Kultur

Seele Frankreichs

Am 13. Oktober 2021 jährt sich der Ehrentag eines Giganten der französischen Lebensart, welcher diese verkörperte wie nur wenige. Wäre er noch unter uns, könnte Yves Montand seinen 100. Geburtstag begehen. Da dies nicht der Fall soll hier zumindest ehrend an die Urgewalt eines Darstellers, Künstlers und Chansonniers erinnert werden, der in Frankreich eine Kultfigur und Jahrhundertgestalt. Wie bei so vielen Kindern jener Zeit, die in die Wirren von Katastrophen, Kriegen und Überlebenskämpfen hineingeboren wurden, griff das Leben in seiner ganzen Härte auch nach Ivo Livi, der am 13. Oktober 1921 in Monsummano Terme in Italien geboren wurde. Das kleine Städtchen in der toskanischen Provinz Pistoia mag romantisch klingen und zur Träumerei einladen, die Realität war eine andere. In Italien brach gerade das Zeitalter von Benito Mussolini an und die Familie des kleine Ivo hatte zweifach Grund zur Sorge. Die Armut des Vaters, der als Besenbinder und Straßenfeger die Familie knapp über Wasser hielt und die politische Haltung der Mutter als Kommunistin bargen im faschistischen Dämmer Italiens doppelte Gefahr. So ging auch diese Familie auf die Flucht, die 1924 in Marseille endet, wo die Familie Livi 1927 die französische Staatsbürgerschaft erhielt. Die Armut blieb ständiger Begleiter. Daher musste der junge Ivo mit Gelegenheitsjobs und Aushilfen zum Überleben beitragen. Eine unbehauste Kindheit in Not, die schon früh ein Gefühl für Gerechtigkeit und Engagement in Ivo Livi weckte. In den Boxkämpfen des Hafens wusste sich der Arbeiterjunge zu behaupten. Mit 17 Jahren nannte er sich dann Yves Montand. Das Recht der Faust wurde durch den Charme der Stimme ersetzt.

Der junge Yves Montand im Film „Parigi è sempre Parigi“ (1951) – Screenshot

Mit ersten Chansons machte Yves die Leute hellhörig, nebenher begeisterte ihn Stepptanz. Mit beiden Talenten eroberte er Paris und sang sich bald an die Spitze des französischen Chansons. Auf dieser Höhe sollte er sein Leben lang bleiben. Gefördert am Anfang von Edith Piaf, der lebenden Legende, dem zerbrechlichen „Spatz von Paris“. Im Bett landete das sehr ungleiche Paar natürlich auch, was in Frankreich niemanden auf- oder erregte. Montand profitierte von dieser Liaison. Seine Chansons wie „La Bicyclette“ und „Les Feuilles mortes“ wurden den Franzosen später fast zweite Nationalhymnen. Wenn er bis ans Ende seines Lebens im legendären Pariser Olympia auftrat, waren dieses nationale Ereignisse, die den Franzosen ans Herz und in die Seele gingen. Sie liebten den Volkssänger Montand auch wegen seines Lebenslaufes. Dieser führte ihn nicht nur aus der Armut, sondern auch zu einem wachen, hochpolitischen Geist und einem autodidaktisch angeeigneten Bildungsreservoirs, welches die Menschen beeindruckte. Der Weg eines solchen Multitalentes musste beim französischen Film ankommen. Der filmische Durchbruch 1953 gleich ein spektakulärer Triumph. In Henri-Georges Clouzots Klassiker „Lohn der Angst“ spielt Montand sich irgendwie selbst. Einen kraftvollen und furchtlosen Proletarier, der selbst vor dem Nitroglyzerin in seinem Laster keine Furcht kennt. Der gigantische Erfolg des Films spülte Montand in die erste Reihe französischer Schauspieler bis zum Gipfel, auf dem bis dahin Jean Gabin allein thronte. Neben ihm von nun an Montand.

Yves Montand in „Lohn der Angst“ (1953) – Screenshot

Schon 1951 hatte der berühmte Chansonnier sich mit der berühmtesten Schauspielerin des Landes, Simone Signoret verheiratet. Sie blieben es bis zum Tod von Signoret im Jahre 1985. Die zahlreichen Affären von Montand konnten dieser Schicksalsgemeinschaft nichts anhaben. Eher ein Verdienst der leidensfähigen und lebensklugen Simone Signoret. Montands Meinung zum Thema: „Ich denke, ein Mann kann zwei, vielleicht drei Affären haben, während er verheiratet ist. Aber drei ist das absolute Maximum. Danach betrügst du.“ Es war wohl die Leidenschaft zur Kunst, das politische Engagement und das weltweite Eintreten für Frieden, Menschenrechte und Meinungsfreiheit, welches dieser Beziehung den Kitt des Zusammenhaltes gab. Neben Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir wohl Frankreichs berühmtestes Paar auf Augenhöhe mit diesen Intellektuellen. Montand ergriff mit Signoret zusammen vehement Partei gegen atomare Aufrüstung wie auch gegen den Pinochet-Putsch in Chile oder den Vietnamkrieg. Später, im Angesicht des Stalinismus, von Schauprozessen und dem Niederwalzen des Prager Frühlings durch sowjetische Panzer, mutierte Montand zu einem liberalen Konservatismus. Was ihm linke Freunde sehr übel nahmen, nicht sein Publikum. Er dagegen nahm sich seine Blindheit vor dem Stalinismus übel. Auf dem Höhepunkt seiner politischen Wandlung mit regelmäßigen Äußerungen in diversen Medien wurde er Mitte der 80er-Jahre sogar als ernsthafter Präsidentschaftskandidat unter den Franzosen gehandelt. Montand war klug genug, der Versuchung zu widerstehen. Es bleiben uns seine wichtigsten Filme als Statement. Zeitlos gültig und bis heute des Ansehens und Nachdenkens wert. Lebendige Kunst.

