Porträts

Ungehörte Mahner

Dem UN-Generalsekretär (Titelbild) geht es ähnlich wie dem Papst. Auch dieser kann sagen, was er will. Sofern es passt, wird er zitiert. Oder eben totgeschwiegen, so es nicht in den Kram der Eliten passt. Bei deutlicher Kritik an den Verhältnissen auf dieser Welt richtet sich niemand nach dem Pontifex. Schon gar nicht jene, die dafür verantwortlich. Bei Papstreden und sogar Papstaudienzen wird viel über das hohe Gut des Friedens geredet, Hilfe für die Armen und Schwachen propagiert und auf die Zerstörung des Planeten hingewiesen, der Neoliberalismus immer öfter angeprangert. (Journalisten und Medien hören und sehen da gerne weg, es stört ihre Herren und Besitzer/Geldgeber.) Politiker aller Couleur und Himmelsrichtungen drängeln gerne in den Vatikan, um für sich und ihre Wählerschaft ein Foto mit dem Papst zu erhaschen. Dann schnell ab nach Hause. Sie sind noch gar nicht durch die Tür, da treffen sie Entscheidungen, die weiterhin Ausbeutung und Elend für die Armen manifestieren und sind den neoliberalen Eliten und Konzernen zu Diensten. Für die Rüstungsindustrie und den militärisch-industriellen Komplex führen sie bei Bedarf auch Kriege oder zündeln hier und dort. Papst hin oder her. 2014 sagte Papst Franziskus in einem Interview gegenüber der spanischen Zeitung ‚La Vanguardia‘ relativ illusionslos:

Es ist bewiesen, dass wir mit der Nahrung, die übrig bleibt, die Hungernden ernähren könnten. Wenn Sie Fotos von unterernährten Kindern in verschiedenen Teilen der Welt sehen, dann schlägt man die Hände über dem Kopf zusammen, das ist nicht zu verstehen! Ich glaube, wir sind in einem Weltwirtschaftssystem, das nicht gut ist. () Wir sind in den Götzendienst des Geldes verfallen. Das Wirtschaftssystem sollte im Dienst des Menschen stehen. Aber wir haben das Geld in den Mittelpunkt gerückt, das Geld als Gott. () Wir schließen eine ganze Generation aus, um ein Wirtschaftssystem aufrechtzuerhalten, das nicht mehr zu ertragen ist. Damit das System fortbestehen kann, müssen Kriege geführt werden, wie es die großen Imperien immer getan haben. Einen 3. Weltkrieg kann man jedoch nicht führen, und so greift man eben zu regionalen Kriegen. (Es sei wiederholt, dies wurde 2014 gesagt!)

Kapitalismuskritik. Am Neoliberalismus und dessen Eliten scheitert selbst ein Papst.

Als dieser Papst Franziskus (Jorge Mario Bergoglio) im Jahr 2018 seine fundamentale Kritik am Kapitalismus erneuerte, wurde er glänzend durch zwei Reaktionen bestätigt. Sofort sprangen nämlich die in unserem Sprachraum den Neoliberalismus propagierende Großzeitungen des Kapitals, die FAZ aus Deutschland und die NZZ aus der Schweiz, aus den Schützengräben der reichen Eliten und verteidigten, was der Papst geißelte. In der NZZ verstieg sich ein beflissener Zeilenknecht sogar zu der Realsatire, den Begriff Marktwirtschaft als grandiose Sache ins Feld zu führen und die real existierende Marktwirtschaft auch noch als gutes Instrument zur Bekämpfung der Armut anzupreisen. Vom täglichen Krieg der Reichen gegen die Armen hatte jener Schreiber offenbar noch nie gehört. Zwei Autostunden von Zürich entfernt, wo am Tische von Klaus Schwab die politischen und finanziellen Eliten den Great Reset zur weiteren Zementierung des Neoliberalismus als Gesellschaftsmodell betreiben, nämlich beim ‚World Economic Forum‘ in Davos, werden sie sich über solcher Art devote Schützenhilfe schlapp gelacht haben. Gelacht haben sie dort auch über den Papst, der sie nicht weiter kratzt oder stört. Immerhin gestatten sie ihm, ins Leere zu reden oder zu schreiben. Diese Ohnmacht teilt der Papst mit einem anderen Amtsträger der hohen Art.

