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Gedanken eines alten Diplomaten

Der Council on Foreign Relations (CFR) ist eine amerikanische Denkfabrik, die sich auf US-Außenpolitik und internationale Beziehungen spezialisiert hat. Diese Denkfabrik gilt als eine der mächtigsten und im Politikbetrieb von Washington auch einflussreichsten Beraterorganisationen der Vereinigten Staaten und derer Weltmachtansprüche. Aktueller Präsident ist Richard Haass, ehemaliger Mitarbeiter im diplomatischen Dienst von George W. Bush und Colin Powell. Vor wenigen Tagen, am 30. September 2022, äußerte sich Henry Kissinger vor dem CFR öffentlich zur Weltlage und historischen wie aktuellen Themen der Politik, gefordert und animiert durch die Fragen von Richard Haass. Der inzwischen 99 Jahre alte Kissinger, Sicherheitsberater und Außenminister der Präsidenten Richard Nixon und Gerald Ford, war aus seinem heimischen Büro per Zoom zugeschaltet. Man muss es wohl nicht extra betonen, hier unterhielten sich keine Linken. In seinen Ausführungen ging es bei Kissinger um Führung und Staatskunst, so ja auch der Titel seines aktuellen Buches. Die Gedanken zur aktuellen Lage gelangten natürlich schnell in die Themenfelder Russland, Ukraine und China. Deutsche Medien haben diesem Gespräch übrigens jene Aufmerksamkeit gewidmet, die ihrer gepflegten journalistischen Neugier in Sachen Sabotageakt an den Pipelines Nordstream 1 und 2 gleicht. Also keine. Kissinger passt ihnen im Moment in Sachen Ukraine, Russland und China überhaupt nicht in die von ihnen im Übermaß praktizierte Stahlhelmrhetorik und ihr kriegerisches Weltbild. Aus der Welt schaffen können sie, die sie früher auf jeden Atemzug von ihm horchten, seine Deutungen allerdings auch nicht. Das einstündige Gespräch ist auf dem YouTube-Kanal des CFR unter dem Titel „Lessons From History: A Conversation with Henry Kissinger“ für jedermann kostenlos und werbefrei einsehbar. Bevor wir auf die aktuelle Meinungsäußerung und Analyse von Kissinger aus dieser Lektion blicken, hier noch eine kurze Erinnerung an von ihm in den letzten 24 Monaten getätigte Aussagen, die in der internationalen Medienwelt ihren Widerhall in diversen Schlagzeilen fanden:

Kissinger warnt vor einer Situation wie im Ersten Weltkrieg, es sei denn, die USA und China hören auf, die Drohungen weiter eskalieren zu lassen. (Oktober 2020)
Kissinger warnt vor einem „Kalten Krieg“ zwischen den USA und China mit globalen Auswirkungen. (Mai 2021)
Kissinger sagt, er erwarte keinen umfassenden Angriff Chinas auf Taiwan. (November 2021)
Der erfahrene US-Diplomat Kissinger macht Washingtons Mangel an visionärer Führung der Vereinigten Staaten dafür verantwortlich, die Welt an den „Rand eines Krieges mit Russland und China“ gebracht zu haben. (August 2022)
Lessons From History: A Conversation with Henry Kissinger
Gesprächspartner von Kissinger: Richard Haass, Präsident Council on Foreign Relations.

In seinen aktuellen Ausführungen vor dem Council on Foreign Relations sagte Kissinger, dass „es keine kluge amerikanische Politik war, zu versuchen, die Ukraine in die NATO aufzunehmen“. Er führte weiter aus, „Russland betrachte seinen Einflussbereich in Osteuropa als Sicherheitsgürtel, und die Bemühungen der USA, nach dem Fall der Berliner Mauer in ehemalige Teile des Sowjetblocks einzudringen, gefährdeten im Grunde die russische Sicherheit“. Nach Kissingers Ansicht „wäre jedoch der von den USA geführte Versuch der NATO, auf ehemalige Mitgliedstaaten der alten Sowjetunion einzuwirken, keine Rechtfertigung für den russischen Präsidenten Wladimir Putin, mit einem Überraschungsangriff auf die Ukraine, diese wieder in Moskaus Einflussbereich einzugliedern“. Kissinger sagte, „er wisse nicht, ob es möglich sei, mit dem russischen Anführer Frieden zu schließen“. Er betonte aber, „dass der Westen eine Gelegenheit für eine Vereinbarung suchen muss, welche die ukrainische Freiheit garantiert und das Land ein Teil des europäischen Systems bleibt.“ Darüber hinaus meinte Kissinger, „dass Russland in gewisser Weise den Krieg bereits verloren habe, weil es mit seiner Fähigkeit, Europa mit konventionellen Angriffen zu bedrohen, die es Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte lang besaß, jetzt nachweislich vorbei sei“. Kissinger blieb bei seiner in den letzten Monaten öfter geäußerten Überzeugung, „dass der Westen und Russland früher oder später in einen Dialog treten müssten. Ein gewisser Dialog, vielleicht auf inoffizieller Ebene, vielleicht auf einem Sondierungsweg, ist sehr wichtig“, wiederholte er seine bekannte Meinung und Analyse. Dabei machte Kissinger deutlich, „dass im nuklearen Umfeld ein solches Vorgehen des Dialoges einer Schlachtfeldentscheidung vorzuziehen sei“.

*Titelbild und das Bild im Beitrag stammen von einem Screenshot der YouTube-Übertragung des CFR. (In Henry Kissingers Regal sind Fotos von Richard Nixon, Nelson Rockefeller und Eleanor Roosevelt erkennbar.)

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