Kultur

Film und Bombe

Der britische Filmregisseur Christopher Nolan gehört zu den letzten Giganten des wahren Kinos. Ein Gläubiger der Spielräume und Dimensionen des großen Leinwandformats, welches mehr und mehr von einer kleinteiligen Streamingoptik verzwergt wird. Seine Filme, man denke nur an „The Dark Knight“, „Interstellar“, „Dunkirk“ oder „Tenet“ sind wirklich für das kleine Bildschirmformat nicht geschaffen, sie dürsten nach der riesigen Leinwand und einem großen Kinosaal, dann entfalten sie Kraft und hinterlassen Eindruck. Doch damit gehört Nolan einer eher aussterbenden Spezies an, Regisseuren in der Tradition von David Lean, Francis Ford Coppola und Sergio Leone. „Lawrence of Arabia“, „Apocalypse Now“ und „Once Upon a Time in the West“ verlieren auf einem Laptop oder der klassischen Glotze an Wucht und Kraft, brauchen das Kino. Mit dieser Überzeugung macht Christopher Nolan unverdrossen weiter, schwimmt gegen den Strom, solange er noch Produzenten und Geldgeber findet. Aktuell befindet sich Nolan in der Phase von Schnitt und Nachproduktion eines Films, der am 21. Juli 2023 in die Kinos kommen soll. Das Thema gewaltig und wie ein Menetekel an der Wand. In Zeiten, in denen weltweit so intensiv wie lange nicht solche Begrifflichkeiten wie Atomschlag, Sprengköpfe und Atombomben erneut zum Vokabular der Alltagspolitik geworden sind, wird Nolans neuer Film schlicht „Oppenheimer“ heißen. Natürlich konnte Nolan zu Beginn der Dreharbeiten nicht ahnen, wie aktuell er ins politische Wespennest dieser Welt sticht. Natürlich geht es um J. Robert Oppenheimer, den Boss beim legendenumwobenen Manhattan-Projekt, der bis heute als „Vater der Atombombe“ gilt, obwohl dieses Kind wahrlich von vielen in die Welt gesetzt wurde. Namen wie Rutherford, Bohr, Einstein, Hahn, Meitner, Fermi, Bethe und noch sehr viele andere könnten alle laut hier und ich rufen.

Biographie aus dem Jahr 2006 als Grundlage für Drehbuch und Verfilmung von Christopher Nolan.

Oppenheimer (1904 – 1967) war ein großartiger Wissenschaftler und außergewöhnlicher Physiker in einer Zeit vieler genialer Physiker, es herrschte Aufbruch in der Physik. Zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs wurde Oppenheimer 1942 der wissenschaftliche Leiter des Manhattan-Projekts der USA. Ziel dieses Milliardenprojektes war es, in der Wüste von New Mexico die erste Atombombe zu entwickeln und dann zu bauen. Ein Heer von brillanten Wissenschaftlern unter Oppenheimers Leitung schaffte es, die Zielvorgabe zu erreichen. Am 16. Juli 1945 wurde die erste Atombombe auf dem Testgelände in der Nähe des kleinen Kaffs Alamogordo erfolgreich gezündet. Schon im nächsten Monat, am 6. August und 9. August 1945, warfen US-Bomber jeweils eine von Oppenheimers Team gebaute Atombombe auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. Japan kapitulierte. Der 2. Weltkrieg war damit auch im Pazifik beendet. Dafür hatten die Wissenschaftler sich ins Zeug gelegt und waren Sieger, wie Politiker, Soldaten und Generäle.

Robert Oppenheimer gehörte später zu jenen Wissenschaftlern, die von den realen Folgen des Abwurfes und den Perspektiven „der Bombe“ entsetzt waren und sich aus Vernunftgründen gegen weitere Einsätze dieser Waffen aussprachen. Sie wussten besser als andere um das wachsende Zerstörungspotenzial durch technische Verbesserungen und immer mehr Sprengkraft. Oppenheimer konnte sich ganz praktisch ausmalen, wie nur wenige seiner Zeitgenossen, was ein Atomkrieg konkret bedeuten würde. Deshalb warnte er eindringlich vor der Nutzung der Bombe, nicht vor ihrer Existenz. Naiv war er nie, wusste nur zu gut, dass man diesen Geist nie mehr in die Flasche bekommt. Er weinte nicht vor Gram in seine Kissen. Zeit seines Lebens war Oppenheimer auf die im Manhattan-Projekt geleistete Arbeit und auf das erzielte Ergebnis stolz. Seine Umkehr zu einem Gegner „der Bombe“ und sein internationales Eintreten für internationale Kontrolle von Kernwaffen und Kernenergie sowie die Befürwortung von Abrüstung machten aus dem einst gehätschelten Wunderkind und Liebling der US-Regierung plötzlich einen Feind. Man verorte ihn ins linke Lager, diffamierte ihn und unterstellte Nähe zum Kommunismus, enthob ihn seiner Ämter und servierte ihn ab. In der McCarthy-Ära hetzte die amerikanische Rechte ihn wie einen räudigen Hund. So geht man in den USA und nicht nur dort eben mit Helden um, sobald diese eine eigene Meinung gegen die Obrigkeit vertreten. Oppenheimer starb im Alter von 62 Jahren, ein gebrochener Mann, der von Zigaretten und Krebs zerfressen. Sein Leben, ein rasanter Mix aus Triumph und biblischer Katastrophe. Wahrlich Stoff für Bücher und Filme. 1986 schilderte der US-Journalist und Autor Richard Rhodes in einem mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Sachbuch das Manhattan-Projekt. Heute längst Standardwerk zum Thema:

