Kultur

Spione auf dem Abstellgleis

Wenn ein so großartiger und außergewöhnlicher Schauspieler wie der Brite Gary Oldman in einem ernsten Interview sein baldiges Karriereende andeutet, ist dies verständlich wie bedauerlich. Aktuell ist Oldman in zwei Projekte involviert und wird im nächsten Jahr als US-Präsident Harry S. Truman in der monumentalen Oppenheimer-Verfilmung von Christopher Nolan zu sehen sein. Dennoch könnte es bald nur noch großartige Dinge aus dem Archiv geben, nichts Neues mehr von Oldman, weil der sich anderen Dingen widmen möchte. Man wird sehen. Schauspieler werden ja oft auch versucht oder können es doch nicht lassen. Da ist es sinnvoll, auf Oldmans erstes TV-Engagement hinzuweisen, welches im Jahr 2022 ein großer Erfolg und absolut des Ansehens wert. Die Serie „Slow Horses“ lief in diesem Jahr mit einer ersten Staffel und sechs Episoden, wird im Dezember 2022 mit einer zweiten Staffel über wieder sechs Episoden fortgesetzt. Es handelt sich bei „Slow Horses“ um die Verfilmung der sehr erfolgreichen Spionageromane des Briten Mick Herron.

In „Slow Horses“ leitet Oldman als Jackson Lamb, wobei leitet ein falsches Wort, eine Unterabteilung des britischen Geheimdienstes. Diese sitzt in einem alten Gebäude abseits der hochmodernen Zentrale und wird in runtergekommenen Büros mit vergilbtem 70er-Jahre Charme von einer kleinen Gruppe gescheiterter Existenzen bevölkert. Wer zu den langsamen Pferden kommt, hat im Dienst irgendwann Mist gebaut und taugt nicht mehr für große Aufgaben. Lambs Assistentin ist trockene Alkoholikerin, ein anderer Mitarbeiter hat wichtige Geheimdienstunterlagen im Zug liegen lassen. Kein George Smiley oder James Bond ist dort zu finden. Diese Truppe, die eigentlich ausgesondert, gerät dann doch in aktuelle und brisante Aktivitäten des Geheimdienstes, die sie alle aus ihrer stumpfsinnigen Agonie reißen. Es soll hier nichts verraten werden, aber der Mix aus Spannung, Ernsthaftigkeit und Ironie ist absolut gelungen. Die Story baut sich gut auf und wird toll und nachvollziehbar erzählt.

Spione auf dem Abstellgleis. Die Truppe von „Slow Horses“. (Screenshot: © Apple-TV)

Jackson Lamb ist das Zentrum. Er war wohl mal ein Top-Agent und eine Koryphäe in seinem Job. Heute eine abgehalfterte Legende ohne Antrieb in abgetragenen Klamotten. Als Chef kampiert er in einem Büro, das auch ein Müllhaufen sein könnte. Meistens sitzt er am Schreibtisch und trinkt Whiskey. Dabei teilt er einigen auch unverblümt mit, dass er sie nicht leiden kann und sich freuen würde, wenn sie kündigen. Wenn er seine Füße auf den Schreibtisch legt sieht man mehr Löcher als Socken. Aus dem Schlaf auf seiner Bürocouch wird er nur durch eigene Fürze aufgeschreckt, als hätte jemand auf ihn geschossen. Als er bei einem geheimen Treffen mit der Vizedirektorin des britischen Geheimdienstes, wunderbar kalt und skrupellos von Kristin Scott Thomas gespielt, mit Ankündigung auf einer Parkbank einen fahren lässt, fallen beide vom Gestank fast in Ohnmacht. Lamb ist optisch und als Mensch nicht gerade liebenswürdig. Aber hinter der runtergekommenen Fassade und dem müden Gesamteindruck waltet ein hellwacher Verstand, der Entwicklungen und Intrigen wittert, das gesamte Bild hat, wo andere noch auf die Puzzle-Teile starren. Wie Gary Oldman diesem Typen Leben einhaucht ist wirklich sehenswert. Er allein lohnt es, sich „Slow Horses“ anzuschauen. Als es seinen Leuten an den Kragen gehen soll und er plötzlich wache Beschützerinstinkte zeigt, fragt ihn jene Vizedirektorin, warum es ihn kümmert, es seien doch sowieso alles Versager. Darauf gibt Lamb die Antwort: „Ja. Aber es sind meine Versager.“ Schauen Sie sich „Slow Horses“ an. Spannung und Unterhaltung sind garantiert. Die kluge und zurückhaltende Performance von Gary Oldman ist ein schauspielerisches Highlight, welches man sich nicht entgehen lassen sollte. Wer weiß, wie oft man diesen Meister seiner Zunft noch erleben darf.

*Titelbild: © Apple-TV

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert