Porträts

Nachruf auf Werner Thies

Ob jemand mit ihm bekannt und befreundet war oder sich überworfen hatte. Eine Tatsache zog niemand in Zweifel. Werner Thies war ein Journalist von hohen Graden, mit handwerklichem Können und klarer Haltung, stets meinungsstark und bestens informiert. Seine journalistische Objektivität ließ er sich weder von Freund noch Feind abhandeln. Von seinem journalistischen Format gab es zu allen Zeiten wenige. Beim Spandauer Volksblatt, welches damals durchaus noch Reputation als linke Zeitung im geteilten Berlin, ging es für Werner Thies los. Von Spandau nahm ein beachtliches Berufsleben Fahrt auf, welches vor allem in Berlin für Furore sorgte. Werner Thies schrieb für den Berliner Tagesspiegel und viele Jahre später für die Schweizer Sonntagszeitung. Thies brachte in diversen ARD Politmagazinen professionelle Reportagen auf den Schirm, vor allem für den SFB und Kontraste, berichtete im ZDF Länderspiegel vom „Hammer der Woche“, war in deren Anfangsjahren auch leitender Redakteur beim Projekt Spiegel-TV. Ob in großen wie kleinen Formaten, Sorgfalt und Liebe zum Beruf zeichneten Werner Thies in seiner Arbeit aus. Als Vorbilder dienten ihm legendäre Kollegen, vor allem der Antifaschist Axel Eggebrecht und der Berliner Zeitungsmann Günter Matthes. Traumwandlerisch bewegte er sich auf der Basis beruflicher Könnerschaft zwischen Film, Reportage, Text und allerlei anderen journalistischen Notwendigkeiten. Als engagierter Reporter vor Ort und Moderator der damals noch legendären und politischen „Abendschau“ des SFB, wurde er in Berlin eine Berühmtheit, die man in Kneipen und auf der Straße erkannte und ansprach.

Werner Thies. Bei der Arbeit. (Screenshot: rbb-Nachruf)

Werner Thies konnte brillant wie hartnäckig jede Sorte Mensch interviewen. Devote Liebedienerei war dabei von ihm nicht zu bekommen. Im Gegenteil. Die schlimmen Zeitgenossen, jene mit Dreck am Stecken, ließ er durch seine Fragen nicht entkommen. Der heutige Ton einer aufgeblasenen Hofberichterstattung, die jede Nichtigkeit auswalzt, weil Beliebigkeit längst Inhaltsstärke übertrumpft, war seine Sache nie. So einer eckte natürlich an, gleichermaßen bei der Berliner CDU und der Intendanz des SFB. Der musste weg. Weil er mit seinen Kollegen zu tief im Berliner Bauskandal grub, lief seine Uhr ab. Wer von den älteren Semestern erinnert sich nicht an den Bordellbesitzer Otto Schwanz, den Baustadtrat  Wolfgang Antes und die Briefumschläge mit Bargeld in Anzugtaschen von Politikern? Werner Thies gehörte zu denen, die so etwas ans Licht brachten. Dafür musste er büßen. Feuern ging nicht, also neuer Sendeplatz im Abseits. Bloß nicht mehr Moderator und Reporter der zentralen Abendschau, da könnte er weiter auf Füße treten, die sich ungern treten lassen. Ähnlich erging es damals seinem geschätzten Kollegen Richard Schneider. Das Theater um beider Strafversetzung machte sogar bundesweit Schlagzeilen. Was aus dem Journalismus geworden und was Redaktionen so treiben, vor allem, was sie nicht mehr taten, frustrierte Werner Thies. Journalismus, der sich nur noch in den Zuständen Erregungshitze, Beliebigkeit und triefender Betroffenheit anbietet, traf auf sein völliges Unverständnis. Abseits des Niedergangs journalistisch orientierter Medien gründete er eine kleine TV-Produktion, ohne den Wirkungskräften der Medienkonzerne wirklich zu entkommen und arbeitete an vielerlei Projekten. Seine Lebensbahn trug ihn seither immer öfter nach Irland, dem Land seiner Träume und Erholungsphasen.

Rau und ruhig. Irland als Rückzugsort im Leben wie im Tod. (Foto: Pixabay)

Den klassischen Beruf Journalist hat Werner Thies jedenfalls immer professionell und ehrbar auf allen Stationen mit Bravour ausgeübt. Seine großen Feindbilder, vor allem alte Nazis im konservativen Mäntelchen bürgerlicher Biederkeit sowie Lumpen mit politischen Titeln und staatstragender Attitüde, die ihre Ämter missbrauchten, hat er aufrecht und unbestechlich bekämpft. Auch gewendeten Stützen des DDR-Staates, die plötzlich Musterdemokraten wurden, trat er ins politische Gesäß ihrer neuen Selbstgefälligkeit. So einer machte sich keine Freunde bei diversen Obrigkeiten und deshalb natürlich keine große Karriere, ging vielmehr seinen Weg mit Anstand und Haltung. Dieser eingeschlagene Weg ließ in den letzten Jahren Irland zu seiner Wahlheimat werden. In Irland und dessen rauer Natur wirkt deutsche Aufgeregtheit fern und bietet sich immer die Gelegenheit für Stille und erholsames Innehalten. Es gibt schlechtere Orte auf dieser Welt. Kam in alten Berliner Zeiten einstmals das Kneipengespräch auf existenzielle Themen, wofür Kneipen immer gute wie berüchtigte Orte, sagte Werner Thies denen, die ihn kannten, ziemlich unmissverständlich, er wolle nicht in Deutschland begraben werden. Der Dichter und Dramatiker Peter Hacks drückte solch eine Stimmungslage einmal wie folgt aus: „Diesem Vaterland nicht meine Knochen.“ Zu sehr ekelte auch Werner Thies das Ewiggestrige an, dieser braune Schoß, der immer fruchtbar blieb und sich mit dem schrecklichen Untertanengeist der Wohlstandsbürger und Spießer mischte. Vor wenigen Tagen ist Werner Thies im Alter von 70 Jahren in Irland gestorben. Wer ihn und seine Arbeit kannte, wird ihn in guter und dankbarer Erinnerung behalten. Seine einstige Abmoderation bleibt über den Tod hinaus ein guter Schlusspunkt: „Machen Sie es gut, tschüs und auf Wiedersehen.“

*Titelbild: Screenshot aus rbb-Nachruf für Werner Thies. 

2 thoughts on “Nachruf auf Werner Thies

  1. Was für ein wundervoller Nachruf auf einen hoch professionellen und integren Journalisten!
    Was ich mir wünschen würde: dass Sie daraus einen Wikipedia-Artikel zum Andenken an Werner Thies machen. Ich hatte das schon unter einem Facebook-Post von ehemaligen Kollegen vorgeschlagen, und das wurde auch von seinem Sohn Padraig Tees positiv aufgenommen wurde. Ich weiß, Werner ging das nie um seine eigene Person, sondern um gute Arbeit und ehrlichen Journalismus. Gerade deshalb hätte er es verdient; auch weil seine berufliche Geschichte ein Stück bundesrepublikanischer Geschichte in Bezug auf den Umgang der Politik mit den Öffentlich Rechtlichen widerspiegelt.

  2. Sein Film aus dem Jahre 2000: Die Schnäppchenjagd der Volksgenossen
    Auf den Punkt gebracht: Die Habgier der „deutschen Volksgenossen“ bei der Ausplünderung
    der Jüdinnen und Juden.

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