Es gab beim Manhattan-Projekt durchaus bedeutendere Physiker und Wissenschaftler als Oppenheimer, man denke an Hans Bethe oder Enrico Fermi. Aber es gab dort weit und breit keinen so charismatischen Kopf wie ihn. Die große Leistung Oppenheimers war zuallererst eine logistische und menschliche, weniger eine wissenschaftliche Herausforderung. Er meisterte die Aufgabe nahezu perfekt und mit Bravour, als sei er dafür geboren. Zumal Oppenheimer und alle Beteiligten ziemliches Neuland betraten und zuerst oft im Dunkeln tappten. Außerdem verstärkten sich die Gerüchte, auch die Nazis würden an einer Atombombe bauen. In Deutschland werkelte daran tatsächlich kein Geringerer als Werner Heisenberg herum, der weltweit als der damalige König der Physik galt. Außerdem ein leibhaftiges Genie. Oppenheimer nahm den vermeintlichen Wettlauf und die Herausforderung selbstbewusst an und war gleichermaßen Motor und Antriebsriemen für das Manhattan-Projekt (1942 – 1945). Er musste äußerst unterschiedliche Charaktere und absolute Koryphäen der Wissenschaft, darunter viele intellektuelle Diven, auf einen Kurs festlegen und auf diesem Weg halten. Diese Größen der Physik und anderer Wissenschaftssparten in der richtigen Spur zu führen, sie nicht in ihre Individualität abgleiten zu lassen, war eine Meisterleistung. Natürlich musste Oppenheimer auch über Kompetenz und Wissen verfügen, um die nötige Autorität gegenüber den oft berühmteren Kollegen aufbringen zu können. Außerdem musste der Physiker Oppenheimer beurteilen und entscheiden, welcher Weg richtig und wo eine Kursänderung nötig. Auf allen Gebieten hat sich Oppenheimer glänzend bewährt und unter Beweis gestellt, dass es für diese gigantische Aufgabe keinen geeigneteren Mann als ihn geben konnte. Gemeinsam mit General Leslie R. Groves, dem militärischer Leiter des Manhattan-Projekts, trieb er das Unternehmen zum Erfolg. General Groves, was ihn bis heute ehrt, hat sich auch in der schlimmsten Zeit der McCarthy Ära nie am späteren Rufmord gegen Oppenheimer beteiligt. Die Deutschen kamen mit viel weniger Personal und Ressourcen nie auch nur in die Nähe der Erfolgsspur des Manhattan-Projektes. Heisenberg hin oder her

Werbeplakat für „Oppenheimer“. (© Christopher Nolan und Universal)

Oppenheimers Arbeit am Manhattan-Projekt, in der Biografie von Kai Bird und Martin J. Sherwin präzise nacherzählt, lieferte für Nolan eine perfekte Grundlage für sein Filmprojekt. Seit 2010 liegt das Buch übrigens auch in deutscher Übersetzung vor. Nolan wird daraus sicher einen großartigen Film erschaffen. Für die Rolle der Robert Oppenheimer hat Nolan den Iren Cillian Murphy besetzt, General Groves wird von Matt Damon gespielt. Wie der fertige Film dann den Weg ins Kino findet und Menschen anzieht oder nicht, wird sich zeigen. Eine komplexere und interessantere Figur als Robert Oppenheimer im Kontext mit dem Manhattan-Projekt lässt sich für das Kino jedenfalls kaum aufarbeiten. Ob wir das Ergebnis im Sommer 2023 noch erleben werden oder vielleicht nicht, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Weil vielleicht nach so viel Gerede und oft unsinnigem Spiel mit dem atomaren Feuer – eher aus cholerischem Versehen als durch berechnende Absicht – irgendeine Rakete mit „der Bombe“ doch noch abgefeuert wurde und in der Reaktion darauf eine Art Dritter Weltkrieg ausbricht. Was scheint heutzutage schließlich noch unmöglich? In irren Zeiten passieren eben irre Dinge. Die Trojaner hielten ihre Stadt auch für uneinnehmbar und ewig. Bleiben wir dennoch optimistisch und setzen nicht auf den schlimmen Fall, sondern lieber auf einen Kinobesuch im Sommer 2023.

Aktuelle Atomkriegsszenarien sagen irgendetwas zwischen 250 Millionen bis 5 Milliarden Tote voraus. Welch eine Spannbreite! Na dann. (Foto: Pixabay)

J. Robert Oppenheimer in einem späteren Rückblick auf das Manhattan-Projekt und in Erinnerung an den Moment unmittelbar nach der erfolgreichen Testexplosion:

Wir wussten, dass die Welt nicht dieselbe sein würde. Einige lachten, einige weinten, die meisten schwiegen. Ich erinnerte mich an die Zeile aus der hinduistischen Schrift der Bhagavad-Gita; Vishnu versucht, den Prinzen davon zu überzeugen, dass er seine Pflicht tun sollte, und nimmt, um ihn zu beeindrucken, seine vielarmige Gestalt an und sagt: „Jetzt bin ich der Tod geworden, der Zerstörer der Welten.“ Ich schätze, das dachten wir alle auf die eine oder andere Weise.

*Titelbild: Werbeplakat für „Oppenheimer“. (© Christopher Nolan und Universal)

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