Berlin

Spielplan: Chaos mit Seifenoper

Oft wird in Berliner Schnoddrigkeit der Satz gesprochen, Hertha wäre wie ein Ziegenzuchtverein. Was nun wirklich unfair gegen alle Ziegenzüchter und sämtliche Ziegen, von wahren Vereinen nicht zu reden. Die echten Hertha-Fans sind zu bedauern, ihre Duldsamkeit mit ihren jeweiligen Vereinsobrigkeiten und die Leidensfähigkeit beim Ausbleiben von sportlichem Erfolg ist bewundernswert und verdient Respekt. Blicken wir also auf diese Vereinsobrigkeit. Auf Herthas sonntäglicher Mitglieder-Versammlung, die in weiten Teilen einer Clownerie glich, fielen nach wenigen Minuten die beiden Kernsätze dieses Vereins. Seit ungefähr 50 Jahren in Endlosschleife immer aus den Reihen diverserer Funktionäre dargeboten. „Machen Sie den Weg frei für unsere neue Hertha!“ Und ein echter Hertha-Klassiker: Mir und uns geht es nicht um Machterhalt.“ Wer so etwas wann und weshalb sagt, ist längst völlig egal. Bei Hertha sollen Fans wirklich den Kakao trinken, durch den Funktionäre sie vorher ziehen. Jahrzehnt um Jahrzehnt. Ein Trauerspiel der billigsten Art. Hertha BSC kann dennoch wieder einmal planen, weil man in der 1. Bundesliga verblieben. Aber Hertha kann natürlich wieder nicht vor der eigenen Tür kehren oder gar aufräumen. Dazu fehlt jeder Grips und jeder Wille. Diese krankhafte Unfähigkeit macht den Verein zu einer lauten und blamablen Gestalt in der Hauptstadt. Hertha ist wie ein heimtückischer Sumpf, jeder Schritt führt tiefer ins Verderben. Bemerkenswert und zum Berliner Mittelmaß passend, sind vor allem die auswärtigen Genies mit Sendungsbewusstsein oder Geld. Die wollen den Sumpf trocknen oder kaufen und setzen ausgerechnet auf jene, welche zum alten Berliner Biotop gehören, in dem dieser Sumpf prächtig gedeihen konnte und weiter gedeiht.

Olympiastadion Berlin. Unschuldig an Herthas Misere. (Foto: Ralf Genge auf Pixabay)

Schauen wir also zuerst auf einen arg Sendungsbewussten. Der oftmalige Fußballerfinder Jürgen Klinsmann, natürlich ein Hertha-Gescheiterter, faselt etwas von einem neuen Stadion, dass dann 10 bis 15 Punkte mehr bringen würde. Als hätte das Olympiastadion Schuld an der Misere von Hertha BSC. Wäre Hertha ein seriöser Verein und der Fußball attraktiv, die Stimmung im Olympiastadion ließe sich sehr gut an. Aber dafür muss es natürlich ausverkauft sein, dann rasselt es dort auch. Wo liegt bitte das Problem für einen Bundesligisten, in einer Stadt mit vier Millionen Einwohnern ein Stadion mit 74.000 Plätzen zu füllen? Hausgemacht bei Hertha selbst. Es gab nämlich schon großartige Fußballstimmung und berauschende Spiele in diesem Olympiastadion, nur hatten die nicht mit Hertha zu tun. Noch weltfremder zeigt sich Klinsmann mit dem Satz: „Es ist sehr schade, dass ein Standort wie Berlin, der so viel Wirtschaftspower hat, wie übrigens auch Stuttgart, das sich ja soeben gerettet hat, nicht ganz anders dasteht im deutschen Fußball.“ Wirtschaftspower? Wo Klinsmann auf der Subventionsinsel Berlin Wirtschaftspower entdeckt hat, bleibt sein Geheimnis. Es zeigt vor allem, der Mann hat von Berlin absolut keine Ahnung. Es hindert ihn allerdings nicht daran, darüber viel dummes Zeug zu erzählen.

Ein anderer Zeitgenosse hat von Berlin ebenfalls keine Ahnung. Der Investor Lars Windhorst lässt sich in Berlin- und Hertha-Fragen von Leuten eine verbale und ziemlich verdorbene Currywurst vorsetzen, die dem Gammelfleisch eines Tönnies alle Ehre machen würde. Die Windhorst Einflüsterer, denen dieser naiv wie willig folgt, sind Geister der vergangenen Kohl-Ära, verstaubtes Abbild des alten Westberlin. Deren Wege zu und um Hertha führen in das Reich der ewigen Kungelei und alten Netzwerke, eben in besagten Sumpf. Dort warteten auf Windhorst jene, die jahrzehntelang Bestandteil diverser, sich aufhebender oder ergänzender Kungelrunden waren. Für die teilweise Eroberung Herthas reicht die Kraft der Windhorst Bündnispartner. Für die Verankerung in Berlin, über den eigenen Vereinszaun hinaus, fehlt die notwendige Schlagkraft aus Seriosität. Windhorst wurden Kräfte untergeschoben, die seit Ewigkeiten die andauernde Erfolglosigkeit dieses Vereins verantworteten und dabei immer ihr eigenes Süppchen zu kochen wussten. Windhorst ließ sich wie ein Lamm in diese Falle führen, sein Geld ebenfalls. Jetzt steht der Investor am Ende der altbekannten Sackgasse unter dem rostigen Straßenschild Hertha. Der aus London agierende Windhorst hätte früh begreifen müssen, die Herren Gegenbauer, Preetz, Schiller usw., man könnte noch viele Namen zusätzlich auflisten, waren nie nur Personen, sie sind vielmehr die Verkörperung einer Mentalität. Seine Berliner Berater nicht wesentlich anders. Die Denkart dieser Leute steht der Notwendigkeit im Weg, den Verein in eine Seriosität zu führen, die zu späteren Zeiten dann sogar Erfolge möglich macht. Auf die frei gewordenen Stühle der Genannten warten längst Leute von gleicher Bauart. So funktioniert Berlin. Man muss sich nur an den Bau des Flughafens Berlin-Brandenburg erinnern.

