Porträts

Unverfrorenheit

Natürlich kann und soll der Milliardär und Springer-Verleger Matthias Döpfner einem Journalisten, den er auf seinen Gehaltslisten führt, herzlich zum Geburtstag gratulieren können. Der rechte Publizist Henryk M. Broder begeht immerhin seinen 75. Geburtstag. Möge er gesund bleiben und ein langes Leben führen. Was diese reaktionären Brüder im Geiste sich zum Geburtstag wünschen, geht niemanden etwas an. So sie es öffentlich tun und noch einen Toten instrumentalisieren, der nie etwas mit ihnen gemein hätte sollte dies nicht ohne Widerspruch bleiben. Döpfner nannte Broder doch tatsächlich den „Tucholsky unserer Zeit“. Da hört es dann doch auf und haut dem Fass den Boden weg. Tucholsky liegt seit 81 Jahren auf dem Dorffriedhof von Mariefred in Schweden begraben und kann sich gegen diese Herabwürdigung nicht mehr wehren.

Was Broder an den Tag legt, hätte bei Tucholsky stärkste Gegenposition ausgelöst. Tucholskys ganzes Lebenswerk schreit gegen diesen Vergleich. Bei Springer wäre Tucho weder zu Tisch noch zu Hofe gegangen, ein Machwerk von Thilo Sarrazin hätte er nicht verteidigt, mit Hans-Georg Maaßen sich nicht gemeingemacht oder auf Plattformen der Neuen Rechten Videokolumnen veröffentlicht. Kurt Tucholsky wäre auch nicht zur AfD Fraktion in den Bundestag marschiert, um ausgerechnet mit dieser Partei über das Thema „Ende der Demokratie“ zu fabulieren und sich am Veranstaltungsschluss von Alice Weidel dafür um den Hals fallen zu lassen. Kurt Tucholsky bekämpfte doch zeit seines Lebens alles, was sich Broder heute auf seine journalistische Fahne schreibt. Gegen jene, mit denen Broder da so freimütig gemeinsame Denksache macht, hätte Tucholsky getan, was er immer getan, auf die Tasten seiner Schreibmaschine oder seines MacBook gehauen, um „eine Katastrophe aufzuhalten“, wie es Erich Kästner formulierte. Auch an den Kindern von Fridays for Future hätte sich Tucholsky nicht verbal die Füße abgetreten.

Broder darf für den Tucholsky-Vergleich nicht in Haftung genommen werden, er hat ihn sich nicht ans Revers geheftet oder selbst erhoben. Diese unverfrorene Schamlosigkeit geht allein auf die Kappe seines Arbeitgebers Döpfner. Tucholsky-Vergleiche sollte man sowieso tunlichst meiden, im linken und vor allem im rechten Lager gleichermaßen. Zu einmalig dieser journalistische Gigant. Wenn überhaupt, dann hätte einen Vergleich mit Tucho im Nachkriegsdeutschland vielleicht noch Erich Kuby in Anspruch nehmen können. Wohl eher einer es wirklich verdient, dessen Nachruf die Jüdische Allgemeine mit „Vielleicht der größte Journalist des Landes“ titelte. Die Rede ist von Hermann L. Gremliza, dem 2019 verstorbenen ehemaligen Spiegel-Journalisten und Konkret-Herausgeber. Man könnte sich vorstellen, beim lesen von Gremlizas Texten viel Zustimmung bei Tucholsky zu finden, wogegen er bei Ansicht der Schriften und Worte von Broder wohl sehr zornig im Grab rotieren würde.

Gremliza hat übrigens einmal etwas sehr Passendes über Broder geschrieben, nachzulesen in seiner Kolumnensammlung „Haupt- und Nebensätze“. Darin findet sich: „Henryk Broder, der von allem nur weiß, was ein paar Stunden für Trubel sorgt…“ Genug davon. Ehre dem Andenken von Tucholsky, Kuby und Gremliza. Alles Gute zum Geburtstag für Broder.

*Beitragsbild: Inschrift auf der Grabplatte von Kurt Tucholsky

 

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