Porträts

Das junge Frankreich

Die Zerrissenheit vieler Franzosen in den aktuellen Verhältnissen von Politik und Gesellschaft brachte am Samstag vor dem zweiten Wahlgang ein junger Mann zum Ausdruck. Dieser genießt in Frankreich große sportliche Popularität. Außerdem organisiert er im Umfeld seiner sportlichen Aktivitäten offene Diskussionsrunden für Umweltthemen. Er wurde 2018 berühmt, weil er mit 16 Jahren als bis dahin jüngster Franzose den Ärmelkanal durchschwamm. Im Sommer letzten Jahres schwamm er in 49 Tagen 784 km durch die Seine flussabwärts von ihrer Quelle (Nähe Dijon) bis na Le Havre. Die Rede ist von Arthur Germain. Am 23.04.2022 twitterte dieser: „Ich werde in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen 2022 nicht wählen. Die Politiker sind reformistisch. Ich bin für eine radikale und tiefgreifende Transformation der Gesellschaft. Wir werden die grundlegenden Probleme nicht lösen, indem wir ein Stück Papier in eine Wahlurne stecken.“ In einem Interview mit France Info verdeutlichte er seine Ansichten: „Ich erkenne mich in der aktuellen Politik nicht wieder. Mich so zu engagieren, wie ich es heute tue, ist meine Art, mich politisch einzubringen. Ich versuche, die Menschen zu einer anderen, gesünderen und einfacheren Lebensweise zu führen.“ Viele junge Menschen haben auch in Frankreich mit der etablierten Politik längst gebrochen. Daher ist die so geartete Meinungsäußerung eines 20-Jährigen in den sozialen Medien nichts Außergewöhnliches oder gar eine Einmaligkeit, eher Normalität.

Seine durchschwommen. Nach 49 Tagen am Ziel in Le Havre: Arthur Germain (Foto: Screenshot aus Doku von actu.fr)

Jene Sätze von diesem jungen Mann, der neben seinem sportlichen Engagement als Naturschwimmer auch als überzeugter Naturfreund und aktiver Umweltschützer in Erscheinung tritt, finden allerdings gewollt oder ungewollt doch einen größeren Abnehmerkreis als viele ähnliche Wortmeldungen aus seiner Generation. Der Grund ist familiärer Natur. Arthur Germain trägt den Familiennamen seines Vaters, ist aber auch der Sohn der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo, der Sozialistin, die nach Ansicht vieler Franzosen mit ihrer sektiererischen Kandidatur (1,8 Prozent der Stimmen) den Einzug eines linken Kandidaten in die Stichwahl verhinderte und so Le Pen erst den Weg ebnete. (Hidalgo gilt als große Mélenchon-Hasserin.) Arthur Germain hatte vor dem ersten Wahlgang erklärt, in dem seine Mutter noch Kandidatin, er wisse nicht „wen er wählen sollte“. Nach der ersten Runde war von ihm in Interviews zu hören, er hätte in diesem ersten Wahlgang Mélenchon gewählt. Über das Verhältnis zur Mutter, worauf sich Medien so gerne stürzen, gab es von ihm nie schlechte Worte: „Wir kommen sehr gut miteinander aus, aber es ist frustrierend, wenn man versucht, eine Botschaft an die Menschen zu bringen und ständig auf seine Eltern reduziert wird.“ Es muss fairerweise erwähnt werden, dass Anne Hidalgo die Popularität ihres Sohnes nie für ihre Politik oder gar in Wahlkämpfen genutzt oder ausgenutzt hat. Arthur Germain verkörpert jedenfalls die junge Generation von Franzosen, die sich für Ökologie und ein soziales Miteinander interessieren, und ein beständiges „Weiter so!“ der etablierten Politik nicht mehr als etwa ansehen, was mit ihren Lebensvorstellungen zu tun hat oder gar den Notwendigkeiten unserer Zeit entspricht. Seine Wortmeldung hat jedenfalls für viel Aufmerksamkeit und Zustimmung in Frankreich gesorgt. Nicht nur unter jungen Menschen.

*Titelbild: Arthur Germain im Interview von France-Info (Rechte am Bild France Info)

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