Harry Kane hat aktuell eine außerordentliche Leistung im Fußball erbracht, aber nicht nur deshalb schauen wir heute auf ihn. Für einen Fußballer wirkt der Brite Harry Kane auf seine spezielle Art nämlich fast ein Stück zu normal, manchmal auch still. Zu Kane und seiner Berufsauffassung gehören weder pubertäre Öffentlichkeitsrituale noch peinliche Eitelkeitspirouetten, die ekligen Zutaten des heutigen Fußballgeschäftes. Das typische Schaulaufen auf der rutschigen Spur des Boulevards oder dem Medienzirkus, wovon viele Menschen im Fußball so fasziniert und magnetisch angezogen, liefert Harry Kane ebenfalls nicht. Er kennt sehr gut die Usancen des Geschäftes Fußball und weiß, was man von ihm als Spieler und Kapitän der englischen Fußballnationalmannschaft, in seinem Verein Tottenham Hotspur wie auch im Zirkus Premier League erwartet. Was nötig und notwendig, bedient Kane. Auch er beißt die Fußballhand, die ihn gut nährt, natürlich nicht. Darüber hinaus sind seine Ansagen klar. Er macht dann keinen Hehl daraus, seine Zeit außerhalb des Berufes am liebsten mit seiner Familie zu verbringen, die ihm, was er ganz deutlich sagt, immer wichtiger als der Fußball.

Harry Kane wurde am 28. Juli 1993 in London geboren, im nordöstlichen Stadtteil Walthamstow. Damit wuchs er ganz in der Nähe des legendären Stadions an der White Hart Lane auf, der Heimstätte des Fußballklubs Tottenham Hotspur im Nordosten der britischen Hauptstadt. Der Klub, von Fans nur Spurs genannt, gehörte schon vor Harry zur Familie Kane. Die Eltern, besonders der Vater, glühende Fans der Spurs. In London ging Harry Kane zur Schule und lernte bereits dort Katie Goodland kennen, eine Liebe auf den ersten Blick schon in Jugendtagen. 2017 gaben Kane und Goodland ihre Verlobung auf Twitter bekannt, dort teilten sie auch am 1. Juli 2019 eher lapidar und kurz mit, dass sie geheiratet hätten. Kane hatte seine Hochzeit absolut privat gehalten und nicht dem Boulevard feilgeboten. 2017 und 2018 wurde jeweils eine Tochter geboren und 2020 folgte ein Junge, der die Familie vervollständigte, zu der noch zwei Labrador aus der beliebten britischen Hunderasse der Retriever gehören. In seiner Freizeit beschäftigt sich Kane mit den Kindern, ist gerne auf dem Golfplatz oder schaut sich American Football an, ein Sport, den er schätzt und irgendwann sogar einmal spielen möchte.

So es nicht um Freizeit, sondern um den Job geht, ist Harry Kane als Mittelstürmer von Tottenham Hotspur in der englischen Premier League unterwegs. Seit er mit 11 Jahren 2004 in die Jugendakademie des Vereins aufgenommen wurde, gehört er zu den Spurs. Seit 2011 ist Harry Kane mit einem Profivertrag Spieler bei den Spurs, wurde für zwei Jahre auf einige Leihstationen geschickt, um Spielpraxis bei den Profis zu bekommen und kehrte 2013 zurück, um eine der bemerkenswertesten Spielerkarrieren des englischen Fußballs zu starten. Im Spitzenfußball 10 Jahre bei einem Verein unter Vertrag und diesem treu zu bleiben, ist im heutigen Profigeschäft eher Seltenheit. Trotz eines enorm anwachsenden persönlichen Erfolgs und dem Sprung in die Weltklasse, was in den letzten Jahren Begehrlichkeiten der finanzstarken Adressen des Weltklubfußballs nach sich zog, blieb Harry Kane bei den Spurs. Seine Leistungen glanzvoll. Bisher wurde Kane in England zweimal Fußballer des Jahres, dreimal Torschützenkönig der Premier League und 2018 Torschützenkönig bei der Fußballweltmeisterschaft in Russland. Für die englische Nationalmannschaft, deren Kapitän Kane seit Jahren ist, bestritt er bis zum jetzigen Zeitpunkt 73 Länderspiele und erzielte 50 Tore. Seine sportliche Heimat jedenfalls Tottenham Hotspur.

Ob diese Dauerbeziehung von Kane mit den Spurs anhält, lässt sich wegen der Dinge des Lebens und besonders des Fußballs nicht sagen. Die Kanes lieben ihre Heimatstadt London und leben gerne dort. Mit Geld ist London natürlich auch ein traumhafter Lebensmittelpunkt. Doch die Rufe der Großklubs mit Geld (Manchester City, Paris Saint-Germain) oder der wesentlich größeren Namen ohne Geld, aber mit riesigen Ausgaben (Real Madrid, FC Barcelona) werden lauter. Irgendwann könnte Kane der Verlockung nachgeben, weil ihm stets ein von der Außenwelt konstruierter und ausgeschlachteter Makel angehängt wird. Es ist im Fußball üblich geworden, Spieler nach ihren Titeln zu bewerten, obwohl Fußball bekanntermaßen Mannschafts- und nicht Einzelsport. So muss sich selbst der vielleicht beste Spieler aller Zeiten, Lionel Messi, anhören, was schon Johan Cruyff oder George Best nachgeworfen wurde, nie Weltmeister gewesen zu sein. Im Fall von Messi, Cruyff und Best gab es jedoch enorm viele Titel mit ihren jeweiligen Vereinen. Da liegt der Hund etwas begraben. Harry Kane hat mit den Spurs nie etwas gewonnen. Im Konzert Manchester United, FC Liverpool, Arsenal London und den später dazu stoßenden Oligarchenklubs Chelsea und Manchester City spielten die Spurs eher eine kleine Geldgeige. Obwohl Tottenham Hotspur sich zu den Großklubs vorgearbeitet hat, wird es, da muss man kein Prophet sein, auch weiterhin für einen großen Titel eher nicht reichen. Als einer der erfolgreichsten Stürmer der englischen Fußballgeschichte und aktuell wohl bester Spieler seines Landes könnte Kane also irgendwann Lust bekommen, wenigstens einmal englischer, italienischer oder spanischer Meister zu werden. Dagegen käme dann alles, was die Spurs ihm bieten und bedeuten, vielleicht nicht mehr an. Wer mag es ihm dann verdenken? Im kommenden Winter könnte er natürlich in der Wüste noch Weltmeister mit England werden. Wie weit darin eine reale Chance lässt sich wirklich nicht sagen. Mit dem Trainer Gareth Southgate auf der Bank lässt sich England wohl eher nicht als Weltmeister denken.

