Sport

Moral in heißer Luft

Ob Fußballer, die Aktiven oder jene mit einem „Ex“ davor eigentlich erfassen, was in ihrer Echokammer, die sie so gerne „Branche“ nennen, alles dröhnt, sobald sie den Mund auftun? Den neuesten Hall fabrizierte Philipp Lahm, Chef des Organisationskomitees der Fußball-EM 2024. Allenthalben dieser Tage dafür gelobt im In- und Ausland. Schauen wir genauer hin. Als aktiver Spieler ein mit vielen Ehren und Titeln behafteter Könner. Weltmeister, Champions League Sieger und wie jeder, der viele Jahre bei Bayern München verbrachte, ganz oft Deutscher Fußballmeister und Pokalsieger. Ein Großer im Metier Fußball. Nun verkündete Philipp Lahm in einem Fußballfachmagazin zum Thema WM in Katar: „Ich bin nicht Teil der Delegation und will da nicht hin als Unterstützer. Ich verfolge das Turnier lieber von zu Hause aus. Menschenrechte sollten bei der Vergabe eines Turniers eine größere Rolle spielen.“ So weit, so gut, so richtig. Keine Tat zur Heldenverehrung, aber es macht, ähnlich dem Franzosen Éric Cantona, wenigstens ein weiteres prominentes Gesicht des Fußballs eine Ansage in die richtige Richtung. Doch bei Lahm hält der positive Eindruck leider nicht lange vor. Als hätte er Angst vor der eigenen Courage, relativiert er seine Aussage und lässt, was eben noch als persönlicher Anstand durchaus Anerkennung verdiente, eher klein und lahm wirken: „Wenn ich in Katar in meiner Eigenschaft als Direktor der Euro 2024 einen beruflichen Imperativ hätte, wäre es natürlich anders.“

Flagge Katar. Geld, Öl und Gas machen alles möglich. Auch jeden Kotau von Politik und Sport.

Welche Art von Moral und Anstand – außer einer gehörig von Opportunismus verdorbenen Variante – wird hier zelebriert? Bricht man es herunter, verzwergt sich eine im Erstansatz vernünftige Aussage in ihrem Widerspruch. Was will der EM OK-Chef uns sagen? Als Privatmann mag ich nicht so gern mit mörderischen Potentaten verkehren, wäre ich aber im Dienst, täte ich dies selbstverständlich? Merkwürdig. Mit solcher Art Inkonsequenz durch eine nachgeschobene Relativierung wird überhaupt nichts erreicht, außer sich selber im Gespräch zu halten. Worauf diese Relativierung abzielte, wird nur Lahm wissen. Er ist unternehmerisch tätig, steht in der Branche Fußball hoch im Kurs, vielleicht will er Hände einer Branche, die auch ihn zu einem Multimillionär und Sportfunktionär machten, nicht zu sehr beißen. Da entstehen Verbindungen und Netzwerke, die stabil und heil bleiben müssen. Wer sich solcher Art rückversichert, sollte dann doch besser schweigen. Es ist ja anzunehmen, dass auch in die EM 2024 einiges an dreckigem Geld aus den Öldiktaturen fließt. Wie auch anders im modernen Sportzirkus, der offenbar nicht mehr ohne arabische Öl-Potenten auskommen kann und will. Eine Nachfrage hat es vonseiten des Fußballfachmagazins nicht gegeben. Wen wundert es? Allerdings hätten auch politische Tageszeitungen da eher nicht nachgefasst. So etwas war einmal. Kritische Nachfragen aus dem Impuls des Zuhörens und Mitdenkendes sind längst Geschichte.

Philipp Lahm ist natürlich nicht allein mit einer sowohl als auch Haltung. Unter den feigen Fußballgesellen in Deutschland gib es schlimme Schweiger, sobald es um Menschenrechte und Anstand, gar Moral geht. Man stelle sich nur einmal eine Phalanx aller 18 Präsidenten jener Klubs vor, die in der 1. Bundesliga vertreten. Eingerahmt von ihren jeweiligen Trainern und Mannschaftskapitänen verkünden sie in einer Pressekonferenz die Empfehlung an den DFB, nicht an der WM in Katar teilzunehmen. Kurz danach dann die DFB-Spitze mit der kompletten Nationalmannschaft vor den Kameras, die den Ball aufnimmt und ihre Nichtteilnahme verkündet. Man ahnt, was dann los wäre, die regelnden Telefonate der Sponsoren, den wirklichen Herrschern im Fußball, dazu die quasselnden Lügen und Aktivitäten des Fußballzerstörers Infantino. Vornweg eine flatterhafte Aufgeregtheit der Politik, die Katars totalitäre Herrscherfamilie Al Thani nicht verstimmen will, Stichwort Öl und Gas. Nun muss dieses zugegeben sehr abenteuerliche Fantasie-Szenario niemand fürchten. Man schaue nur auf den deutschen Profifußball, dessen Vereine, die DFL und den DFB. Überall herrschen dort ein Gesetz und ein Maßstab: Pecunia non olet.

