Leben

Ein Minister in der Pandemie

Überforderung? Wenn man sich für eine bestimmte Linie entscheidet, sollte man sie konsequent verfolgen. Wesentliche Teile der heutigen Politikklasse tun es leider anders. Lavieren zwischen Wahlterminen und Umfragen bestimmen ihren Entscheidungshorizont. Darin getriebene der veröffentlichten Meinung. Beim Bürger wird dann umgestoßen, was diesem vorher ins Stammbuch geschrieben. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn wirkt dabei besonders aktiv und in dieser Aktivität überfordert. Am Anfang keine Pandemieerfahrung im Köcher zu haben, ist einem Minister nicht vorzuwerfen. Der Anfang ist allerdings verdammt lang her. Das unklare Manövrieren in der Pandemie muss man daher kritisch sehen. Im Mai dieses Jahres verkündete Spahn für die AstraZeneca-Impfung ein verkürztes Abstandsmodell in der Zeitschiene. Wurde von offizieller Seite über Monate propagiert, zwölf Wochen Abstand zwischen den Impfungen mit AstraZeneca seien schlichtweg optimal – schon da roch der Bürger den Pfuhl der Hilflosigkeit wegen zu knapper Impfstoffe – verkündet Jens Spahn in Professor Brinkmann Manier nun das krasse Gegenteil, vier Wochen Abstand seien ausreichend. Was soll man dazu noch sagen? Impfabstände sollten auf Basis medizinischer Erkenntnis festgelegt und nicht wie Bauern auf dem Schachbrett eines Politikers verschoben werden. Ärzte und Fachleute schütteln darüber längst den Kopf. Die Verwirrung ist angerichtet und lässt sich nicht wieder einfangen. Erwartungen wurden geschürt. Eben geweckte Hoffnungen kassiert Verkünder Jens Spahn Höchstselbst wieder ein: „Wunder sind nicht zu erwarten“. Gut zu wissen. Verantwortung sollte auf anderen Sohlen daher kommen und nicht im hü und hott Modus. Man spürt hier Politik nach Gutsherrenart und nicht auf der Basis belastbarer Fakten und Tatsachen. So geht es zu und sollte dennoch besser sein.

Vor allem Medien und die Meinungsmacher der Umfrageinstitute haben vor nicht ferner Zeit Jens Spahn Kanzlertauglichkeit bescheinigt und bei vielerlei Gelegenheit attestiert. Dieses Urteilsvermögen müsste dringend auf den Prüfstand. Bevor man neue Könige ausruft, einfach an die Gebrüder Grimm und die vermeintlich neuen Kleider des Kaisers denken. Ein üppiger Kredit und der Kauf einer Millionenvilla sorgten unlängst im Reden und Schreiben über Jens Spahn für Aufregung. Warum Vorwürfe? In einer Gesellschaft, wo alles nach Geld strebt und Mammon einziger und letzter Maßstab sind Politiker und ihre Gier so wie jedermanns Gier. Daraus sollte jedermann dann keine Empörung ziehen. Natürlich, dies sei gesagt, kommt jedermann nicht so spielend und aus der Hüfte an Millionen. Neid ist daher erlaubt. Die angebliche Kanzlertauglichkeit daran nicht unbedingt zu widerlegen. Diese wurde eher durch die Monate der Pandemie pulverisiert. Darin hat der zuständige Minister in der Flut von Aktionismus zu oft gestümpert. Der große Wurf, einen Staatsmann zu geben, misslang. Was Helmut Schmidt in einer Flut anstellte, dem Hamburger Hochwasser, hätte Jens Spahn in der Pandemie leisten können. Der Matchball aber vergeben. Retter-Image verspielt, Chance verstolpert.

 

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