Sport

Ohne Fußball

No Sports“ nur bedingt. Was Churchill da sagte, bezog er eher auf sich als auf nationale Zu- oder Umstände, dennoch gab es am vergangenen Wochenende, die Queen war gerade gestorben, weshalb eine zehntägige Staatstrauer verordnet, kein Premier League Spiel. Ebenfalls kein Fußball in der Scottish Premiership oder der Welsh Premier League. In England, Schottland und Wales ruhte der Spielbetrieb. Warum soll nicht auch der Fußball, der in England wesentlich deutlicher als in Schottland und Wales einem überteuerten und lauten Geschäft gleicht, der verstorbenen Monarchin, einer respektablen alten Dame, seinen Tribut zollen und innehalten? Klar doch und verständlich. Natürlich kann aus kollektiver Trauer, die in Großbritannien immer merkwürdig wirkt, wenn das kleine Volk um die oberen Zehntausend weint und nicht mehr mitbekommt, was um sie herum passiert und sie direkt betrifft, schnell Brimborium werden. Vor allem, wenn nämlich – so liegt es in der Natur einer Monarchie – zeitgleich in diversen und kaum verständlichen Zeremonien der Nachfolger in sein Amt eingeführt wird. Da kommt manch eine Tradition plötzlich fürchterlich verstaubt rüber und wirkt im Stil einer billigen TV-Soap, allerdings mit edlerer Ausstattung. Die Briten machen um ihre Monarchie aktuell viel Wind, blenden schwerwiegende soziale und gesellschaftliche Probleme aus, worüber sich die Tories ins Fäustchen lachen und ihre verheerende Politik fortsetzen. Dass allerdings deutsche TV-Anstalten und sämtliche Käse- und Boulevardblätter in Penetranz als blaublütige Hofberichterstatter umherscharwenzeln, bleibt peinlich wie erbärmlich, entspricht aber der dumpfen deutschen Sehnsucht nach gekrönten Häuptern, mit der man schon Romy Schneider ihr Leben lang traktierte.

Edler und teurer Sport für reiche Schnösel. Polo in England. (Foto: © GB-Cricket)

Ein älterer Herr, der nun als König agiert, weil hineingeboren, kann kein Tintenfass nebst dazugehörigen Füllfederhaltern einige Zentimeter zur Seite schieben, wedelt seinem Personal lieber mit der Hand Befehle zu, als gelte es Fliegen vom Blackberry Crumble zu vertreiben. Wer mit einem goldenen Löffel geboren und den 73 Jahre stecken hat, sieht halt in anderen Menschen grundsätzlich Dienstbolzen. Außerdem offenbarte diese Szene eine in ihren Ritualen erstickte Gesellschaft, sonst wäre irgendeinem Geist das Licht aufgegangenen, für Dokumente jener Größe und dem Krempel aus Federhalter und Tintenfässern einfach einen größeren Tisch hinzustellen. Geschenkt. Jener ältere Herr, als er noch unter dem Namen Prinz Charles unterwegs war, betrieb übrigens auch Sport. Am liebsten Polo. Extravagante Sportart für reiche Leute. Wer hat schon ein oder mehrere Pferde zu Hause? Ausleihen gehört sich in diesen Kreisen nicht. Wobei Schläger und Kleidung in jener Gesellschaftsschicht auch nicht aus dem Kaufhaus und vom Grabbeltisch kommen. Beim Polo sind wir jetzt nur gelandet, um noch mal die unbeholfene Kurve Richtung Sport zu kriegen. Der schon erwähnte britische Fußball blieb also am letzten Wochenende ohne Spiele und damit ohne Zuschauer und Fans, logischerweise ohne Übertragung. Es gibt schlimmere Verzichte im Leben, tragisch oder bedauerlich ist daran nichts. Verwunderlich schon. Der Blick geht Richtung Cricket, Rugby und Golf. Allesamt von der Staatstrauer nur am Rande betroffen, zumindest was den Veranstaltungsteil anbelangt. Sie konnten und durften ihn nämlich treiben, also ihren Sport. Beim Rugby und Cricket wurde die Gelegenheit gleich als Gesangsübung genutzt, ob es auf der Insel schon mit dem God Save the King klappt. Es klappte. Beim Golf wird sowieso weniger gesungen, mehr ans Geschäft gedacht.

