Leben

In Zeiten von Kriegsverbrechen

Welche Morde, Hinrichtungen und Verbrechen an Zivilisten auch immer in Butscha verübt wurden. Es ist zu hoffen, die Wahrheit darüber gelangt irgendwann vollständig ans Licht und Schuldige werden bestraft und zur Verantwortung gezogen. Doch Kriegsverbrecher, ob nun die kleinen Erfüllungsgehilfen mit Bajonetten und Patronen oder die großen Schreibtischtäter mit edlen Füllfederhaltern, kommen leider seit ewigen Zeiten oftmals davon. Pol Pot und Idi Amin starben unbehelligt in ihren eigenen Betten. Natürlich gab es Nürnberg und gibt es Den Haag. Immerhin. Vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Holland landeten allerdings weder George Walker Bush noch Sir Anthony Charles Lynton Blair wegen eines völkerrechtswidrigen Krieges, noch wird Wladimir Wladimirowitsch Putin vor selbigen Schranken stehen und sich für Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten müssen. Anderes zu glauben oder zu hoffen, wäre arg naiv. Wir in Deutschland sollten darüber nicht die Nase rümpfen. Nach dem 2. Weltkrieg haben in unserem Land viele Kriegsverbrecher und Massenmörder nicht nur ihr Auskommen gefunden, sondern sind hochbetagt und berentet friedlich in ihren Betten verblichen. Diese Schande klebt an uns. Wie Brecht sagte, besudelt sitzen wir unter den Völkern. Was die Verbrechen anderer nicht relativiert oder besser macht. Die Gräueltaten von Butscha werden in unseren Medien und Landen in einiger Deutlichkeit und umfänglich im Minutentakt beschrieben und ergänzt. Sie sind sehr gegenwärtig. Wo dabei die Wahrheit liegt oder wir der einen oder anderen Propaganda aufsitzen, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt einfach nicht sagen.

Hier soll Platz sein für eine Schilderung der New York Times und von deren investigativen Reporter Evan Hill, der einst einen Pulitzer-Preis für seine Berichterstattung über Russlands Bombardierung von Krankenhäusern in Syrien bekam. (Man könnte jetzt fragen, ob es auch Pulitzer-Preise für die Berichterstattung über zivile Opfer durch US-Drohnen im gesamten Nahen Osten gibt, was aber vielleicht zynisch rüberkommen könnte. Die ARD-Tagesschau vom 19.12.2021 formulierte es so: „Bei Drohnenangriffen im Nahen Osten nehmen US-Streitkräfte offenbar verheerende Folgen für Zivilisten fahrlässig in Kauf.“) Evan Hill jedenfalls ist ein international anerkannter Reporter mit ausgezeichnetem Recherchegespür. Es sei bitte noch deutlich gesagt. Der Blick auf die mutmaßlichen Kriegsverbrechen aller Konfliktparteien soll nicht irgendetwas relativieren oder gar vergleichen, wer besser, schlimmer und grausamer als der jeweilige Feind. Solche Kategorien verbieten sich aus Respekt vor allen Opfern des Krieges. Hier geht es um die grundsätzlichen Gräuel des Krieges anhand eines Kapitels, welches in unserer Medienlandschaft nicht sonderlich breiten Raum fand. Ähnlich wie im Fall Butscha ist es hierbei ebenfalls für Normalverbraucher und gewöhnliche Erdenbürger nahezu unmöglich, den Wahrheitsgehalt zu erkennen. In Sachen Kriegsberichterstattung ist man diversen Interessengruppen ausgeliefert sowie vielfältigen Quellen von sehr unterschiedlicher Qualität. Deswegen ist es nicht verwerflich, in allen Fällen seine Zweifel zu behalten und keine vorschnellen Urteile zu fällen, bevor unumstößliche Beweislagen die Täter eindeutig entlarven. Was zugegebenermaßen in einem Krieg nicht vollständig möglich oder zumindest außerordentlich schwer. Nun geht das Wort jedenfalls an die New York Times und deren Reporter Evan Hill mit einem Bericht vom 6. April 2022:

Ein am Montag online gestelltes und von der New York Times bestätigtes Video scheint eine Gruppe ukrainischer Soldaten zu zeigen, die gefangene russische Soldaten außerhalb eines Dorfes westlich von Kiew töten. „Er lebt noch. Filmen Sie diese Plünderer. Schau, er lebt noch. Er schnappt nach Luft“, sagt ein Mann, als ein offensichtlich verwundeter russischer Soldat mit einer Jacke über dem Kopf noch atmet. Ein Soldat schießt dann zweimal auf den Mann. Nachdem der Mann sich weiter bewegt hat, schießt der Soldat erneut auf ihn und er bleibt stehen. Mindestens drei weitere offensichtliche russische Soldaten, darunter einer mit einer offensichtlichen Kopfwunde, dem die Hände auf dem Rücken gefesselt sind, sind tot in der Nähe des Opfers zu sehen. Alle tragen Tarnanzüge, und drei haben weiße Armbänder, die üblicherweise von russischen Truppen getragen werden. Ausrüstung ist um sie herum verstreut und es gibt Blutflecken in der Nähe des Kopfes jedes Mannes. Die Soldaten liegen auf der Straße, nur wenige Meter von einem BMD-2 entfernt, einem Schützenpanzer, der von russischen Luftlandeeinheiten eingesetzt wird. Einigen wurden offenbar Jacken, Schuhe oder Helme ausgezogen. Weiter die Straße hinauf sind weitere zerstörte Fahrzeuge zu sehen.

Das Video wurde auf einer Straße nördlich des Dorfes Dmytrivka gedreht, etwa 11 km südwestlich von Butscha, wo die Entdeckung von Hunderten von Leichen von Menschen in Zivilkleidung in den letzten Tagen zu Anschuldigungen geführt hat, dass russische Truppen Zivilisten auf ihrem Rückzug getötet haben. Die Morde scheinen das Ergebnis eines ukrainischen Hinterhalts einer russischen Kolonne gewesen zu sein, der am oder um den 30. März stattfand, als sich russische Truppen aus kleinen Städten westlich von Kiew zurückzogen, die wochenlang Schauplatz heftiger Kämpfe waren.

Oz Katerji, ein freiberuflicher Journalist, postete am 2. April Videos und Bilder der zerstörten Kolonne auf Twitter und schrieb, Soldaten hätten ihm gesagt, die Russen seien 48 Stunden zuvor überfallen worden. Auch das ukrainische Verteidigungsministerium twitterte über die Zerstörung des russischen Konvois und nannte es „Präzisionsarbeit“ der ukrainischen Streitkräfte. „Das sind nicht einmal Menschen“, sagt ein ukrainischer Soldat in dem Video, während er zwischen den zerstörten Fahrzeugen umhergeht, und fügt hinzu, dass zwei russische Leutnants gefangen genommen wurden. Die ukrainischen Soldaten sind an ihren Hoheitsabzeichen und blauen Armbinden zu erkennen und wiederholen mehrfach „Ruhm der Ukraine“. Ihre Einheit ist unklar, aber in dem Video des Mordgeschehens bezeichnet einer der Männer einige von ihnen als „Belgravia-Jungs“, was sich wahrscheinlich auf eine Wohnsiedlung namens Belgravia bezieht, die sich einige hundert Meter von dem Vorfall entfernt befindet. Eine ukrainische Nachrichtenagentur, die am 30. März ein Video über die Folgen des Hinterhalts veröffentlichte, beschrieb es als die Arbeit der „Georgischen Legion“, einer paramilitärischen Einheit georgischer Freiwilliger, die sich 2014 formierte, um für die Ukraine zu kämpfen.

*Titelbild: Zerstörungen in Butscha. (Screenshot: Nachrichtenkanal TV2-Frankreich)

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