Courage und Liebe zum Fußball. Norwegens Fußballpräsidentin Klaveness. (Screenshot: BBC News)

Es gibt natürlich Mut, Format und Charakter auch im Fußball. Weniger in Deutschland, aber andernorts. Die Präsidentin des norwegischen Fußball-Verbands, Lise Klaveness, kritisierte die WM-Vergabe an Katar als „inakzeptabel“. Dies nicht von einem sicheren Platz am heimischen Schreibtisch, sondern auf einem FIFA-Kongress in Katar, in Anwesenheit von Teilen der Herrscherfamilie und unter den Augen des durch und durch verdorbenen FIFA-Präsidenten. Jener Gianni Infantino hatte im Vorfeld schon einmal die Redezeit von Klaveness von sechs auf drei Minuten gekürzt. Dennoch gelang es dieser couragierten Frau, über ihre Liebe zum Fußball zu sprechen und sich gleichzeitig vehement für die Menschenrechte einzusetzen. Was für ein menschliches Format. Sie war allein in dieser FIFA Funktionärsclique im wohl korruptesten Universum der Sportgeschichte. Ihr Auftritt unter erbärmlichen und feigen Männern adelte den Sport Fußball und demaskierte das Geschäft Fußball. Ihr couragierter Auftritt legte nebenher die ganze Erbärmlichkeit des FIFA-Diktators und Ausverkäufers des Fußballs Infantino, der längst seinen Wohnsitz nach Katar verlegt hat, vor den Augen der Welt offen. Infantino ist übrigens auch einer der Gäste des World Economic Forum in Davos. In der Welt des Great Reset weiß Infantino um seinen Platz. Der 73-fache ehemalige englische Nationalspieler Sol Campbell gibt sich über die FIFA schon lange keinen Illusionen mehr hin, hat seine klare Meinung artikuliert:

Die FIFA hat das Vertrauen der Menschen verloren. Wir können nicht zulassen, dass die Architekten und Kontrolleure des Weltfußballs damit durchkommen, das schöne Spiel durch den Schmutz von Korruption und Bestechung zu ziehen.

Zurück zu Lise Klaveness, die in ihrer Heimat Norwegen einiges an Unterstützung hat. Norwegens Nationalspieler zeigten Flagge bei jedem WM-Qualifikationsspiel in Form von Banner und Trikots mit der Aufschrift „Menschenrechte. Auf dem Platz und daneben“. Ein respektables Zeichen setzte der Erstligist Tromsö IL. Als der britische Guardian enthüllte, dass mehr als 6.500 Wanderarbeiter bei den Vorbereitungen für die anstehende Fußballweltmeisterschaft ums Leben kamen, rief der Klub Tromsö IL sofort eine Boykott-Initiative ins Leben. Der norwegische Klub teilte offiziell mit: „Wir sollten über die Idee des Fußballs nachdenken und warum so viele Menschen unseren Sport lieben. Dass Korruption, moderne Sklaverei und eine hohe Zahl toter Arbeiter die Grundlage für das Wichtigste sind, was wir haben, die Weltmeisterschaft, ist überhaupt nicht akzeptabel.“

Trotz Lise Klaveness und Tromsö IL ist natürlich auch in Norwegen nicht alles Gold, was so glänzt. Der Verbandstag des norwegischen Fußballverbandes lehnte im Sommer 2021 einen Boykott der WM durch die Nationalelf ab. Das Thema erledigte sich Monate später, weil Norwegen sich nicht für die WM qualifizierte. Die Herrscher von Katar sind den norwegischen Störenfried damit los und ihr Spektakel kann bald beginnen, von dem ihr Lakai Infantino schon jetzt sagt: „Das wird die beste WM aller Zeiten und sie wird die arabische Welt vereinigen.“ Hier zeigt der FIFA-Diktator nicht nur seinen katarischen Größenwahn, sondern auch, dass er ein politischer Hohlkopf ist, ohne Kenntnisse der Konfliktherde in dieser Region und der dortigen Historie. Dem Mythos der großen Lüge von der FIFA und dem Fußball als unpolitischen Sport werden im Winter weltweit wieder Menschen auf den Leim gehen und den Lumpen der FIFA wie den Diktatoren in Katar damit die ersehnte und gewollte Massenlegitimation verschaffen. Was interessieren da schon Tausende von toten Wanderarbeitern oder Menschenrechte. Churchills Satz vom „Sport ist Mord“ bekommt jedenfalls vor dem Hintergrund Katar eine ganz andere Bedeutung. Das Schlusswort ist daher der Katar-Erklärung des Vereins Tromsö IL entnommen:

Man kann nicht dasitzen und zusehen, wie Menschen im Namen des Fußballs sterben.

*Titelbild: Proteste gegen WM in Katar in einem französischen Fußballstadion (Twitter: Amnesty International) 

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