Currywurst. Wer sie verdorben verschlingt, dem bekommt sie nicht. (Foto: SnaXXy auf Pixabay)

Sport-Geschäftsführer Fredi Bobic mag ein netter Schwabe sein. Ein Idealtyp für die Welt von Fußballtalkshows und dem Universum, wo sich Fußballer und Medienarbeiter zu Tode duzen und die Schultern klopfen. Auf der Mitgliederversammlung wurde er für schlichte Binsen aus der Fußballsprache gefeiert. Der Boulevard feierte mit und hob ihn schnell auf das Schild. Nun ja. Froh zu sein, bedarf es auch im Fußball wenig. Für Hertha passt das Format Bobic. In dieser schwierigen Stadt Berlin einen Verein auszumisten und auf Vordermann bringen, dafür fehlt Fredi Bobic einiges. Er ist innerhalb der Hertha-Mauern vielleicht aktionsfähig und tauglich. In die Stadt hinein hat er allerdings keinerlei Wirkung, ist auf dem sehr speziellen Spielfeld Berlin nur ein Leichtgewicht. Doch zeigt er durchaus Geschick in eigener Sache. Sich bei Hertha zu halten, ist eine gewisse Leistung. Während sich also wegen der beschriebenen Lage immer mehr die Finsternis über Hertha ausbreitet, strahlen an anderen Orten im Berliner Fußball die Lichter aktuell ziemlich hell.

Deswegen ein Blick nach Köpenick. Übrigens auch Berlin. Nicht ganz Big, dafür so gewitzt wie der dort ehemals agierende Schuster in Uniform. Ausgerechnet im alten Osten liegt der Stein des Anstoßes, der Hertha ständig im Schuh drückt. Wobei sich Hertha selbstredend größer und mächtiger fühlt, eben typisch Big. Hertha BSC die trügerischen Gefühle des Selbstrausches und dem 1. FC Union Berlin der Erfolg. So sieht die Rollenverteilung im Berliner Fußball mittlerweile aus. Eine Art SC Freiburg an der Spree. Jedenfalls ein gesunder und funktionierender Verein. Union hat sich nicht nur sportliche Erfolge erarbeitet, da ist viel mehr. Einiges davon wesentlich. Die Vereinspolitik von Union wird nicht auf Berliner Straßen zu Markt getragen, unter Schildern mit der Aufschrift ‚Hauptstadtklub‘ heraus trompetet oder gar in den ansässigen Boulevardredaktionen vorgekaut. Das Bündnis von Hertha mit dem Boulevard ist wesentlicher Teil des vorhin schon angedeuteten Sumpfes. Für den Verein nicht von Vorteil. Von der einst belächelten Konkurrenz Union Berlin sieht Hertha sportlich und als Organisation jedenfalls in unseren Tagen nur noch die Rücklichter. Allerdings muss da schon sehr gutes Wetter herrschen.

Anderes Universum. Gegenmodell zu Hertha. Fußball und Solidität. Ein kleines Kraftpaket.

Wir hassen in Berlin den Karneval, nicht nur, weil er lächerlich und aus dem Rheinland, sondern weil Hertha ihn täglich veranstaltet. Kaum ist der Bundesligaverbleib von einem schnell herbeigeholten Münchner gerettet, ohne Zutun des völlig maroden Vereins, wird wieder die dicke Lippe riskiert. Die Begriffe Big City und Big Boss machen schnell die Runde und flattern laut durch Berlin. Hertha ist immer für die große Seifenoper gut. Es gibt kein Klischee, das bei Hertha nicht geritten wird. Wenn der Satz „Eine Stadt, ein Verein“ in Bezug auf Hertha stimmt, dann sind wir, um es auf gut berlinisch zu sagen, mit Verlaub ziemlich am Arsch. Die handelnden Akteure von Hertha, Entscheider geht einem kaum über die Lippen, werden auch nach der Mitgliederversammlung so weiterwursteln, wie sie es bei Hertha immer getan. Zumindest darin, und jetzt ein wirkliches Lob, besitzt Hertha eine bewundernswerte Kontinuität und stabile Verlässlichkeit bis in alle Ewigkeit. Das Amen wird hier bewusst weggelassen.

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