Leben

Mehr als blaue Haare

Rezo, auch Rezo ja lol ey oder Renzo bespielt sein Publikum auf drei Youtube-Kanälen und kann dabei fast zwei Millionen Abonnenten sein eigen nennen. Als Zeitung wäre er damit eine Medienmacht. Rezo ist aber kein Medienuniversum klassischer Prägung, sondern ein berechtigtes wie verständliches Zeitphänomen. Rezo frönt mit guter Laune dem Spaßempfinden seiner Klientel, die ihm offenkundig gerne und regelmäßig folgt. Da schallt einem manch Flachheit und schrille Spektakelfreude entgegen, die auf ältere Zeitgenossen etwas befremdlich wirkt. So man zur Vor-YouTube-Generation und geistig in die Jahre gekommen, hat man bei Rezo eher nichts zu suchen. Für die betagten Semester ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk temperamentlos und schläfernd rund um die Uhr da. Rezo holt vor allem ein Publikum zwischen kindlich verspielt und Pubertät ab, was ihm nicht anzukreiden, gewinnt allerdings auch Neugierige. Worin unterscheidet er sich von Boulevardmedien, welche Jahr um Jahr dem Dschungelcamp und einer Horde verkrachter Existenzen Titelseiten widmen? Rezo sinkt nie auf bestimmte Tiefen des Boulevards oder benutzt deren Gossensprache zum Aufpeitschen verblödeter Gruppen, was ihm sehr hoch anzurechnen. Er ist weder Sprachrohr von Niedertracht noch von Denunziation, fördert nicht den inneren Schweinehund im Menschen. Sein Publikum besteht nicht aus einer Kundschaft, welche mit Blättern besagter Niedertracht im Straßenbild anzutreffen. Schon daher verdient Rezo und seine Anhängerschaft Achtung und Aufmerksamkeit.

Wenn Rezo politisch wird, was er ab und an tut, dann folgen ihm seine Abonnentenschar darin und viele andere Interessenten. Er schafft es, Jugend für das sie umgebende politische Umfeld zu wecken. Deswegen kommen politische Klasse und Medienzirkus, denen beiden der Zugang zur Jugend mehr und mehr entgleitet, an Rezo nur noch schwer vorbei. Rezo ist ein lebendiges Massenphänomen. Längst lässt sich der politische Teil in Rezos Universum nicht mehr über dessen blaue Haare oder die manchmal übertriebene Flippigkeit abwerten. Irgendwann muss Rezo sich vor dem Status des Berufsjugendlichen vorsehen. Noch umschifft er diese Klippe geschickt. Aktuell trifft er den Zeitgeist der Jugend jedenfalls mit deren Sprache mitten ins Herz. Jene, denen er Aufmerksamkeit widmet und öffentlich kritische Fragen stellt, dabei deren Versäumnisse in verständlicher Sprache anprangert, können ihn nicht mehr ignorieren. Was dann, wie so oft, wenn der Versuch läuft, sich an die junge Generation anzubiedern, schnell aus dem Ruder läuft. Wer erinnert sich nicht an den CDU-Gegenschlag Richtung Rezo mit der Person Philipp Amthor. Ein Kabarettstück sondergleichen, wirkt Philipp Amthor doch wie der Bingo-Spielleiter im Seniorenheim. Ausgerechnet jener sollte die Jugend von Rezo weglotsen und zur CDU führen. Absurder Einfall.

Von Politik und Medien erlebt Rezo Anbiederung und Gegenwind. Täten dort jene mit den von ihnen an Rezo angelegten Maßstäben sich selbst auf diesen Prüfstand begeben und danach handeln, wären wir allesamt ein Stück weiter. Rezo ist oft holzschnittartig, sein inhaltlicher Hintergrund manchmal begrenzt und doch wirkt er näher am Alltag und dessen Normalität als die gesamte Hauptstadtblase, in der sich die politische Klasse des Landes und die sie begleitende Medienkohorte ziemlich selbstgerecht eingerichtet haben. Aus dieser Blase wird oft im Ton von Belehrungen und Zurechtweisungen gnädig an das Volk appelliert und um Aufmerksamkeit geheischt. Journalisten um des täglichen Brotes willen. Politiker um Wählerstimmen, die für viele dieser Zunft ja auch tägliches Brot bedeuten. Was aus der Politik- und Medienblase dringt, erreicht eher die Alten, die Jugend kaum noch. Junge Leute finden kein Interesse an Politikern, die sprechen, um nichts zu sagen. Das dafür in Worthülsen gekleidete Geplapper wollen junge Leute nicht hören. Werden die jungen Menschen von Themen wie z. B. Umwelt und Klima echt befeuert, weil ehrlich besorgt, begegnet ihnen eine Herrschaftssprache, die den Eindruck vermittelt, das betreffende Thema sei viel zu komplex, als dass sie es begreifen, es bedarf der Medien zur Erklärung und der Politik zum Handeln. Schon dreht die Jugend natürlich wieder ab und sucht sich eigene Wege, Stichwort Fridays for Future.

Jugend geht eigene Wege mit Humor (Foto: Dominic Wunderlich auf Pixabay)

Wenn die Jugend „fickt“ auf ein Plakat schreibt, ist nicht mal mehr der deutsche Michel erschrocken. Nur Spießer bei der FDP zucken beim „Ficken“ noch zusammen. Allerdings wegen einem, der sich für jung hält, es aber nicht mehr ist. Jürgen Trittin, Jahrgang 1954, der Ex-Minister der Grünen mit dem Dosenpfand. Dieser hat unlängst, angelehnt an einen Satirebeitrag, die FDP mit „F.D.P. = Fick den Planeten“ abgekürzt. Darüber war die FDP tatsächlich empört und sprach durch den Mund ihres Generalsekretärs, dessen Namen man nicht kennen muss, im Brustton der Empörung von „Pöbelkritik“. Schnell ruderten auch viele Grüne zurück, die ja mit selbigem Herrn von der FDP in eine Regierung streben, und distanzierten sich. Was wiederum junge Leute sich bei so einer Nummer denken, soll hier nicht spekuliert werden. Jugend ist jedenfalls gleichermaßen der Politik und den Medien abhandengekommen. Die Einsicht ist noch nicht überall durchgedrungen. Noch genügen sich Politik und Medien in trauter Gemeinsamkeit. Junge Leute machen auch deshalb zwischen Politik und klassischen Medien längst keinen Unterschied mehr, halten beides für überholt, suchen sich ihre eigenen Informationskanäle. Ihr Weg zu Rezo ist daher absolut folgerichtig. Die jungen Leute bleiben hoffentlich bei ihrer Pöbelkritik an uns und was wir aus diesem Planeten gemacht haben. Dabei sollte Rezo der jungen Generation weiterhin als kritisches Sprachrohr dienen. Beides täte dem Land und dem Klima gut.

*Titelbild: Hans Braxmeier auf Pixabay

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