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Worte oder Raketen

Das Titelbild zeigt eine russische RT-2PM2 „Topol-M“ Interkontinentalrakete mit einer Reichweite von 12.000 km als klassische Trägerrakete mit Mehrfachsprengköpfen für Nuklearwaffen. Im Western wird die Rakete als SS-27 bezeichnet. Russland verfügt angeblich über 6.000 Atomsprengköpfe. Davon sollen ca. 1.600 einsatzbereit sein, was sich anhört wie bewaffnet bis über beide Ohren. Die USA können da spielend mithalten, China noch nicht, wobei deren Potenzial von angenommenen 350 atomaren Sprengköpfen ebenfalls ausreicht, ein Loch in den Planeten zu sprengen. Jene Zahlen nur zur Erinnerung und Einstimmung. Kommen wir jetzt kurz zum Fußball und dann direkt zu Wladimir Putin. Wie beim Fußball, wo es Millionen Trainer gibt, weiß (fast) jeder, was los in der Ukraine, was militärisch richtig oder falsch. Natürlich wissen (fast) alle genau, was Putin treibt, denkt, will und kann oder eben nicht kann. Dieses Wissen blasen sie dann gerne über Twitter in die Welt, jeder nach seinen Bedürfnissen und Fähigkeiten, manche nur nach Ego. Daher gibt es, sobald Putin was sagt, mehr Analysen als Sterne am Himmel oder in Hollywood. Deswegen kann man sich getrost daran versuchen und ist nie allein. Widersteht man dieser Versuchung eines eigenen Blicks in die Glaskugel nicht, tippelt man natürlich auf dünnem Eis. Ereignisse, zumal in Konflikt- und Kriegszeiten, überholen das geschriebene Wort, bevor dieses gedacht.

Trotz aller Bedenken spielen wir an dieser Stelle das alte Spiel der Kreml-Astrologie einfach mal mit. Die Rede von Putin war der Balanceakt eines Politikers, welcher versucht, den Hardlinern im Land zu gefallen, die normale Bevölkerung nicht völlig zu verlieren und das Militär bei der Stange zu halten, da es aktuell dringend benötigt wird. Nebenher wollte Putin offenbar noch den Eindruck manifestieren, er würde keinen Krieg verlieren. Denen, die in Notzeiten gerne als Volk und Einheit angesprochen werden, musste außerdem Optimismus vermittelt werden. Wie weit dies gelungen, könnte man wohl nur sagen, wenn man in Russland lebt. Was aktuell in der russischen Politik steckt, bleibt letztlich ein Rätsel. Leitartikel und Analysen hin oder her. 

Was in einer Matroschka steckt, weiß man erst nach dem öffnen. (Foto: Sabine auf Pixabay)

In Putins Rede übliches Politikerhandwerk. Putin beschuldigt die NATO wie diese ihn. Sozusagen ein Beschuldigungs-Patt. Dass beide Seiten den Konflikt über Jahre geschürt oder/und für sich genutzt haben, davon reden beide Seiten natürlich nicht so gern. In Bezug auf die Kriegsziele hat Putin seinen Kurs beibehalten: „Das Hauptziel dieser Operation, nämlich die Befreiung des gesamten Donbass, bleibt unverändert.“ Wie, wann und womit das erreicht werden soll, was er Befreiung, seine Gegner Okkupation nennen, ließ sich aus der Rede nicht wirklich ableiten. Die nun angekündigte teilweise Mobilisierung wird die Hardliner wahrscheinlich nicht besänftigen und die allgemeine Bevölkerung eher verängstigen. Einfache Menschen wollen rund um den Globus nicht in Kriege ziehen, die sie nach persönlichem Empfinden nichts angehen und die den eigenen Tod zur Folge haben können. Der Putin-Satz „Besondere Aufmerksamkeit muss der Organisation der Lieferung von militärischer und anderer Ausrüstung für Freiwilligeneinheiten und die Volksmiliz des Donbass geschenkt werden“ hört sich trotz Klarheit dennoch etwas sibyllinisch an. Er lässt sich durchaus als Vorwurf gegenüber den Kräften vor Ort interpretieren. Da sind wir schon beim Interpretieren gelandet und bei Fragen, die niemand zum jetzigen Zeitpunkt richtig beantworten kann. Wie lange dauert ein Mobilisierungsprozess im immer etwas träge wirkenden Russland? Truppen, die über die nächsten Monate und den Winter Stellungen behaupten sollen, sind anders aufzustellen und auszurüsten als solche für Offensivoperationen. Dazu hat Putin natürlich nichts gesagt. Was man bisher von der russischen Armee an Pleiten und Pannen erlebte, hat selbst erfahrene westliche Militärs wie den ehemaligen britischen Generalstabschef Richard Dannatt erstaunt und völlig überrascht.

In allen Kriegen sterben Menschen. So war es immer. (Foto: Soldatenfriedhof in den Niederlanden)

Die Weltöffentlichkeit sah zu, wie die russische Armee irgendwie rückwärts verschwand. Putins Militärs werden diese Scharte auswetzen wollen. Können sie? Wir sind mit einem Fußballvergleich eingestiegen, der sicher etwas zu salopp. Sei es drum. Spieler sind in der zweiten Halbzeit der Verlängerung nie so fit wie beim Anpfiff. Soldaten geht es ähnlich. Eben Menschen, ob in kurzen Hosen oder Uniform. Militärstrategen sind seit Jahrzehnten der Meinung, nach drei bis vier Monaten ist eine kämpfende Streitmacht erschöpft und müsste ausgewechselt werden. Im Fußball spricht man von Rotation und beim Militär ebenfalls. Kann man nicht rotieren, weil niemand da, dann wird es brenzlig, wie jetzt die russische Seite erkennt. Die Ukraine hat außerdem viel mehr Soldaten mobilisiert, als die Russen es offensichtlich erwartetet hatten. Der Gegner der Russen hat auf seinem eigenen Territorium die besseren Möglichkeiten zur Rotation und wird von den USA und anderen NATO-Staaten außerdem massiv mit modernen Waffen beliefert. Durchaus Minuspunkte für Putin und seine Rechnung.

Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit.

Offenbar dämmert Putin wie auch seinen Militärs, dass sie diesen Krieg möglicherweise verlieren können. Da gilt es Vorsorge zu betreiben und Allianzen zu schmieden oder zu festigen. Putin traf letzte Woche auf dem Gipfel der „Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit“, der immerhin 40 Prozent der Weltbevölkerung repräsentiert, auf Chinas Staatschef Xi Jinping und Indiens Ministerpräsidenten Narendra Modi. Russland hat in China wie in Indien noch Verbündete. Beide Politiker haben ihm nicht signalisiert oder aufgetragen, den Feldzug zu beenden. Eines wird dem russischen Zaren deutlich geworden sein, dass er diesen Verbündeten nur im Falle eines Sieges weiterhin auf Augenhöhe begegnen kann. Modi und Xi haben nichts gegen den aktuellen Krieg, zumal beide Nationen dem ständig belehrend auftretenden sogenannten Westen zutiefst misstrauen. Doch sie hätten sicher einiges gegen den Verlierer dieses Krieges. Aktuell sind diese drei Großmächte stabile und feste Partner. Da sollte der sogenannte freie Westen sich nichts vormachen oder schönreden. Die „Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit“ ist längst eine gewichtige und nicht mehr an den Rand zu drängende Größe im globalen Politikspiel.

Nuklearwaffen. Fortsetzung von Krieg und Politik mit anderen Mitteln? (Foto: ARTE-Doku zur Geschichte der Atombombe, Screenshot)

Was ist mit der atomaren Drohung? „Im Falle einer Bedrohung der territorialen Integrität unseres Landes, werden wir selbstverständlich alle uns zur Verfügung stehenden Waffensysteme einsetzen.“ So Wladimir Putin. Deutlicher geht es wohl kaum noch. Wie immer sich die Dinge des Krieges entwickeln, eines steht wohl unabdingbar schon jetzt fest. Egal was kommt, es werden auf beiden Seiten noch sehr viel mehr Menschen sterben müssen, bevor die Gräuel des Krieges ein Ende hat und einer Form von Frieden weicht. Außerdem bleiben weiterhin die Fragen, wie ein ukrainischer Sieg final eigentlich aussehen wird und wie ein russischer Sieg aussehen könnte? Für beides braucht es viel Fantasie. In dieser Fantasie kommen in allen denkbaren Varianten umgehend eine Menge Albtraumszenarien hoch, die weit über Russland und die Ukraine hinausgehen. Es wäre daher an der Zeit, endlich Diplomatie zu betreiben, wo bisher nur Waffen sprechen. Ansonsten müssen wir uns allesamt mit einem Brecht-Zitat auf Dauer einrichten:

Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!

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