Porträts

Shukows Geist – Putins Worte

Weil wieder viel vom 3. Weltkrieg geredet und geschrieben wird, soll eher aus aktuellem Anlass als aus historischer Rückschau an einen legendären Militärführer erinnert werden. Weil gerade dieser Marschall Shukow und einige seines Berufsstandes entscheidend am Ausgang des 2. Weltkrieges mitwirkten, sozusagen die Nachkriegsordnung militärisch auf den Weg brachten. Andere meinen – vielleicht nicht ganz zu Unrecht – genau jener Berufsstand ist es, der für jedweden Krieg genau das Handwerk liefert, das solche Auseinandersetzungen erst möglich macht. Nach 1945 glaubten viele an einen Frieden, der nun für ewig in Sicht. Die Siegermächte des 2. Weltkrieges gingen jedoch schnell Wege, die zu Interessen und Ambitionen führten, zum Frieden allerdings nur unter großem Leiden diverser Völker und Nationen. Die Chance auf dauerhaften Frieden war schnell und bewusst verspielt. Die Schuld daran hatte stets die jeweils andere Seite. Wie zu allen Zeiten. Großbritannien und Frankreich schrumpften unmittelbar nach dem Sieg über Deutschland zu sehr kleinen Großmächten, die Sowjetunion errichtete sich hinter ihrem eisernen Vorhang ein Satellitenimperium aus Marionettenstaaten. Die USA gaben sich in Europa vermeintlich nett und demokratisch, bogen sich die Dinge hinter den Kulissen zurecht, so sie ihnen nicht genehm (Italien), während sie in Südamerika über Jahrzehnte ganz offen und schamlos Terrorregime unterstützen. Dort wurden Demokratien destabilisiert, Militärputschisten gefördert und die Freiheit im Namen der Freiheit unterdrückt. Ganz Lateinamerika sollte als Hinterhof der USA seinen Dienst verrichten. China ging alsbald einen ganz anderen und vor allem eigenen, damals noch eher stillen Weg. Im Koreakrieg wie in der Kubakrise schreckten alle, die Chinesen, die USA wie die Sowjets vor dem Atomknopf zurück. Man ließ sich auf eine direkte Konfrontation nie ein. Stellvertreterkrieg war das Wort der Zeit. Wohin man auch schaute, die schöne neue Welt zeigte sich instabil, kriegerisch und ein 3. Weltkrieg lag immer im Bereich des Möglichen. Der Tag der Politiker war nicht wesentlich heller als die brutale Nacht der Militärs dunkel. Mit Beginn der 70er-Jahre entspannte sich vieles und wurde vermeintlich besser. Dachte zumindest der gewöhnliche Erdenbürger.

Menschheitsbegleiter Krieg? Gemälde von Esaias van de Veld (1623) aus dem Dreißigjährigen Krieg.

Jener mit Orden beschwerte Mann auf dem Titelbild dieses Beitrages ist Georgi Konstantinowitsch Shukow (1896 – 1974), seines Zeichens Marschall und Held der Sowjetunion. Wenn – neben den ungezählten Soldaten auf allen Schlachtfeldern des 2. Weltkrieges – ein Militär Hitler und die deutsche Wehrmacht besiegte, dann dieser Mann. Unter seinem Kommando stoppten Stalins Truppen die Wehrmacht vor Moskau, sein Aufmarsch vernichtete die 6. Armee in Stalingrad, er rette Leningrad vor den Belagerern. Shukows Armeen besiegten die Wehrmacht bei deren letzter Offensivoperation („Unternehmen Zitadelle“), was endgültig die entscheidende Umkehr im 2. Weltkrieg bedeute. Die Initiative an der Ostfront lag nach dieser größten Schlacht der Kriegsgeschichte von nun an ausschließlich bei der Roten Armee. Shukow trieb die Deutschen an ihre Grenzen zurück, walzte die letzte Hürde der Wehrmacht, die Seelower Höhen, mit seinem Millionenheer nieder und eroberte Berlin. Von allen Befehlshabern des 2. Weltkrieges war er der mit Abstand fähigste Militär, wohl genial, auf jeden Fall auch skrupellos. Der Mann ist Legende und zumindest Teil der Militärgeschichte. Die Siegesparade in Moskau nahm er auf einem Schimmel ab, den sich Stalin nicht zu reiten traute. Der bessere Reiter zu sein, sollte Shukow nicht gut bekommen, Rettung des Vaterlandes hin oder her.