Das Ereignis, das uns aktuell zu Harry Kane führte, hat jedenfalls sehr stark mit den Spurs zu tun und soll nun gewürdigt werden. Am 3. Spieltag der Premier League Saison 2022/2023 spielte Tottenham daheim gegen die Gäste Wolverhampton Wanderers. Die erst Halbzeit ging ziemlich deutlich an die selbstbewusst aufspielende Gastmannschaft. Die Spurs Fans wurden sogar hörbar missmutig. Absolut beeindruckend dabei aufseiten der Wolverhampton Wanderers Rúben Neves und Neuzugang Matheus Nunes. Die beiden Mittelfeldspieler hatten großen Anteil daran, dass die Spurs im eigenen Stadion kaum ein Bein auf die Erde bekamen. In der zweiten Hälfte nahmen die Spurs das Heft in Hand, bekamen Oberwasser und wurden vor allem torgefährlicher. Alles in allem eine mittelmäßige und durchwachsene Partie, zu der ein Unentschieden gut gepasst und die Spielanteile fair gespiegelt hätte. Doch es gab einen Sieger, die Heimmannschaft konnte die drei Punkte behalten. In der 64. Minute verlängerte Spurs-Neuzugang Ivan Perišić einen Eckball mit dem Kopf Richtung Fünfmeterraum. Dort stand ziemlich unbehelligt von Feind und Freund Harry Kane und hatte keinerlei Probleme, mit einem Kopfball den 1:0 Siegtreffer zu erzielen. Für einen Mittelstürmer und Kopfballspezialisten keine Leistung, die man mit einem Trommelwirbel verkünden muss. Doch dieses Tor verdient einen Tusch allemal, weil es ein beeindruckendes statistisches Ereignis.

Mit diesem Treffer erhöhte Harry Kane sein Tor-Konto in der Premier League als Spieler der Spurs auf 185 Tore in Pflichtspielen der Liga. Kein Spieler hat in der englischen Premier League jemals mehr Treffer für einen Verein erzielt. (Bis zu Kanes Treffer war der Argentinier Sergio Agüero Rekordhalter, der für Manchester City 184 Tore machte.) Ein historischer Fußballmoment für Harry Kane und für Tottenham Hotspur. Für seine 185 Tore benötigte Kane 282 Ligaspiele. Das Tor gegen die Wölfe war außerdem der 250 Treffer, den Harry Kane in allen Wettbewerben für die Spurs erzielte. Nach dem Spiel ging Kane schnell und sachlich zur Tagesordnung über. In Sachen seiner Bestmarke gab es nichts zu holen für die Medien. „Ich treffe gerne. Natürlich. Aber wichtiger ist es, Spiele zu gewinnen.“ Mehr war aus Kane nicht rauszuholen. Sich selbst feiern oder überhöhen gehört bekanntermaßen nicht zu seinen Eigenschaften. Auch darin eher eine Ausnahme im Profifußball. Nach dem üblichen Interviewmarathon und Auslaufen machte sich Kane auf den Weg zu seiner Familie. Daher bekommt das Schlusswort der Trainer von Harry Kane. Der Italiener Antonio Conte ist seit November 2021 Manager der Spurs und gilt vielen Kennern des Vereins als Garant für mögliche Erfolge und sogar für den Sachverhalt, dass Harry Kane noch bei den Spurs spielt. Die Arbeit und Erfolgsbesessenheit von Conte soll Harry Kane imponieren. Nach dem Spiel wurde Conte natürlich auch zu Kane und dessen Torrekord befragt:

Ich weiß, dass Harry diesen Triumph gerne gegen eine Trophäe eintauschen würde. Er und wir arbeiten dafür, uns als Mannschaft zu verbessern und den Verein auf ein anderes Level zu bringen und nicht nur persönliche Erfolge zu erzielen. Meine Gedanken zu Harry sind völlig klar. Wir haben einen Weltklassestürmer, einen Topspieler und Toptorschützen in unseren Reihen. Harry Kane macht wegen seiner Qualität, seinen Fähigkeiten und seinem Können oft den Unterschied. Für mich ist Harry nicht nur fußballerisch außergewöhnlich, sondern auch als Mensch. Wir sprechen bei ihm wirklich von einem guten Mann, einer tollen Persönlichkeit. Harry lässt sich voll auf die Teamkollegen ein, hilft, wo er kann und arbeitet hart für die Mannschaft. Wenn sie einmal diese Art von Spieler haben, wissen sie erst, wie selten so jemand ist.

*Titelbild: Harry Kane, Interview mit Tottenham Hotspur TV (Screenshot)