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Volksfront

Die Meldung war schlicht und kurz, doch Frankreich bebte: „Das Bündnis Union Populaire von La France Insoumise, das Bündnis Pôle écologiste, die Kommunistische Partei Frankreichs und der Vorstand der Sozialistischen Partei haben eine Einigung erzielt, als gemeinsame Plattform bei den Parlamentswahlen im nächsten Monat anzutreten.“ Wofür man vielleicht Franzose sein muss, der Name ist nun wirklich arg sperrig: NUPES = Nouvelle Union Populaire écologiste et sociale (‚Neue Ökologische und Soziale Volksunion‘). Die erste Stufe der politische Rakete ist jedenfalls mit einem gemeinsamen Kandidaten pro Wahlkreis eingerichtet. Die zweite Stufe besteht darin, eine Mehrheit in der Nationalversammlung (Frankreichs Parlament) zu gewinnen. Die dritte Stufe ist, mit dieser Mehrheit Jean-Luc Mélenchon in das Matignon (Amtssitz des Ministerpräsidenten von Frankreich) zu wählen. Unsere französischen Nachbarn stehen jedenfalls vor zwei Wahlrunden, in denen am 12. und 19. Juni 2022 das neue Parlament (Nationalversammlung) gewählt wird. Für die zweite Runde qualifizieren sich die Kandidaten, die mehr als 12,5 Prozent der registrierten Wähler zusammenbringen konnten. Für den Fall, dass kein Kandidat die Bedingungen erfüllt, sind die beiden führenden Kandidaten unabhängig von ihrer Prozentzahl für die Stichwahl der zweiten Runde qualifiziert. Der bekannte Soziologe Vincent Tiberj, stellte in einer ersten Wahlanalyse fest: „Wir beginnen, erstaunliche Dinge zu sehen. Es ist ungewöhnlich, dass die Linke zu Beginn der Parlamentswahlen so weit oben steht. Vielleicht steht etwas auf dem Spiel.“

Historisches Bündnis.

Es ist geschafft. In Frankreich hat bis zur Parlamentswahl etwas begonnen, was als Kampfansage gegen den Neoliberalismus zu verstehen und so gehandhabt wird. Die Scheidung der Geister, keine Kompromisse. Wer weiter unter dem Neoliberalismus leben will, der hat ‚Rassemblement National‘ von Marine Le Pen und die Neugründung der Präsidenten-Partei ‚Renaissance‘ (Wiedergeburt) im Angebot. Dagegen steht etwas, was Olivier Faure, Vorsitzender der Sozialisten (PS), vorgestern Nacht formulierte: „Der Slogan von Jean-Luc Mélenchon ‚eine andere Welt ist möglich‘, gilt auch für uns.“ Damit war die letzte Hürde genommen. Der Nationalrat der PS entschied sich in einer langen Sitzung für das Bündnis mit La France insoumise (Bürger- und Parteibündnis von Mélenchon), den Grünen (Julien Bayou) und den Kommunisten (Fabien Roussel). Als Schmied dieses Bündnisses muss wohl der Europaabgeordnete Manuel Bompard angesehen werden. Bompard ist engster Vertrauter von Jean-Luc Mélenchon und war dessen Kampagnenmanager während des Präsidentschaftswahlkampfes. Von ihm sagen selbst politische Gegner: Haben Sie ein Problem? Bompard hat die Lösung!“ Das neue Bündnis hat mit Bompard „eine gute Fee über ihrer Wiege gehabt“, musste sogar das von Macron beherrschte französische TV eingestehen.

Verhandelte das linke Bündnis: Manuel Bompard (Screenshot: TV france inter)