Montand-Interview mit France 2 – Screenshot

Im Film war er in allen Genres bewandert und erfolgreich. Montand lieferte den für das französische Kino typischen desillusionierten Polizisten („Police Python 357“) wie den zum Ganoven werdenden Ex-Polizisten („Vier im roten Kreis“) äußerst glaubhaft ab. Außerdem konnte Montand bei aller Ernsthaftigkeit ein herrlicher Komödiant sein. Sein Spiel in „La folie des grandeurs“ („Die dummen Streiche der Reichen“) aus dem Jahr 1971 an der Seite von Louis de Funès legt dafür Zeugnis ab. Bis heute wunderbarer Klamauk. In „César und Rosalie“, eine der schönsten Beziehungsgeschichten des französischen Films, gibt Montand das famose Rollenporträt des lebensprallen Schrotthändlers mit dem weichen Herzen und der großen Sehnsucht nach Romy Schneider im Gespinst einer Dreiecksbeziehung. 1957 drehte Montand in Deutschland. „Die Hexen von Salem“ wurde in den DEFA-Studios in Babelsberg als Koproduktion zwischen der DDR und Frankreich gefilmt. In dieser Verfilmung des Theaterstücks „Hexenjagd“ von Arthur Miller spielte Montand den John Proctor. Seine Filmehefrau dabei seine echte Ehefrau Simone Signoret. Mit Arthur Miller verband Yves Montand nicht nur das linke politische Engagement. 1960 übernahm Yves Montand die männliche Hauptrolle in dem Film „Machen wir’s in Liebe“ an der Seite von Arthur Millers Ehefrau Marilyn Monroe. Die Rolle bekam Montand, weil viele männliche Hollywoodstars absagten. Die Angst, von der Monroe an die Wand gespielt zu werden, saß den sonst so vollmundigen Superstars im Nacken. Solche Art Furcht war Montand völlig fremd. Somit bekam er die Rolle. Montand wie Monroe gingen ans Werk und nahmen den Filmtitel angeblich sehr wörtlich. Miller und Signoret schauten darüber hinweg. Die Film-Tour in die USA zieht für Montand spektakuläre Broadway-Auftritte nach sich, in denen Montand das US-Publikum mit seinen Chansons und Auftritten im Sturm erobert und Triumphe feiert.

Haften blieben dennoch vor allem die politischen Filme von der Machart „I wie Ikarus“ von Henri Verneuil. Angelehnt an das Attentat auf John F. Kennedy spielt Montand einen hartnäckigen Staatsanwalt auf Wahrheitssuche, der tödlich scheitern muss. In die Filmgeschichte spielte er sich durch Hauptrollen in politischen Filmen mit hoher gesellschaftlicher Relevanz. Diese Filme zeugen durchaus von seiner eigenen Wandlung. Sicher auch der Mutter und seinem sozialen Gerechtigkeitsempfinden geschuldet, war er Anhänger der kommunistischen Partei Frankreichs, ohne dort Mitglied zu werden, was ihm seit 1949 ein Aktenzeichen des CIA einbrachte und bei Besuchen in den USA deren Aufmerksamkeit.

Mit Ehefrau Simone Signoret in „Das Geständnis“ (1970) – Screenshot

In besonderer Erinnerung natürlich drei bedeutende Filme von Costa-Gavras, dem Regisseur, der Zeit seines Lebens gegen den Extremismus jeder Couleur und Machart kämpfte. Yves Montand dabei sein kongenialer Partner. Im Film „Z“ spielt Montand einen linken Abgeordneten in Griechenland, der von Faschisten ermordet wurde. In das „Das Geständnis“ rechnet Costa-Gavras mit den kommunistischen Schauprozessen am Beispiel einer wahren Geschichte ab. Vielleicht Montands intensivste Darstellung. In „Der unsichtbare Aufstand“ stellen Costa-Gavras und Montand die Einmischung der USA in Südamerika und deren jahrzehntelange Unterstützung verbrecherischer Militärregime an den Pranger.

Zwischen großartigen und wichtigen Filmen stets die Rückkehr auf die Bühne zum Chanson. In vollen und oft überfüllten Sälen ein generationsübergreifendes Publikum, welches Montand aus der Hand fraß und ihn verehrte. Im Alter von sechzig Jahren faszinierte Montand durch seine kraftvollen Auftritte, ganz allein auf der Bühne, einzig mit seinen typischen Accessoires Hut, Gehstock und Stuhl. Bei jedem Auftritt gab er immer alles bis zur Erschöpfung und gesundheitlichen Auszehrung. Für den Frühling 1992 waren in Paris bereits Säle gebucht. Montand wollte nach einer längeren Pause wieder auf die Bühne vor sein Publikum. Vorher stand im Herbst 1991 noch ein kleiner Film auf dem Plan. In „IP5“ spielt Montand einen alten Herrn, der am Ende des Films an einem Herzinfarkt sterben wird. Am letzten Drehtag erleidet Montand einen Herzinfarkt. Auf dem Weg in die Klinik erzählt er der Besatzung des Notarztwagens in Seelenruhe, wie dankbar erfüllt und vollendet er sein Leben empfindet. Einen Tag später, am 9. November 1991, stirbt Yves Montand und Frankreich ist ärmer.

Grabstein Signoret und Montand (Friedhof Père Lachaise, Paris) – Screenshot aus TV Doku

Die schlimmste Feigheit ist zu wissen, was richtig ist und es nicht zu tun.

Yves Montand

*Titelbild: Yves Montand: Screenshot aus dem Film „César und Rosalie“ (1972)

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