Russischer Angriff am Kursker Bogen. Sommer 1943. (Foto: Novosti)

Dieser Held der Sowjetunion, für viele „Sieger über Hitler“ und „Retter von Russland“, wurde nach dem Triumph von seinem Vorgesetzten Josef Stalin wie Dreck behandelt, degradiert und auf niedere Posten versetzt. Demütigung bei lebendigem Leib. Shukow zu ermorden, wagte selbst der Menschenzerstörer Stalin nicht. Zu beliebt und populär im Volk und unter Soldaten war der Marschall. Aber gleißende Undankbarkeit für den Retter des Vaterlandes vom Tyrannen hinter den Kremlmauern. Shukow hatte mit diesem Schicksal Vorläufer. Militärs dienten gerade in der alten Sowjetunion – die für Putins Russland ein Fundament – oftmals als Sündenböcke. Oder sie wurden aus purem Neid und kleinlicher Eifersucht zur Seite geschoben, ausradiert und getötet. Der Gründer der Roten Armee und Sieger im Bürgerkrieg, Leo Trotzki (1879 – 1940), wurde ermordet und aus der Geschichte retuschiert. Der Modernisierer dieser Roten Armee, ebenfalls Held im Bürgerkrieg und Stalin-Opfer, Marschall Michail Nikolajewitsch Tuchatschewski (1893 – 1937), wurde gefoltert, in einem Schauprozess gedemütigt und im Innenhof der Lubjanka erschossen.

Junger Held im Bürgerkrieg. Brillanter Planer. Jüngster Marschall der Sowjetunion. Michail Tuchatschewski. Von Stalins Schergen gefoltert und ermordet. (Foto: TASS)

Russische Militärführer – die heutzutage immer noch ein Stück weit den Geist des sowjetischen Militärs und der legendären Roten Armee lebendig halten sollen – können bei Fehlern kein Verständnis und bei Siegen wenig Lorbeer erwarten. Die Politik steht oft mit dem Fallbeil bereit. Als das Monstrum Stalin sein Leben auf dem Teppich seiner Datscha ausröchelte, holten Politbüromitglieder Shukow schnell ins Zentrum der Macht zurück und rehabilitierten diesen. Er wurde benötigt, um mit seiner Autorität und der Gefolgschaft vieler Soldaten den schlimmsten Bluthund von Stalin, Lawrenti Beria, abzusetzen und dann umgehend zu beseitigen. Shukow erledigte auch diesen Auftrag äußerst erfolgreich und hatte erneut seine Schuldigkeit getan. Sein Ruhm war dem späteren Sowjetpotentaten Leonid Breschnew ein Dorn im Auge, der trockene Apparatschik versetzte den Volkshelden Shukow in den Ruhestand und ins Vergessen. Das mit dem Vergessen gelang nicht. Der Name Shukow steht heute noch bei gewöhnlichen Russen für heldenhafte Größe, während Breschnew nur für Verfall und Scheitern eines Weltreiches steht. So kann es einem mit der Geschichte gehen, sobald man nicht mehr in der Lage, diese selber zu schreiben oder zu fälschen. Das russische Militär verfügt längst nicht mehr über Persönlichkeiten vom Format eines Trotzki und Tuchatschewski oder gar Shukow. An die Stelle von Strategen und Taktikern sind Beamtenseelen und Bürokraten in Uniform getreten.

Ein Beamter ist manchmal wie eine kaputte Kanone – er funktioniert nicht und man kann ihn nicht abfeuern. (George S. Patton, US-Viersternegeneral, Oberbefehlshaber der 7. US-Armee, später der 3. US-Armee im 2. Weltkrieg.)

Jedenfalls hängt auch über den eher mittelmäßigen Köpfen der heutigen russischen Armee das Damoklesschwert der Politik. Dieser Tage in Gestalt von Wladimir Putin. Putin hat in seiner „Mobilisierungsrede“ nicht nur den Ton vorgegeben, sondern den Schwarzen Peter auf offener Bühne dem Militär untergejubelt. Nicht etwa er persönlich erteilte einen Befehl, was er als Oberkommandierender der Streitkräfte von Amtswegen kann. Vielmehr sagte er, „Ich finde es notwendig, den Vorschlag des Verteidigungsministeriums und des Generalstabs zur Teilmobilisierung zu unterstützen“. Damit ist die Rollenverteilung klar. Das Militär sollte sich schon jetzt damit abfinden, die alleinige Schuld für ein mögliches Desaster in der Ukraine zu bekommen. Alles schon da gewesen und nicht so arg neu, wie Kommentatoren es darstellen. Deswegen haben wir Shukow ins Gedächtnis zurückgeholt. Die Geschichte lehrt viel, sofern man sich in ihr umsieht. Von Karl Marx stammt das dazu passende Zitat:

Hegel bemerkte irgendwo, dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: Das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.

*Titelbild: Marschall Georgi Shukow (Foto: TASS)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert