Kultur

Leidenschaft oder Erziehung

Legenden. Manchmal darf man in Superlativen schwelgen. Also los. Große und legendäre wie reale Persönlichkeit (Thomas Edward Lawrence), legendäres und faszinierendes Buch (Die sieben Säulen der Weisheit) spiegeln sich in einem grandiosen wie legendären Film (Lawrence von Arabien) unter der Regie eines legendären Regisseurs (David Lean) wider. Die Euphorie und hier gerne eingestandene Lobhudelei soll ein Churchill-Zitat über T. E. Lawrence abschließen: „Sein Name wird in der Geschichte weiterleben. Er wird lebendig bleiben in den Annalen des Krieges. Und in den Legenden Arabiens.“ (Die ersten beiden Sätze haben Bestand bis heute, der dritte Satz hat sich in einer veränderten arabischen Welt und der political correctness in Luft aufgelöst.) Lawrence führende Beteiligung am arabischen Aufstand gegen die Türken zu Zeiten des 2. Weltkrieges hat jedenfalls seinen festen und berechtigten Platz in den Geschichtsbüchern, zumal denen britischer Färbung.

Aber nun zum Film. Besser zu einer kleinen Szene, Aufmerksamkeit für eine winzige Passage. Prinz Faisal I. (Gespielt von Sir Alec Guinness, Alter Ego von David Lean und dessen Lieblingsschauspieler.), empfängt in seinem Hauptquartier den amerikanischen Journalisten Jackson Bentley (Gespielt von Arthur Kennedy.). Faisal möchte die amerikanische Öffentlichkeit für seine Sache begeistern und weiß um die Wichtigkeit von positiven Schlagzeilen. Freundlich und sich etwas naiv gebend, bescheiden und still empfängt er den Schreiberling. Ein typischer Ami seiner Zeit. Etwas vorlaut, etwas nassforsch legt dieser los und gibt sich dem Gefühl hin, das Gespräch zu lenken. Faisals lächelndes Gesicht verbirgt alles, was diesen Machtmenschen auszeichnet und was hinter seiner Stirn verborgen. Er bekommt, was er will, Bentley assistiert unbewusst. Diese Szene wurde in der deutschen Kinofassung sogar gekürzt, fand erst viele Jahre später völlige Rückkehr in den Film. Darin dann teilweise sogar untertitelt. Die Synchronsprecher standen nicht mehr zur Verfügung. In der englischen Originalfassung hat David Lean diesen Schnitt verhindert.

Im Verlauf der Unterhaltung kommt natürlich die Frage auf T. E. Lawrence. Die Türken foltern und morden arabische Gefangene, weil sie in ihren Augen Rebellen und damit nicht unter dem Schutz der Genfer Konvention stehen. Die arabische Armee des Prinzen Faisal unter Führung von Lawrence wiederum tötet eigene Verwundete, um ihnen den türkischen Foltertod zu ersparen. Schrecken des Krieges in lapidarem Plauderton beim Tee. Andererseits wird darauf hingewiesen, dass dagegen die Araber mit türkischen Gefangenen nach der Genfer Konvektion umgehen, diese versorgen und dann den Briten übergeben. Bentleys Frage geht dahin, ob dies der Einfluss von Lawrence sei, weil jener angeblich etwas gegen unnötiges Blutvergießen hätte. (Dieser Sachverhalt wird sich im Verlauf der weiteren Handlung dramatisch ändern.) Faisal antwortet mit einer Art Gleichnis. Darauf es von Bentley keine Antwort gibt. Die Frage steht im Raum und ist eine lohnenswerte Denkaufgabe in Sachen Ethik, Moral und Menschlichkeit. Jeder kann sich damit einmal beschäftigen und zu einem oder keinem Ergebnis kommen: „Bei Major Lawrence ist Mitleid eine Leidenschaft. Bei mir ist es das Resultat meiner Erziehung. Beurteilen Sie, welcher Beweggrund der zuverlässigere ist.“ (Folgt man dem Film weiter, lässt sich eine Antwort finden.)

Viel Spaß beim Nachdenken.

Anmerkung Beitragsbild: Screenshot aus „Lawrence of Arabia“ (GB 1962, Regie: David Lean). Schauspieler: Sir Alec Guinness, Arthur Kennedy)

 

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