Leben

Lasst die Queen in Ruhe und Frieden

Ohne jedweden Sarkasmus, die Briten beherrschen Pomp and Circumstance mit imperialem Gehabe von Größe und Stil in Vollendung, das macht ihnen kaum einer nach. Und es ist eindrucksvoll anzusehen. Ob das alles noch in die Zeit passt, darf angezweifelt und muss hinterfragt werden, vor allem von den Menschen in Großbritannien, die nicht zu den Privilegierten gehören. Die verstorbene Königin Elizabeth II hat, obwohl Teil und Aushängeschild einer abgehobenen Elite, viele Risse in Gesellschaft, System und Monarchie überdeckt. Ihre Arbeitsethik und ihr diskreter Charme, nebst stiller Freundlichkeit und einer Prise Ironie, ließen ihre eigentliche Unnahbarkeit nicht erkennen und gaben ihr den Rahmen für die Gestaltung ihrer Pflichten, denen sie stets bewundernswert und menschlich nachkam. Egal wie man sonst über die Monarchie dachte und denkt, der Respekt vor Elizabeth II wird bleiben, ohne dass man etwas verklären muss. Sie ging als Kind noch mit ihrem Vater, König George VI, durch die Trümmer deutscher Luftangriffe auf London. Auch so etwas behält Bestand in der respektvollen Erinnerung an dieses Leben. Chapeau!

Great Britain trägt die Queen zu Grabe. (Foto: © Prince Of Wales)

Es verwundert nicht, dass in fast jedem britischen Haushalt auch bei kleinen Leuten irgendwelche Queen Elizabeth II Devotionalien zu finden sind. Ob nun Tasse, Teller oder anderer Tand. Es gibt natürlich eine Menge Briten, die (noch) in der Minderheit und nichts mit der Monarchie oder Königinnen oder Königen an der Mütze haben. Das gehört auch zur Wahrheit und Realität in Großbritannien. Selbst unter den Royalisten gibt es Anhänger, bei denen die Queen den Kopf schütteln und sich wohl abwenden würde. Die britischen TV-Anstalten befragten in diesen Tagen viele Passanten, das Programm musste schließlich gefüllt werden. Irgendein TV-Team bekam ein Ehepaar vor Mikro und Kamera, die das Privileg oder nur Pech hatten, in der 14 Kilometer langen Warteschlange, welche zum Sarg der aufgebahrten Queen führte, sozusagen das Schlusslicht zu bilden. Was die Gattin dann von sich gab, mutete allerdings äußerst merkwürdig an:

Ich glaube, das ist das Beste, was ich je in meinem Leben getan habe, das übertrifft alles, sogar die Geburt meiner Kinder Lily und Luca.

Britisches Ehepaar. Anstehen in Trauerschlange als größtes Lebenserlebnis. Was Lily und Luca dazu sagen, ist nicht bekannt. (Bild, Twitter von Owen Jones).

Jetzt ist es langsam gut und genug. 11 Tage Trauer in Großbritannien. Lasst die verstorbene Königin bitte endlich in Ruhe und ruhen. Der Tod erlöst einen nicht nur von Freund und Feind, er macht einen auch wehrlos gegenüber allerlei Vereinnahmung. Natürlich bei gehobenen Verblichenen eher und nachhaltiger als bei uns Normalos. Die verstorbene Queen ging in ihre Grabstätte zur ewigen Ruhe, wie einst das Empire. Noch einmal boten Great Britain und die Monarchie allen Pomp auf. Die BBC übertrug am Rande der Peinlichkeit fast nach Art des nordkoreanischen Staatsfernsehens beim Ableben eines Kims. Doch die BBC ist auf der anderen Seite auch bewundernswert professionell und kann in solchen Fällen ihren Job, selbst dann, wenn die Übertreibung ziemlich maßlos. Der legendäre Sender hatte über die Tage alle Kräfte und Ressourcen mobilisiert, dabei mit perfekter Logistik geglänzt. Davor muss man anerkennend den Kopf neigen. Perfektion bei der BBC, wie bei den diversen Zeremonien, besonders dem Tag des Begräbnisses. Beim Trauergottesdienst in Westminster Abbey gelangen der Bildregie einige atemberaubende Kamerafahrten und Bildschnitte, die ihresgleichen suchen. Berufliches Können auf dem Gipfel. Die BBC mal wieder auf der Höhe des einstigen Rufes, der mittlerweile aus politischen Gründen schwer lädiert.

