Kultur

Im Westen zu viel Neues

Die Netflix-Produktion „Im Westen nichts Neues“ ist ein Antikriegsfilm im Hollywood-Format, der versucht, die Seh- und Denkgewohnheiten eines heutigen Publikums zu bedienen. Daran ist nichts verwerflich, jede Zeit und Generation braucht eigene, vielleicht auch neue Bilder. Wer den Roman von Erich Maria Remarque kennt und eine Neuverfilmung erwartet, der ist sicher irritiert, verstört oder nur enttäuscht. Zu viel Neues kann sich gerade bei einem Meisterwerk ins Gegenteil kehren. Rezensionen und Kritiker in vielen Medien haben dies zu Recht angemerkt, um dann doch ins Vergleichen zu verfallen. Warum aber Vergleiche ziehen, wo die Basis für solche Vergleiche überhaupt nicht gegeben? Dennoch verdient der aktuelle Film eine Chance. So Menschen Remarques Roman kennen oder nicht und diesem über einen Film näher kommen möchten, ist nach wie vor die US-Produktion „Im Westen nichts Neues“ von 1930 des Regisseurs Lewis Milestone zu empfehlen. Eine stimmige und geniale Verfilmung, die dem Autor und Roman gerecht wird, mit einer dem Buch entlehnten Schlussszene, die zum Eindrücklichsten gehört, was je verfilmt. Das für die Zeit typische schwarz-weiß Filmmaterial aus den Dreißigerjahren verstärkt noch die Trostlosigkeit des grauen Front-, Mord- und Gasalltags in den Schützengräben des 1. Weltkrieges. Absolut empfehlenswert. Herausragend der Hauptdarsteller Lew Ayres als Gymnasiast und Soldat Paul Bäumer. Ein zeitloses Meisterwerk von Bestand und für unsere Gegenwart bestens geeignet.

Die graue Masse tritt an zum sinnlosen Verrecken. (Screenshot: „Im Westen nichts Neues“, USA, 1930)

Wohl kein Meisterwerk für die Ewigkeit, obwohl für den Oscar nominiert, aber dennoch ebenfalls empfehlenswert gerade für unsere Zeit auch die aktuell laufende Netflix-Produktion unter dem Titel „Im Westen nichts Neues“. Der Titel des Films täuscht etwas vor, was er dann nicht liefert, das gilt auch für die Namen der Protagonisten, die dem Roman von Remarque entstammen. Filmtitel und Rollennamen machen noch keine Remarque-Verfilmung. Machen wir uns nichts vor, der Name Remarque und der seinem Roman entnommene Filmtitel sind natürlich aus heutzutage so oft im Fokus stehender Marketingsicht das richtige Vorgehen. Für Aufmerksamkeit und Werbung wird dadurch bestens gesorgt. Wie man an den Medienreaktionen erleben kann, ist dieses Vorgehen aufgegangen. Mag sich mancher dabei auch eher wie mit einer Mogelpackung fühlen, wenn er den Roman im Kopf hat oder diesen annähernd erwartet und das Ergebnis dann sieht. Dennoch sollte bitte niemand den ersten Stein werfen. Der Film ist für sich genommen eine Anklage gegen den Irrsinn des Krieges. Das allein spricht schon für ihn. Falsches Etikett hin oder her. Auch cineastische Feinheiten und Beurteilungsmaßstäbe können dabei ruhig einmal außer Acht gelassen werden. Manchmal gibt es, zumal in Fragen von Krieg und Frieden wie Leben und Tod, eben andere Maßstäbe. Sogar in der Welt von Leinwand und Bildschirm.

Das Elend der Schlachtfelder. (Screenshot: „Im Westen nichts Neues“, Netflix, 2022)

Dieser Film von Regisseur Edward Berger ist ein ordentlicher Streifen, der nichts verbrämt oder verklärt, uns vor Augen führt, was Krieg ganz konkret für jene bedeutet, die in dessen Schlachten ziehen müssen. Dreck, Elend, Verderben und Tod. Nichts anderes. Denkt man darüber nach, kommt man schnell zur Klarheit. Jene, die Kriege ausbaden müssen, sind zu allen Zeiten Kanonenfutter für Interessen, die sie oftmals nicht einmal kennen. Hüben wie drüben liegen meistens in einfacher Soldatenuniform nicht Feinde, sondern auch nur Väter, Söhne, Brüder, Männer, sogar Kinder und längst in der Neuzeit auch Frauen, die gemeinsam zu einer anonymen Masse degradiert wurden. Allesamt von Menschen befehligt und in solche Konflikte getrieben, welche weit ab der Front die große Geste und das heuchlerische Wort pflegen und in Parolen pathetisch unters Volk bringen. Wenn Bergers Film nur das Nachdenken der Menschen über Krieg und dessen Ursachen schärft, die Gräuel des Tötens vor Augen führt, ist er schon ein Gewinn. Als solcher darf, sollte und kann er gesehen werden.

Das Schlusswort hierzu geht an den Schriftsteller und Pazifisten Erich Maria Remarque, welcher auf GERADEZU regelmäßig und aus Überzeugung wie Übereinstimmung zitiert wird, weil man seine Aussage gar nicht oft genug wiederholen kann:

Dass man gegen den Krieg ist, fand ich ganz selbstverständlich. Dazu braucht man gar kein Programm. Ich dachte immer, jeder Mensch sei gegen den Krieg. Bis ich herausfand, dass es welche gibt, die dafür sind. Besonders die, die nicht hineingehen müssen.

 

*Titelbild: Screenshot aus „Im Westen nichts Neues“, Netflix, 2022.

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