António Guterres wird sich in dieser Ohnmacht wiederfinden, wenn er auch kein Papst, aber seit 2017 immerhin Generalsekretär der Vereinten Nationen. Eine Art Kaiser ohne Reich. Guterres fällt in letzter Zeit durch flammende Appelle für den sozialen Ausgleich auf, prangert die neoliberale Gier öffentlich an, GERADEZU berichtete unlängst darüber. Inzwischen tritt Guterres sogar für die Abschaffung der nuklearen Waffenarsenale ein. Beide Einwürfe von Guterres werden von den Eliten und Machthabern auf diesem Planeten nicht gerne gehört. Damit manövriert er sich zum Außenseiter und dann ins Abseits. Wenn Guterres in Deutschland nur einmal so viel mediale oder gar Talkshow-Aufmerksamkeit bekommen hätte wie der ehemalige Unbotschafter der Ukraine in Deutschland, dann wären wir als Gesellschaft weiter. Guterres war viele Jahre aktiver Politiker und Ministerpräsident seines Heimatlandes Portugal. Er weiß um die Macht der Medien und um deren Stoßrichtung, Selektionsmechanismen und völliger Ausrichtung auf Propaganda. Daher bedient er sich lieber sozialer Netzwerke, bevorzugt dabei Twitter. Um Menschen zu erreichen, lässt er seine Ausführungen dort schnell von seinen Leuten verbreiten, bevor Medienkonzerne diese unterpflügen, verdrehen oder falsch wiedergeben. GERADEZU gibt Guterres gerne wieder, weil er auf der Seite des gesunden Menschenverstandes und des Anstandes. Deshalb hier nochmals seine klare Meinung aus der letzten Woche, die man durchaus als Grußadresse an die Verkommenheit des Neoliberalismus lesen kann. (Die Regierungen werden solche Aufrufe wenig kratzen.)

Zitat UN-Generalsekretär António Guterres. (Quelle: ZIB, 3 Sat)

Die kombinierten Gewinne der größten Energieunternehmen im ersten Quartal dieses Jahres belaufen sich auf fast 100 Milliarden US-Dollar. Diese groteske Gier der Industrie für fossile Brennstoffe und ihrer Finanziers bestraft die ärmsten und am stärksten gefährdeten Menschen, während sie unser einziges Zuhause zerstört. (António Guterres, Tweet vom 4. August 2022)

Kaum war Guterres mit seinem Diktum über neoliberale Gier und Weltzerstörung fertig, nahm er auch in Sachen Kriegsklima, Atommächte und Kernwaffen bei seinen Besuchen in Hiroshima und Nagasaki kein Blatt vor den Mund:

Die Welt darf niemals vergessen, was hier passiert ist. (Tweet vom 6.8.2022)

Es gibt nur eine Lösung für die nukleare Bedrohung: überhaupt keine Atomwaffen zu haben. (Tweet vom 7.8.2022)

77 Jahre ist es her, dass über Nagasaki ein Atompilz aufstieg. Wieder einmal spielt die Menschheit mit einer geladenen Waffe. Die Beseitigung von Atomwaffen ist die einzige Garantie, dass sie nie wieder eingesetzt werden. (Tweet vom 9.8.2022)

Lassen wir es dabei und wünschen dem UN-Generalsekretär auch künftig Mut und Fähigkeit, die Dinge des Lebens beim Namen zu nennen. Wissend, wie fruchtlos seine Appelle bei den Mächtigen dieser Welt verhallen werden. Vielleicht sollten Guterres und der Papst sich zusammentun und vor der ganzen Welt einmal unverblümt und gemeinsam Klartext reden. Es wäre längst an der Zeit.

*Beitragsbild: António Guterres, UN-Generalsekretär in Hiroshima mit Papierkranich. In Japan symbolisieren Kraniche aus Papier die Hoffnung auf eine Zukunft ohne Atomwaffen. (Foto: Twitteraccount António Guterres) 

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