Porträts

Wahnsinn in Fortsetzung

Um den Niedergang der britischen Gesellschaft und die Verderbtheit der politischen Klasse zu beschreiben, muss man nicht nur auf Boris Johnson schauen, der gleichermaßen Produkt und Nutznießer dieses Verfalls. Ein Blick auf seine möglichen Nachfolger und in die politische wie mediale Arena hilf. Liz Truss, die wahrscheinlich den internen Wettbewerb der Conservative Party gewinnen wird, gilt als dumm-frech und zog mit haltlosen Versprechen und kindischen Luftschlössern durch den innerparteilichen Wahlkampf um die Führung der Tories. Diese Politik auf Basis von Dummheit und Skrupellosigkeit macht sie zum idealen und lenkbaren Instrument der Murdoch-Medien, die sich schon von Beginn der Kampagne auf die Seite der aktuellen Außenministerin stellten. Um den sie stützenden Eliten zu gefallen, drohte Truss eifernd den Gewerkschaften im Land mit harter Ausgrenzung. Diesen eher schwachen Gewerkschaften schob sie frech und verlogen jeden Niedergang des Landes in die Schuhe, der einzig auf das verdorbene Konto der Tories geht. Diese eiskalte Lügenvorstellung sorgte für Entsetzen und Staunen, war eines Boris Johnson ebenbürtig. Außerdem beleidigte Truss öffentlich Nicola Sturgeon, Erste Ministerin von Schottland durch einen Ausfall englischer Borniertheit und Herrenreiterattitüde: „Das Beste ist, Nicola Sturgeon zu ignorieren.“ Truss machte während ihrer Kampagne nie einen Hehl daraus, künftig im Namen der Reichen zu regieren.

Der Guardian Kolumnist Owen Jones schätzt Truss so ein, dass sie aus völliger Unwissenheit und Selbstüberschätzung auch mal den Atomknopf drücken könnte. Einfach so. Das passt irgendwie gut auf eine Zuschreibung aus dem eigenen politischen Umfeld der Tories, worin Johnsons ehemaliger Chefberater Dominic Cummings die von ihm beobachtete Liz Truss als „menschliche Handgranate“ beschrieb. Am Brexit, einer zentralen Zeitenwende britischer Politik, welcher sich nur für die Eliten auszahlt, der sozialen Unterschicht allerdings neue Lasten aufbürdete, die jedes Leid des Brüsseler Regulierungswahns noch übersteigen, wollen Truss wie Sunak nicht rütteln.

Brexit. Weichenstellung britischer Politik. Sieger die Reichen. Verlierer die Armen.

Der eher chancenlose Gegenpart im Kampf um die Johnson Nachfolge, Rishi Sunak, gilt Truss gegenüber als intellektuell und war ein knallharter neoliberaler Finanzminister unter Johnson. Sunak hat die soziale Spaltung der britischen Gesellschaft im Geist von Margaret Thatcher gnadenlos vorangetrieben. Er ist mit einer Milliardärstochter verheiratet, gemeinsam besitzen sie um die 700 Millionen Pfund, Herrenhäuser in Großbritannien, eine noble Wohnung in London, ein edles Appartement in Kalifornien. Weil der noch denkende Teil der Briten Sunak für die extrem voranschreitende Verarmung weiter Teile der Bevölkerung verantwortlich macht, könnte das für die Tories bei Wahlen problematischer werden, als bei Truss, weswegen diese auch beim Parteiestablishment und den Murdoch-Medien vorne liegt. Wes Geistes Kind Sunak ist, stellte auch er eindrucksvoll unter Beweis. In einem durchgesickerten Video aus dem innerparteilichen Wahlkampf, Sunak war Gast bei reichen Konservativen, versicherte er den Eliten, er ist bereit, aus „benachteiligten und armen städtischen Regionen öffentliche Gelder zu entnehmen und diese den wohlhabenden Städten und Gegenden zukommen zu lassen“. Mehr muss man über Rishi Sunak wohl nicht wissen.

Es steht nicht gut um und in Großbritannien. Die Tories haben das Land fest im Würgegriff.

Will Hutton, der britische Autor und Publizist von der „London School of Economics and Political Science“, bezog in einem Tweet zum Wettkampf unter den Tories Stellung. Für Hutton steht der Sieg von Liz Truss wie für alle anderen Beobachter fest. Seine Einschätzung, die er am 29. August 2022 über Twitter mitteilte, unzweifelhaft vernichtend:

In sieben Tagen wird PM Truss ihre Regierung aus rechten Eiferern und Außenseitern gründen – die Zerstörung unserer Institutionen vollenden, die Wirtschaft schlecht verwalten, Millionen das Elend auferlegen und die Beziehungen zu Verbündeten und Freunden vergiften. Es ist der wahr gewordene Traum der Rechten.

Ob Truss, Sunak oder Johnson. Die Briten haben verdient, was ihnen die Kehle zudrückt und sie weiter und weiter dramatisch ins Elend treibt. Brav und ewig treu folgen sie stets dem, was ihnen die allmächtigen Medienherrscher über England – Rupert Murdoch und der Viscount Rothermere – in ihren Schmutzblättern vorkauen. In deren Massengazetten suchen vor allem Engländer ihr Heil und ihre Erlösung, walzen sogar ihre eigenen Interessen nieder, so sie dazu aufgerufen werden. In Schottland dagegen regiert ein linkes Bündnis, welches sich mit der einheimischen Bevölkerung gegen die Tories stemmt und die Unabhängigkeit von London anstrebt. Daher auch der blanke Hass von Liz Truss gegen Nicola Sturgeon. Bei den Schotten, anders als bei den Engländern, fällt die ein ganzes Volk vergiftende und verblödende Propaganda von Rupert Murdoch und dem Viscount Rothermere auf keinen fruchtbaren Boden.

Lösung vieler oder gar aller Probleme? Der Wasserkocher.

Und Boris Johnson? Der begibt sich vorübergehend in den unfreiwilligen Ruhestand, in den ihn seine eigene Partei gezwungen. Dabei wird er Memoiren verfassen, für deren schmutzige Wäsche ihm Millionen Pfund Verlagshonorar zufliegen. Derweil explodieren in Großbritannien neben den Lebenshaltungskosten ebenfalls die Energie- und Strompreise, die Mehrheit der Bevölkerung weiß nicht mehr, wie sie diese Kostensteigerungen stemmen und bezahlen soll. Eine Welle von Armut durchjagt  Großbritannien. Die Energiepreisobergrenze wird noch um 80 % steigen. Für einen Großteil der Briten sind die daraus resultierenden Kosten absolut nicht mehr aufzubringen. An dieses Ergebnis seiner und der Politik der Tories – wie den Irrsinn britischer Politik im Allgemeinen – heftete Boris Johnson in seiner letzten Pressekonferenz noch einen ihm würdigen Schlusspunkt:

Kaufen Sie einen neuen Wasserkocher und sparen Sie 10 Pfund pro Jahr bei Ihrer Stromrechnung.
(Experten des britischen Energiemarktes und Ökonomen streiten sich seither öffentlich, ob dieser Vorschlag in 800 oder 3000 Jahren eine erste Ersparnis für die Käufer neuer Wasserkochen erbringen könnte.)

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