Blick aus den Höhen des Kirchschiffs von Westminster Abbey hinunter auf die Trauergemeinde. (Screenshot: BBC)

Beim Verhalten des Senders wie bei dem des Königshauses, des britischen Establishments und seiner politischen Kräfte konnte man in den letzten Tagen den Eindruck gewinnen, es geht hier nicht nur um Trauer und Abschied für eine über Jahrzehnte allgegenwärtige öffentliche Person. Vielmehr schien es durchaus auch um die Stabilität der Institutionen, den Machterhalt der Eliten und die Ablenkung von schwerwiegenden Gesellschaft- und Sozialproblemen in Großbritannien zu gehen. Krisen werden von der politischen Klasse nicht mehr bewältigt, sondern nur noch auf die Bürger abgewälzt. Das britische Volk wankt noch stärker unter den rasant explodierenden Lebenshaltungskosten als Kontinentaleuropäer. Wie durch Zauberhand die letzten Tage keine Rede mehr über den Niedergang und die Tatsache, dass die Tories das Land zur Beute weniger Eliten machten. Der neue König wird dennoch wissen, diese Tage gehen vorbei. Dann kommt der Alltag und darin können sein Ruf und seine Person die Strahlkraft der Mutter nicht erreichen. Somit werden die schwerwiegenden Problemlagen des Landes auch über ihn und die Monarchie kommen, vielleicht sogar noch dramatischer, als viele Bewahrer des Ewiggestrigen es momentan wahrhaben wollen. Wie Charles III darauf reagiert, ist nicht absehbar. Zumal nach dem Lügner und Scharlatan Boris Johnson mit Liz Truss in 10 Downing Street eine weibliche Johnson-Variante Einzug hielt und als Alternative der opportunistische Labour-Chef Keir Starmer ebenfalls kein Politiker von Format ist. An diesem Format fehlt es allerdings dem von Murdoch geduldeten Teil der britischen Politikklasse seit Jahren. Ein Unglück für Volk und Nation. Aber die Masse der Briten sind Murdoch völlig hörig, verdienen daher nur wenig Mitleid.

Politiker des Niedergangs. Liz Truss und Keir Starmer. (Screenshot: BBC)

Unter dem Eindruck des Todes der Königin und in Angesicht der Premierministerin Truss und des Oppositionsführers Starmer fand ein Brite auf Twitter ironische, aber doch bezeichnende Worte für die beiden Politiker:

Es fühlt sich an, als wären diese beiden die Strafe, die Großbritannien für all unsere vergangenen Sünden auferlegt wurde.

Während der Trauerfeierlichkeiten war der wahre Herrscher über die Köpfe von Großbritannien nicht sichtbar, nur viele seiner politischen Lakaien, unter anderem Tony Blair. Von Rupert Murdoch keine erkennbare Spur. Vielleicht hatte der Volksverhetzer, Medienmogul und Erschaffer britischer Premierminister anderes zu tun. Außerdem fiel beim Gottesdienst noch auf, dass sehr viele der Eliten des Königreiches, wie auch ausländische Blaublüter und Staatsgäste das „Vaterunser“ vom Blatt ablesen müssen. Armutszeugnis der Reichen. Zudem hörte und sah man in den Trauerzeremonien des Tages oft einen einsamen Dudelsackspieler. Wohl bewusste Hommage an das von der verstorbenen Königin sehr geliebte Schottland. Das schottische Balmoral Castle war bekanntermaßen der Lieblingsort der Queen.

Schloss Balmoral in Schottland. (Foto: dpexcel auf Pixabay)

Schottland könnte zum baldigen Problemfall für Charles III und die Regierung in London werden. Die Schotten streben zu einem neuen Unabhängigkeitsreferendum und wollen sich endlich von der Londoner Herrschaft der Tories befreien. Nicola Sturgeon, die „Erste Ministerin“ Schottlands von der linksliberalen Scottish National Party, ist eine vehemente Kämpferin für die Unabhängigkeit und eigentliche Opposition gegen das Establishment der Tories. Schottland ist in der Frage gespalten, wie die Fans der Fußballvereine Celtic Glasgow und Glasgow Rangers in Sachen der Monarchie. Die Celtic-Fans bleiben gegenüber der Monarchie unversöhnlich, verhöhnten auch die verstorbene Königin. Hintergrund der Antipathie sind die irischen Wurzeln des Klubs und daher der irische Konflikt in allen Facetten zwischen Bürgerkrieg und Unabhängigkeit. Ein politisches und religiöses Minenfeld über Generationen. Die Anhänger der Rangers fanden dagegen in ihrem Europapokalspiel im heimischen Stadion eine ehrenvolle Art der Anerkennung für die verstorbene Monarchin, die der Queen sicher gefallen hätte:

Tribüne Ibrox-Park Glasgow. Heimspiel der Rangers gegen SSC Neapel. (Screenshot: BBC News)

Auch in Deutschland wurde berichtet, bis die Augen glühten und die Ohren qualmten. Warum beide öffentlich-rechtliche Anstalten, ARD wie ZDF gleichzeitig über viele Stunden und Tage die Ereignisse um den Tod und die Trauerfeierlichkeiten der Queen parallel berichteten, zusätzlich die Thronveranstaltungen des neuen Königs, muss man nicht verstehen. Während die BBC innerhalb des gesamten Trauergottesdienstes einfach schwieg, konnte man in den deutschen TV-Anstalten natürlich das Maul nicht halten. Dieses Niveau zeichnete sich schon vorher ab. Die Kamera zeigt eine Fahne, man hört die Moderation „eine Fahne“ sagen, es ertönt hörbar eine Glocke, die Moderationen erklärt „eine Glocke“. Deutsches Fernsehen auf der Höhe der Zeit. Mit Studioexperten, die den Eindruck erweckten, ihr Wissen über die britische Monarchie aus der Yellow Press zu haben. Der deutsche Hang zu Monarchen und Königshäusern hat immer noch etwas vom Untertanengeist, wie ihn Heinrich Mann für ewig und alle Zeiten festgehalten. Diese Lust auf Adel und Monarchie sollte gerade in Deutschland einen Gedanken an den letzten deutschen Monarchen verschwenden. Wilhelm II. richtete einen Weltkrieg und millionenfaches Abschlachten mitverantwortlich an. Matrosen und Arbeiter jagten ihn dafür wenigstens vom Thron, leider nicht zum Teufel. Statt vor einem Kriegsgericht und einem Erschießungskommando zu landen, hackte er bis ans Ende seiner Tage Holz in einem holländischen Schloss und erzählte dummes Zeug wie zu seiner unsäglichen Regierungszeit. Derweil seine Sippe mit den Nazis paktierte. Unser Bedarf an Monarchie sollte gedeckt sein.

Sieger über die Monarchie. Was jener Herr wohl heute zu alledem sagen würde?

In Frankreich haben sie, ähnlich dem Briten Oliver Cromwell auch Erfahrungen mit Königen, einen sogar auf die Guillotine geschickt. Das Land der Revolution hat keinen König, aber aktuell einen Möchtegernmonarchen, Präsident Emmanuel Macron. Der hielt eine Trauerrede auf Elizabeth II, die viel Anerkennung fand, weil Macron den richtigen Ton traf, zu dem die britische Premierministerin Truss nicht in der Lage war. In seinem eigenen Land erfuhr Macron allerdings auch heftigen Widerspruch. Sein Satz „Sie war auch unsere Königin“ erstaunte viele Franzosen, vor allem aus dem Munde eines französischen Präsidenten. Als man Jean-Luc Mélenchon zu den Aussagen seines Präsidenten und dem britischen Trauerfall befragte, hatte dieser eine kurze Antwort:

Es lebe die Republik. Es lebe Frankreich.

Von Frankreich und Deutschland zurück auf die Insel. Neben ihrem 2021 verstorbenen Ehemann ruht Elizabeth II nun in der St George‘s Chapel auf Schloss Windsor. Die Erinnerungen an sie werden nicht so schnell verblassen, sie war der Zeit und den Umständen geschuldet eine globale Erscheinung und sehr vielen Menschen ein Bild und ein Begriff. Vielleicht war sie sogar die bekannteste Person auf dem Planeten. Jedenfalls durchaus möglich. Was solche ewige und stetig wachsende Popularität aus einem Menschen macht, kann keiner von uns sagen. Elizabeth II hat sich darin hineingefunden und ihre Rolle mit Bravour ausgefüllt. Eine außergewöhnliche Frau von Format. Vor dieser Queen darf man getrost den Hut ziehen und den Säbel senken. Das Wort Lebensleistung in seinem guten Sinne ist durchaus angebracht und absolut gerechtfertigt. Möge die Queen in Frieden ruhen.

Das alte Empire kann Spektakel. (Screenshot: BBC)
Sarg mit Elisabeth II, bis zu ihrem Tod Königin des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland. (Screenshot: BBC)
Letzte Fahrt. (Screenshot: BBC)
Letzte Ruhestätte. St. George’s Chapel-Windsor (Foto: Carl S. auf Pixabay)
Queen Elizabeth II (Foto: © Prince Of Wales)
(Foto: © The Royal Family)

Titelbild: Elizabeth II, von 1952 bis 2022 Königin des Vereinigten Königreichs und anderer Reiche des Commonwealth. (Foto: © The Royal Family)

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