Cricket. Alter Kolonialsport mit merkwürdigen Regeln. Was für die Oberklasse. (Foto: © GB-Cricket)

In England äußerst populär ist das uralte Cricket. Obwohl Cricket immer Sport der Aristokraten und der Oberschicht. Die Arbeiterklasse spielte kein Cricket in weißen Anzügen. Es ist der Sport, der stark in den Kolonien gespielt wurde und immer noch ein Stück weit Ausdruck für das längst verblichene alte Empire ist. Dem Cricket wollte man am Wochenende keine Spiele untersagen, so wie eben den reichen Leuten ihre Golfrunden in feinen Klubs nicht verdorben wurden. Ähnlich beim Rugby. Das Proletariat wusste Rugby immer robust zu spielen. Rugby ist dennoch auch ein Sport in der Tradition britischer Erziehung, an englischen Eliteschulen und Universitäten sogar sehr präsent. Das rohe Rugby soll bis heute dem Elitenachwuchs ein Stück der Härte des Lebens nahe bringen, die jenen Zöglingen weder durch Arbeit noch durch Tennis, Cricket, Rudern und Golf vermittelt wird. So bekommen jene einmal im Leben auch ein blutiges Knie beschert. Für viele der Eliten die einzige Pein in ihrem Leben. Ob dieses hilfreich, lässt sich an einem gewissen Boris Johnson weder beweisen noch widerlegen. Lassen wir es dabei. Unterm Strich hat die Oberschicht aus alter Gewohnheit jedenfalls durchaus ein Auge auf Rugby geworfen. Vielleicht wurde Rugby daher wie Cricket nicht abgesagt.

Einen Ausfall des Wettbewerbes erlebte dagegen der alte Proletariersport Fußball, der das ja längst nicht mehr ist. Etwas merkwürdig. Die Premier League hat Geld wie Heu und kauft sich über die Besitzer der Vereine besonders intensiv ins englische Leben ein. Dennoch grasen natürlich in den Geschäftsräumen, auf den Ehrentribünen und den Rängen allerhand Lumpen, die beim britischen Establishment, welches ebenfalls Dreck vor der Hütte – aber edleren Deck – für spitze Finger sorgen. Dennoch passen britischen Oberschicht und Fußballmächtige eigentlich ideal zueinander und sind doch Welten voneinander entfernt. So oder so. Irgendwer traute dem Frieden vielleicht nicht und wollte nichts riskieren. Gesänge gegen den neuen König oder sonst was hätten das schöne Märchen und Blendwerk Monarchie eventuell stören können, wenn auch nicht verhindern. Im Wahlkampf 2019 pfiffen vor allem die Fußballfans im Norden gegen die Tories und den Medienmogul Rupert Murdoch. Die Anhänger des FC Liverpool sangen im eigenen Stadion und im Ausland Lieder für Jeremy Corbyn, den Linken und damaligen Labourführer, der als Person und wegen seiner Ansichten das zentrale Hassobjekt des britischen Establishments und derer Medien.

Jeremy Corbyn. Einst letzte Hoffnung kleiner Leute, darunter viele Fußballfans. (Foto: © Jeremy Corbyn)

Die Fans des schottischen Serienmeisters Celtic Glasgow pfiffen beim letzten Champions League Auftritt ihres Teams im heimischen Celtic Park die Champions League Hymne so lautstark aus, dass diese nicht mehr zu vernehmen war. Gerade in schottischen Stadien wird gegen den Kommerz im Fußball stets vehement angebrüllt, wie die dortigen Fans auch gegen die Herrschaft der Tories in London vernehmlich laut Rabatz machen. Vielleicht gibt es also ganz andere Gründe für die Absage im Massensport Fußball? Weil man sich nicht ganz sicher sein konnte, wie ein Teil dieser Massen in den Stadien reagiert? Die alte Königin hat auf ihrem letzten Gang keine negativen Auswüchse zu befürchten. Ihre Historie und ihr Leben werden ihr den Respekt der Briten über den Tod hinaus erhalten. Ob dieser Respekt für den neuen König je erwächst und gleichermaßen gilt, ist schwer zu sagen. Es ist eher unwahrscheinlich. Die Windsors und die Monarchie wirken mit dem Verschwinden von Elizabeth II sehr überlebt, egal wie krampfhaft sich einige nun mit einer Kette von Ritualen daran klammern.

Am kommenden Wochenende gehts jedenfalls auch im Fußball wieder weiter. Bei Ölscheichs und den ihr letztes Hemd gebenden armen Teufeln in der Kurve, wie natürlich bei den kurzbehosten Millionären auf dem Rasen, werden neue Glücksgefühle herausquellen. Allerdings aus sehr unterschiedlichen Beweggründen. Der neue König gilt übrigens nicht als Fußballfan, obwohl sein elitäres Dasein gut zu einem Sport passen könnte, dessen Besitzer, Betreiber und Akteure sich ebenfalls für etwas Besseres halten. Präsident des englischen Fußballverbandes ist übrigens schon seit geraumer Zeit der älteste Sohn des Monarchen, also der neue Thronfolger, HRH Prince William Arthur Philip Louis, Prince of Wales, Duke of Cornwall, Duke of Rothesay und Duke of Cambridge. Mehr Adel geht kaum. Außer man ist König. Es ging hier bewusst nicht nur um Fußball. Sollte es auch nicht. Der offizielle Profifußball und seine Institutionen, einer Monarchie nicht unähnlich, nehmen sich ohnehin schon zu wichtig. Dem muss man nicht mehr Nahrung als nötig geben.

*Beitragsbild: Fußballstadion St. James‘ Park in Newcastle. (Foto: Krissyreynolds from Pixabay)

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