wahlkämpfen macht jeder, was er besonders gut kann, um auf der Zielgeraden nicht noch auszurutschen. 

Marine Le Pen scheint offenbar für die Präsidentschaft nicht gemacht zu sein, Macron kann gut Richtung Sonntag schlafen. Viele Franzosen sehen es so: „Sonntag beißen wir die Zähne zusammen und stimmen für Macron.“ Dieser Tweet einer Wählerin trifft die Stimmungslage der geballten Faust sehr vieler Franzosen. Eine große Unbekannte des Wahlsonntags bleibt die enorme, aber nicht völlig messbare Wut der Franzosen auf Macron. Lassen sie ihrem Zorn an der Wahlurne freien Lauf und nehmen dafür doch Marine Le Pen in Kauf? Dazu die Abgeordnete der Nationalversammlung, Clémentine Autain: „Man sollte vor Sonntag Le Pen nicht abschreiben und zu sicher sein. Wir sollten das Ausmaß des Hasses gegen Macron nicht unterschätzen. Der Präsident der Reichen, seine Verachtung der Gleichheit, das schafft eine große Wut und bringt uns in Gefahr. Die Front der Republik funktioniert nicht mehr mechanisch wie gestern, das ist eine Tatsache.“ 

Frankreich zwischen Präsidenten- und Parlamentswahl. Weiter so oder Gezeitenwende? (Bild: Pixabay)

Wie nun weiter in dieser politischen Trostlosigkeit? Viele Franzosen sehen sich schließlich in einer Art Geiselhaft des Neoliberalismus, der man nicht entkommt. Macron wie Le Pen keine Rettung. Die Debatte lau aber in der Woche doch unerwartet mehr politisches Feuer, als die beiden Diskutanten es entfachen konnten. Mélenchon verliert in der 1. Runde, aber anstatt zu jammern, geht er spazieren und ins Museum, um mitten in der Woche den Kampf wieder aufzunehmen. Dabei setzt er ziemlich frech wie selbstbewusst einfach auf eine von ihm ausgerufene 3. Runde, um ein politisches Gegengewicht zu einem neoliberalen Präsidenten zu schaffen, den Franzosen eine andere Politik und echte Alternative anzubieten. Er erfindet quasi die Wahl“ des Ministerpräsidenten und erhebt den Anspruch auf diese Amt, bittet die Franzosen darum. Gemeint ist natürlich die Parlamentswahl zur Nationalversammlung im Juni, wo sein politischer Block die Mehrheit benötigt, um ihn in dieses Amt zu bringen. „Ich bitte die Franzosen, mich zum Premierminister zu wählen“ ist ein kluger Schachzug und politischer Coup gleichermaßen, der den Franzosen etwas in die Hand legt, was das vornehme Recht des Präsidenten. Der Bürgerpolitiker Mélenchon lässt mit seiner ehrgeizigen Zielsetzung das revolutionäre Element durchklingen, welches aus seiner Sicht französischer Politik immer innewohnen muss. Nun kommt es vor allem und fast ausschließlich auf die Franzosen an. Mélenchon jedenfalls hat seine Pflöcke eingeschlagen und seine deutliche Ansage auf Twitter nochmals klar zum Ausdruck gebracht:

Ich will nicht, dass Frau Le Pen das Land übernimmt. Ich will nicht, dass Herr Macron die Macht behält. Deshalb sage ich den Franzosen: Wählen Sie mich zum Premierminister im dritten Wahlgang mit den Parlamentswahlen. Die Franzosen entscheiden, wie es weitergeht. (Jean-Luc Mélenchon, 19.04.2022)

Nach einer Präsidentschaftswahl ernennt der neue Staatspräsident in Frankreich einen Premierminister. Dieser zieht dann mit einer neuen Regierung und der Partei des Präsidenten umgehend in die Parlamentswahl. Die meistens, so staatstragend sind die Franzosen, von der Präsidentenpartei gewonnen wird, um jenem Präsidenten freie Hand zu geben, so das Kalkül der Wähler. Meistens war es so. Dreimal allerdings nicht. In diesen Fällen kam es zur Cohabitation, bei welcher der Staatspräsident und die Mehrheit im Parlament zwei entgegengesetzten politischen Lagern angehörten, der jeweilige Präsident somit keine eigene Mehrheit im Parlament zur Verfügung hatte. Für die Außenpolitik Frankreichs eher irrelevant, doch für die Innenpolitik von Bedeutung. Nun lässt ein offener Blick auf Frankreich nicht die Vermutung zu, dass die Wähler Macron bei den Parlamentswahlen stärken werden und wollen. Wobei dieser sich in den nächsten sechs Wochen sicher einige Wählerfangmethoden ausdenken wird. Doch zu oft hat er die Franzosen gerade sozialpolitisch und mit seinen neoliberalen Politikmodellen, die Reaktionäre gerne als Reformen verkaufen, nachhaltig verprellt. Die Wahrscheinlichkeit, dass ihm eine Mehrheit der Franzosen bei der Parlamentswahl erneut auf den Leim geht, ist eher gering. Viele derjenigen, die ihn jetzt nur wählen, um Le Pen zu verhindern, werden im Juni nicht nochmals zu seiner Fahne stehen. Ihn über das Parlament wenigstens ein Stück weit an die Kette zu legen, scheint aktuell durchaus eine mehrheitsfähige Option unter Frankreichs Wählern.