Die PS, die einst den bedeutenden Präsidenten François Mitterrand und 31 Jahre später den erbärmlichsten Präsidenten Frankreichs, François Hollande stellte, fügte sich in das Unvermeidliche. Links heißt in Frankreich Mélenchon, nur ihm folgen noch Massen. Eine Wahl ist auf der linken Seite ohne Mélenchon nicht zu gewinnen, mit ihm steigen die Chancen. Die Zeitung ‚Le Parisien‘ schrieb anerkennend: „Es ist immer noch verrückt! Jean-Luc Mélenchon geht definitiv in die Geschichtsbücher ein. Die neuen Bündnispartner haben sich darauf geeinigt, Jean-Luc Mélenchon den Posten des Ministerpräsidenten im Falle einer Mehrheit in der Nationalversammlung zu überlassen.“ Emmanuel Macron verkaufte noch in der Nacht seiner Wiederwahl, er allein hätte bei der Stichwahl verhindert, dass eine Rechtsextremistin in den Élysée-Palast einzieht. Nun haben dieses vor allem die Wähler verhindert, deren Parteien jetzt ein linkes Bündnis, endlich eine neue Volksfront geschlossen haben. Die waren Macron in seinem monarchischen Freudentaumel keine Zeile wert. Bei einer Straßenumfrage von TV2 sagte ein Wähler Richtung der Partei des Präsidenten ins Mikro, was viele Franzosen empfinden. „Sie forderten uns auf, Le Pen zu blockieren, damit Macron gewählt wird. Jetzt fordern sie uns auf, Mélenchon zu blockieren, damit Macron seine Mehrheit hat. Und sie vergessen dabei Le Pen völlig. Ihre Sorge gilt also nicht der extremen Rechten, sondern der Linken. Schäbig.“

1. Mai in Paris. Mélenchon mit Anhängern der Volksfront auf dem Platz der Republik. (Foto: JLM Twitter)

In Frankreich werden die Bürger wieder politisch. Verkappte Reaktionäre, die sich gern unter den Linken tummelten, um diese auf neoliberalem Kurs zu halten, werden gerade hinweggefegt. Oder jammern in TV Studios von einer Geschichte, die in Gefahr, wo sie und ihre Politik in den letzten 20 Jahren die einzige Gefahr waren. Das Jammerstück, vermeintliche Linke warnen vor echten Linken, wird weltweit aufgeführt, sobald sich Eliten mit ihren neoliberalen Politikmodellen in akuter Gefahr sehen. Eines muss gesagt werden, nirgends gibt es so nützliche Idioten des Kapitals als unter Linken. Die neue Volksfront in Frankreich weiß um solche Gefährder ihres Projektes. Deswegen haben Mélenchon und seine Volksunion diese in den letzten 10 Tagen zumindest in Frankreich beiseitegeschoben, ihnen nichts zugestanden, ihnen keine Kompromisse geboten. Es geht jetzt um die Regierungsmehrheit oder um die totale Herrschaft Macrons. Mélenchon weiß genau, er braucht die absolute Mehrheit mit seiner Volksfront, sonst wird er nicht Ministerpräsident. Die Rechnung ist einfach wie gefährlich. Das Volk muss mit seiner Stimme dem Präsidenten keine Wahl lassen und sich durch eine eindeutige Mehrheit den Ministerpräsidenten selber wählen. Wie reif die Franzosen dafür sind, man wird es sehen. Neben der konservativen Macron-Maschinerie wird auch Le Pens Partei mitmischen, die sich nach der Wahlniederlage noch nicht ganz sortiert hat.

Die globalen Eliten werden Macron über Konzernmedien und mit allen verfügbaren Mitteln in den nächsten Wochen stützen. Das Great Reset des neoliberalen Gurus und Davos-Vordenkers Klaus Schwarz ist mit Mélenchon nicht durchsetzbar, dazu bedarf es in Europa des Politiktypus eines Emmanuel Macron. Für ihn werden die globalen Eliten kämpfen und im Gegenzug über Mélenchon ein propagandistisches Fegefeuer niedergehen lassen. (Man denke nur, was Medien und Eliten mit Jeremy Corbyn in Großbritannien getrieben haben.) Mélenchon weiß darum und ist durch ein halbes Jahrhundert aktiver Politik gestählt, war immer mehr Revolutionär und Kämpfer, als nur Politiker. Der Anführer der Sozialisten, Olivier Faure, hat die Popularität und die Schlagkraft von Mélenchon erkannt und dessen Führungsrolle akzeptiert, die Reste der  zerbröselnden Sozialisten in das Bündnis geführt, sich von den Ewiggestrigen nicht mehr aufhalten lassen. Dafür gebührt ihm sein Anteil an diesem historischen Verdienst.

Olivier Faure. Mann der Volksfront. (Screenshot: OF Twitter)

Faure wagte auch den historischen Blick zurück: „Wenn sich die Linke für ein Projekt zusammenschließt, verändert das das Leben der Menschen nachhaltig. Am 3. Mai 1936 gewährte die Volksfront 40 Stunden, bezahlten Urlaub, Gehaltserhöhungen. Unsere Wurzeln sind dort. Nirgendwo sonst.“ Derweil abgestandene Linke in Frankreich durch Talk-Shows tingeln, dabei weiter an ihrer eigenen Dummheit nippen und sich um den Rest von Würde bringen. (In Deutschland liest sich so etwas dann staatstragend und harmlos wie hier aus der Süddeutschen Zeitung: „In Frankreich wollen sich die Sozialisten einem Bündnis des Linksaußen Mélenchon gegen Präsident Macron anschließen. Gegen diesen Plan erheben sich Parteipromis wie Ex-Präsident Hollande.“) Die da nun gehen wollen, um nicht dem „Linksaußen“ zu folgen, haben die Sozialistische Partei Frankreichs in 10 Jahren von 52 Prozent auf 1,7 Prozent runtergewirtschaftet. Sie sind bei den Franzosen völlig durch. Was die Süddeutsche ihren Leser nicht mehr mitteilt. Aber es geht ja bei dieser Art von Mitteilung längst um eine Propagandalinie, nicht um eine Nachricht. Deutschlands Medien liegen, wen wundert es, längst im Schützengraben gegen die Volksfront. Wie auch anders!?

Wettert gegen die Volksfront. Ex-Präsident Hollande. Zerstörer der Sozialistischen Partei. (Screenshot: france info)

Der vermeintliche Sozialist Hollande, heute in Frankreich eine verlachte oder verachtete Witzfigur, lieferte als Präsident das Land und die Franzosen zwischen 2012 und 2017 dem neoliberalen Ministerpräsidenten Manuel Valls aus, der später politisch nach Spanien flüchtete. Valls holte einen Investmentbanker in die französische Regierung, sein Name Emmanuel Macron. Es waren siegreiche Tage für neoliberale Politik. Während sich die Sozialisten damit ins historische Verderben bugsierten und die Konservativen frohlockend zustimmten, Marine Le Pen mit ihrer Bewegung größer und größer wurde, machte sich ein ehemaliger Bildungsminister aus der Zeit von François Mitterrand als Einmannopposition auf den Weg. Er kannte nur ein Ziel, dem Neoliberalismus den Kampf anzusagen und diesem die Macht in Frankreich aus den Händen zu reißen. Mehr als Spott war damit nicht zu ernten. Sein Name Jean-Luc Mélenchon. Nach drei verloren Präsidentschaftswahlkämpfen ist er nun auf dem Höhepunkt seiner Kraft, mit dem festen Ziel Frankreichs nächster Premierminister zu werden. Sich dem aufzuzwingen, den er bekämpft und verachtet, dem Präsidenten der Republik, Emmanuel Macron. Dafür braucht er den französischen Wähler und ein linkes Bündnis. Das Bündnis ist historisch geschmiedet, den Wähler in Frankreich spricht niemand so an wie Mélenchon, der Kampf hat begonnen.

Historische Parallele. 1936 siegte in Frankreich die Volkfront unter Führung von Léon Blum.

Es geht auf beiden Seiten des politischen Spektrums um sehr viel. Die Frontlinien zeichnen sich daher hart ab. Der Chefredakteur von Frankreichs größter Zeitung (Le Monde) blies schon zum Sturm gegen Mélenchon: Unter dem Titel „Jean-Luc Mélenchons kulturelles Profil empört einige in der PS und beunruhigt viele Verantwortliche im Kunstsektor“ hagelte er Tiraden gegen den Kopf der Volksunion. Mélenchon schoss zurück: „Ist das noch ein Artikel, Herr Chefredakteur, oder schon ein Flugblatt? Ein Flugblatt. Das ist schlecht. Niemand kauft Le Monde, um solche rechtsradikalen Pamphlete zu lesen.“ So wird es bis zum Wahltag weitergehen, der Neoliberalismus wird alles mobilisieren, was in seinen Kräften. Ob Konzernmedien oder Politiker, sie werden Gewehr bei Fuß stehen. In der Propaganda wird Macron, der ja nicht zur Wahl steht und doch von dieser Wahl so enorm abhängig ist, sicher ein glühender Freund von Katzen und Hunden, während Mélenchon kleine Franzosen zum Frühstück verspeist. Was Linke halt so tun. Alles nicht neu. Als Mitterrand am 10. Mai 1981 die Präsidentschaftswahl gewann, war er nach Léon Blum (1946/47) und Vincent Auriol (1947–1954) erst der dritte Linke als französisches Staatsoberhaupt. Die Rechten und Konservativen schäumten mit ihren Medien im Chor. Den Franzosen wurde erzählt, im Falle eines Wahlsieges Mitterrands würde Paris ein russisches Straflager mit sowjetischen Panzern in der gesamten Stadt.