Zulauf. Volksunion im Modus Parlamentswahl. Bürgerkongress am 21.04.22 (Twitter: JLM)

Mélenchon und seine Volksunion werden sich eines allerdings gewiss sein, Macron wird auch das elitäre Establishment bemühen und in Stellung bringen. Die neoliberalen und reaktionären Kräfte in Wirtschaft und Medien werden Gewehr bei Fuß stehen, um für Macron mit allen Mitteln das Szenario zu verhindern, einen Premierminister ernennen zu müssen, der ausgerechnet noch Mélenchon heißt und die Politik und das neoliberale Gesellschaftsmodell des Präsidenten in weiten Teilen ablehnt und bekämpft. Sollte der Fall einer Präsidentin Le Pen eintreten, wären die Dinge sofort anders geordnet. Besser gesagt, anders ungeordnet. (Die Kombination einer Präsidentin Le Pen und eines möglichen Premierministers Mélenchon, hätte darüber hinaus noch das zusätzliche Potenzial für ein Shakespeare-Drama.) Le Pens Partei Rassemblement National wird niemals eine Mehrheit in der Nationalversammlung erreichen, weder durch Wahl noch Koalitionsbildung. Daher würden sich bei einer Le Pen Präsidentschaft sämtliche politischen Blöcke in Sachen Parlamentswahl umgehend anders sortieren, als dies beim Verbleib von Emmanuel Macron im Amt der Fall wäre. Die Schlachtordnung wäre eine andere. Frankreich so oder so vor historischen Wochen. Für die Fünfte Republik vielleicht neue Weichenstellungen oder gar Vorzeichen für eine Sechste Republik.

Kampf geht weiter. Mélenchon will Premierminister Frankreichs werden. (Bild: Twitter Bompard)

In dieser Gemengelage, was er im Wahlkampf schon früh erkannt, weil er die Hand am Puls des französischen Alltagslebens, sieht Jean-Luc Mélenchon jedenfalls die Chance für sein linkes und republikanisches Programm. Die Macht des Parlamentes und der Bürger stärken, die des Präsidenten zurückdrängen, Volksbegehren zu wichtigen Themen in die Politik einbringen, die Sozialpolitik retten und erneuern, den Neoliberalismus mit konkreten politischen Entscheidungen zurückdrängen. Mélenchon verkörpert diese Kernpunkte wie kein anderer. Sie umzusetzen, hat er sich sehr weit aus dem Fenster gelehnt und die Parlamentswahl schon im Vorfeld zu einer Abstimmung über sich selbst gemacht. Noch ist er persönlich die Linke Frankreichs und herausragender Kopf der Volksunion. Doch hat er, der auch ein Idol der Jugend, längst eine intelligente und hoch motivierte junge Truppe um sich versammelt, die mit Elan und Engagement die politische Zukunft Frankreichs verkörpert. Die Funktionäre der Sozialisten, Grünen und Kommunisten wirken dagegen wie ihre Politik, überkommen, grau und erfolglos. Die Macronisten wie Figuren aus den Glaspalästen von Banken und Großkonzernen. Mélenchon hat nicht nur die aktuelle Macht weiter im Blick, er will sie über seine Zeit hinaus für eine neue Linke erobern, Frankreich verändern, die Grande Nation den Bürgern zurückgeben. Viel ehrgeiziger oder himmelsstürmender lässt sich kaum planen. Ausgang offen.

Ich möchte nicht, dass die Leute denken, unsere Kampagne sei nur eine gute PR-Kampagne gewesen, auch wenn sie das war. Wir haben immer auf der Grundlage einer Theorie gehandelt und gedacht: der des Zeitalters des Volkes und der Bürgerrevolution. (Jean-Luc Mélenchon, Rede vor Kongress der Volksunion, 21.04.2022)

Aus der 2. Runde Le Pen oder Macron am Sonntag ist viel Luft gewichen. Es wird dagegen sehr spannend in Richtung kommender Sommer. Geht es nach seinem Hauptgegner Mélenchon, wird dieser Sommer für Macron ein Winter des Missvergnügens. Sollte Mélenchon mit seiner gewagten Attacke an sein politisches  Ziel gelangen, er sich sozusagen dem Präsidenten Macron per Wählervotum zwingend aufdrängen, dann könnte nach der Parlamentswahl eine der spannendsten Dekaden der Fünften Republik anbrechen. Daran wohl kein Zweifel.

Mélenchon und die Volksunion. Für Frankreich Zukunft oder Illusion? (Bild: Twitter Clémentine Autain.)

Ich wäre natürlich lieber Präsident als Premierminister! Meine Regel ist es, sich niemals Ereignissen zu unterwerfen, die Kontrolle zu behalten. Eine Wahl soll einen Ideenkonflikt ausräumen, aber da wird nichts ausgeräumt. Jeder wird mit Reißzähnen herauskommen. Glauben Sie ernsthaft, dass am 25. April Begeisterung für Emmanuel Macron und seine Wiederwahl aufkommen wird? Wenn mich dich Franzosen zum Premierminister machen, werde ich an Tag 1 die Preise einfrieren. An Tag 2 erhöhe ich den Mindestlohn. (Jean-Luc Mélenchon im Nachrichtenmagazin L’Express, 20.04.2022)

*Titelbild: Le Monde, Live-Stream (Screenshot)

 

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