Frankreichs nächster Premierminister? Gegen den Neoliberalismus – gegen den Präsidenten. (Screenshot: TV2)

Jean-Luc Mélenchon hat seine wichtigsten Zwischenziele erreicht. Die Parlamentswahlen werden zu einem politischen Ereignis, womit Macrons Demobilisierungskampagne verpufft. Außerdem wird er als unumstrittener Anführer des linken Wahlkampfes seinen Hut in den Ring werfen, mit dem Ziel Ministerpräsident gegen die neoliberale Politik des Präsidenten zu werden. Niemand macht ihm dieses im linken Lager noch streitig. Zusätzlich ist er zwei Störer los, die das linke Bündnis zu den Präsidentenwahlen noch im Sinne von Macron torpedierten und halfen, Marine Le Pen ins Finale zu bringen. Die Sozialistin Anne Hidalgo, noch Bürgermeisterin von Paris, wie der Grüne Yannick Jadot wurden von ihren eigenen Leuten kaltgestellt. Der Parteisprecher Julien Bayou übernahm bei den Grünen die Verhandlungen, wollte die historische Chance für Frankreich nicht verstreichen lassen. Jadot ist Geschichte, als nützlicher Idiot neoliberaler Politik, aber noch Held der inkompetenten Frankreichkorrespondentin der FAZ, die schon vom europafeindlichen Linksbündnis wabert. Auf Reaktionäre ist selbst beim Bellen immer Verlass. Mélenchon lässt keinen Zweifel. Hier die Bürger Frankreichs, dort ein Präsident der Eliten und des Kapitals. Für Mélenchon gibt es dadurch keine Kompromisslinien. Er lässt keine Zweifel aufkommen, schon in den ersten Wochen seiner Regierung den Mindestlohn anzuheben, die Preise für Grundbedürfnisse einzufrieren und das Rentenalter bei 60 festzulegen. Schülern und Studenten will er sofort bessere Bildungszugänge verschaffen. Und an einem Ziel hält er eisern fest. Die Zeit der Steuergeschenke und Zuwendungen für die Reichen – Macrons Hauptzweck von Politik – wäre vom ersten Tag seiner Regierung vorbei.

Wir mussten in 13 Tagen beilegen, was zehn Jahre lang Konfliktherde waren, aber wir mussten rechtzeitig bereit sein. Wir halten keinen Kongress ab, wir bereiten uns darauf vor, das Land zu regieren. Ich bitte die französischen Männer und Frauen, mich zum Premierminister zu wählen. Dazu ist es notwendig, bei den Parlamentswahlen am 12. und 19. Juni eine Mehrheit der Abgeordneten der neuen Volksunion zu wählen. In der Versammlung werden wir jeweils eine eigene Gruppe haben, aber wir werden eine parlamentarische interfraktionelle Gruppe bilden. Ebenso werden wir, abgesehen von der institutionellen Struktur, ein gemeinsames politisches Parlament haben. Das ist neu. Wenn die Regierung der neuen Volksunion gewählt wird, werden wir per Dekret den Mindestlohn sofort auf 1.400 € netto festsetzen. Und der Ruhestand wird im Alter von 60 Jahren mit 40 Rentenjahren für alle gelten. (Jean-Luc Mélenchon)

*Titelbild: Palais Bourbon, Paris, Sitz der französischen Nationalversammlung

 

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